Rezension über:

Elizabeth Burin: Manuscript Illumination in Lyons 1473-1530 (= Ars Nova. Studies in Late Medieval and Renaissance Northern Painting and Illumination; III), Turnhout: Brepols 2001, X + 469 S., 25 Farbtafeln und 187 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-51232-7, EUR 125,00
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Rezension von:
Nina Zenker
Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Nina Zenker: Rezension von: Elizabeth Burin: Manuscript Illumination in Lyons 1473-1530, Turnhout: Brepols 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/1590.html


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Elizabeth Burin: Manuscript Illumination in Lyons 1473-1530

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So bedeutend Lyon als Sitz des Primas von Frankreich und als Bücherstadt seit der Einführung des Buchdrucks war, so wenig hat man sich bislang um die Handschriftenproduktion dort gekümmert. Recht früh, im Jahr 1473, hatte Guillaume Le Roy aus Lüttich die erste Druckerpresse in der aufstrebenden Handelsmetropole installiert und damit den Grundstein für ein blühendes Zentrum dieser noch jungen Industrie gelegt. Daher haben sich Kunsthistoriker bislang vorwiegend auf die gedruckten Bücher Lyoneser Provenienz konzentriert.

Ohnehin hat sich die Handschriftenforschung bis vor 20 Jahren vor allem um Paris bemüht. Erst große Ausstellungen wie Plummers "Last Flowering" von 1982 [1], oder die von Avril und Reynaud konzipierte Pariser Schau "Les manuscrits à peintures. 1420-1520" von 1993 [2] haben die Augen dafür geöffnet, was in den Provinzen und Handelsstädten fernab der Hauptstadt geschehen ist. Elisabeth Burin legt nun mit ihrem Überblickswerk zur Lyoneser Buchmalerei das erste monografische Zeugnis dieses jungen Forschungsinteresses vor. Den Kern bildet ein 136 Titel umfassender und nach Werkstätten sortierter, systematischer Katalog der von ihr ermittelten illuminierten Handschriften. Dem vorgeschaltet ist ein recht knapper Fließtext von 47 Seiten, welcher nach einer kurzen historischen Einführung vor allem eine stilkritische Analyse dreier Werkstattgruppen bietet. Die differenzierten Zuschreibungen werden umfangreich illustriert. Den im Hinblick auf Buchgestaltung und Seitenlayout verwöhnten Handschriftenforscher irritiert allerdings das äußere Erscheinungsbild der Publikation: von den großzügigen Foliobänden der ersten Ars-Nova-Publikationen musste der Verlag wohl aus Kostengründen Abstand nehmen. Zwei schmale, eng und fast ohne Rand beschriebene Kolumnen erschweren bei dem nun gewählten Quartformat das Lesen des Fließtextes, während man im Katalog mitunter jeder aufgezählten Miniatur einen eigenen Absatz zugestanden hat.

In ihrer spezialisierten Kennerschaft steht Burin, die ihre Studien zur Lyoneser Buchmalerei bereits 1984 begann und 1989 damit promoviert wurde, konkurrenzlos da. Abgesehen von den wegweisenden, aber kurzen Ausführungen von Avril/Reynaud, konnte sie eigentlich nur auf Rondots Quellensammlung von 1888 [3] und auf eine Hand voll Aufsätze zu einzelnen Werkstätten zurückgreifen.

Die Autorin will Hersteller und Auftraggeber im Lyoneser Handschriftenwesen identifizieren und die Entwicklung des städtischen Buchmarktes nach Einführung des Buchdrucks 1473 beleuchten. Damit hat uns Burin die Lyoneser Buchproduktion seit 1450, die sie in ihrer nicht veröffentlichten, zeitlich breiter angelegten Dissertation darstellt, leider vorenthalten. Die Studie endet 1530 mit dem Tod des einzigen überregional bedeutenden Lyoneser Malers Jean Perréal, der als Hofmaler und Kammerdiener im Dienste der französischen Könige dem Typus des universellen Renaissancekünstlers entspricht und sich nur schwer in die Lyoneser Buchkunst integrieren lässt. Tatsächlich scheint die Handschriftenproduktion in Lyon, anders als in Paris, Tours und Bourges, die unmittelbare Konkurrenz zum Buchdruck nicht lange überlebt zu haben.

Das Bild, das die Autorin von der Entwicklung der Lyoneser Buchmalerei zeichnet, setzt mit einer Gruppe von Künstlern ein, die den Handschriftenmarkt für annähernd 20 Jahre monopolgleich bestimmte. Mit dem Lambert-Meister, dem Rosenberg-Meister und dem Meister von Getty 10, hat man diese erste Künstlergeneration bereits zuvor in drei Hände aufgeteilt. Dem fügt die Autorin nun mit den Meistern des Boilly-Stundenbuchs und der "Histoire ancienne jusqu'a César" zwei weitere Künstler hinzu. Die von einer allgemeinen Stilbeschreibung ausgehenden Abschnitte zu den einzelnen Malern, in denen ältere Zuschreibungen diskutiert und neue erörtert werden, fallen mit 1-4 Seiten in ihrer analytischen Tiefe unterschiedlich aus. 45 Handschriften beziehungsweise Einzelblätter, alle in den Jahren zwischen 1475 und etwa 1490 entstanden, konnte die Autorin insgesamt mit der Guillaume-Lambert-Gruppe in Verbindung bringen. Stundenbücher stellen den größten Anteil, wobei Burin glaubhaft macht, dass diese Bücher überwiegend für den freien Markt produziert wurden. Kernklientel waren wohlhabende Händler aus Stadt und Region, aber auch Kaufleute aus Italien und den französischen Nachbarregionen, aus Troyes, Montpellier, Anvers oder sogar Paris, können nachgewiesen werden. Die wenigen erhaltenen profanen Handschriften dieser Zeit wurden hingegen eher für ein aristokratisches Publikum auf Bestellung angefertigt. Der primär auf eine fast serielle Stundenbuchproduktion ausgerichteten Marktsituation entspricht die Organisation der Buchmaler in einem engen Werkstattverbund, um Kosten reduzieren und größere Auftragsmengen bearbeiten zu können. Die häufige Nutzung gemeinsamer Vorlagen belegt eine routinierte und auf Schnelligkeit konzentrierte Produktion.

Ihre deutlichste Prägung erhielt die Gruppe nicht aus der regionalen Tradition, die sich mit dem Meister des Wiener Rosenromans verbindet, sondern durch Jean Colombe aus Bourges. Dies wird durch zwei in Kooperation entstandene Stundenbücher belegt und zeigt sich am deutlichsten in der architektonischen Goldrahmung der Bildfelder, die mit eingestellten Skulpturen und Inschriften auf Colombe zurückgeht. Italien spielte trotz geografischer Nähe und reger Handelsverbindungen für die Lyoneser Buchmaler der ersten Generation kaum eine Rolle. Die von Burin gezeigten Verbindungen zu Flandern und Nordfrankreich - Naturalismus in Porträt und Landschaft insbesondere - bleiben recht unspezifisch.

Mit Beginn der Italienkriege 1494 betrat eine neue Künstlergeneration die Bühne. Die Monopolstellung der älteren Werkstatt wurde aufgebrochen, denn mit dem Meister der "Alarmes de Mars", dem Meister von Keble 7, Guillaume Le Roy und dem Meister des Einzugs Franz I. arbeiteten um die Jahrhundertwende unabhängige Künstler in der Stadt. Von dem Meister der Alarmes de Mars, bereits von Avril etabliert, und von dem neu eingeführten Meister von Keble 7 entwirft die Autorin mit 19 Titeln ein materialreiches Bild. Augenfälligster Unterschied zu den älteren Malern sind italienische Renaissancemotive, welche die Architekturrahmung verändern und zu monumentaleren, plastischeren Figuren führen.

Durch die Präsenz des Königs in Lyon wurde ein neuer Auftraggeberkreis erschlossen; zudem kamen Literaten und Hofschreiber mit neuen, politisch geprägten Schriften, für die es galt, innovative Bildprogramme zu entwerfen. Guillaume Le Roy hat sich dieser Aufgabe am flexibelsten angepasst und dadurch Rang bei Hofe erworben, wie Arbeiten für Ludwig XII., Louise de Savoie und Anne de Bretagne zeigen. Der Meister des Einzugs Franz I., den Burin beiläufig mit dem zwischen 1512 und 1516 in Lyon nachgewiesenen Schreiber und Buchmaler Jean Pingault zu identifizieren versucht, hat hingegen häufiger liturgische Prachthandschriften für die Kirchen der Diözese und weiterhin Stundenbücher illustriert. Mit insgesamt 31 Titeln setzt sich dieser Maler, der nach Burin vorwiegend alleine gearbeitet hat, in Produktivität und Methode scharf von seinen Vorgängern ab. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist generell ein enormer Anstieg der Handschriftenproduktion bei stark reduzierter Anzahl der Hände zu beobachten. Ältere Wege der Identifizierung und Zuschreibung legt Burin nicht immer offen, denn dass der Meister des Einzugs Franz I. bereits im Katalog von Avril/Raynaud als unabhängiger Maler mit sechs Handschriften erscheint, ist weder dem Fließtext noch den Anmerkungen zu entnehmen.

Nur Guillaume Le Roy sieht Burin nach 1515 noch als Buchmaler in Lyon arbeiten. Als Sohn oder Neffe des gleichnamigen ersten Lyoneser Druckers war er früher unter dem Notnamen "Maitre au nombril" bekannt und primär als Entwerfer von Holzschnitten fassbar. Sein bislang bekanntes Oeuvre, vorwiegend profane Titel, konnte Burin auf 42 Einträge erweitern. In Literatenkreisen entstand vor dem Niedergang der Buchmalerei in Lyon noch einmal eine Vorliebe für Handgeschriebenes. Die Stadt hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Status als politisches Zentrum und damit den Hof als Käufer der mehr denn je luxuriösen Handschriften wieder verloren. Der lokale Markt, vor allem das Stundenbuch, wurde vom Buchdruck übernommen.

Elisabeth Burin hat mit ihrer grundlegenden Studie eine Forschungslücke gefüllt; sie gibt einen materialreichen Eindruck von Entwicklung und Erscheinungsbild der Lyoneser Buchmalerei. Aussagen zu Auftraggebern und literarischen Interessen mussten summarisch bleiben. Ihre Händescheidungen möchte die Autorin - besonders bei der Gruppe um den Meister des Guillaume Lambert - nur als Vorschläge begriffen wissen, und dieser Zurückhaltung entspricht auch, dass bei den Abbildungsunterschriften der Künstlername fehlt. Diesen wird man selbst eintragen müssen, um leichter mit dem Buch zu arbeiten zu können.

Ziel künftiger Forschung wird es sein, den Bestand aus seiner Isolation zu befreien. Lediglich die Herkunft der Stilgruppe um den Meister des Guillaume Lambert aus dem Umfeld Jean Colombes wird einigermaßen erklärt. Die Formensprache der jüngeren Maler, die zum Zeitpunkt ihres ersten Erscheinens bereits voll ausgebildet war, ist trotz ihrer anfänglichen Zusammenarbeit mit der älteren Werkstatt kaum von der Lambert-Gruppe allein abzuleiten.

Leider konnte Burin Königs Ausführungen zur Faksimile-Edition des "Guémadeuc-Stundenbuchs" [4] nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Der bilderreiche Kodex, im Wesentlichen vom Maler des Antoine de Roche - vielleicht Guido Mazzoni aus Modena - für die bretonische Familie Guémadeuc ausgemalt, ist in Lyon erstellt worden. Die einzige Miniatur von einer zweiten Hand, eine Gregorsmesse, stammt aus dem Lyoneser Umfeld des Meisters des Guillaume Lambert (mit Burin nun als Meister der 'Histoire ancienne' zu bestimmen). Die Auftraggeber sieht König im Hofstaat der Königin Anne de Bretagne, die um 1500 mehrfach in Lyon Hof gehalten hat.

Das Guémadeuc-Stundenbuch ist sicher kein Einzelfall: das Berufsbild des mit seinem Herrn reisenden Malers spricht dafür, dass mit dem französischen König auch neue Künstler in die Stadt kamen. Weiterführende Studien in dieser Richtung werden unser Bild einer eher isolierten Lyoneser Buchkunst durch Maler erweitern, die in dieser bewegten Zeit ihre Spuren in der Stadt hinterlassen haben.

Anmerkungen:

[1] John Plummer / Gregroy Clark: The Last Flowering. French Painting in Manuscripts, 1420-1530, from American Collections, Ausstellungskatalog, New York: Pierpont Morgan Library 1982.

[2] François Avril / Nicole Reynaud: Les Manuscrits à peintures en France, 1440-1520, Ausstellungskatalog, Paris: Bibliothèque Nationale 1993, S. 358-369.

[3] Natalis Rondot: Les Peintres de Lyon du quatorzième au dix-huitième siècle, Paris 1888.

[4] Eberhard König: Das Guémadeuc-Stundenbuch. Der Maler des Antoine de Roche und Guido Mazzoni aus Modena (Illuminationen; Studien und Monographien, herausgegeben von Heribert Tenschert; Bd. 3), Rotthalmünster und Bibermühle 2001, S. 138-141.


Nina Zenker