Helmut Reinalter / Harm Klueting (Hgg.): Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, Wien: Böhlau 2002, 362 S., ISBN 978-3-205-99426-8, EUR 49,00
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Harm Klueting: Luther und die Neuzeit, Darmstadt: Primus Verlag 2011
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Harm Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt: Primus Verlag 2007
Dass die Wissenschaft ganz wesentlich durch prägnante Begriffsbildungen bewegt wird, ist keine neue Erkenntnis. In der Geschichtswissenschaft ist dies nicht anders. Allerdings hat im Bereich der Frühen Neuzeit kaum ein Begriff die deutsche und europäische Historiografie der Gegenwart mit solcher Dauerhaftigkeit zu kontroversen Diskussionen angeregt wie der des so genannten 'aufgeklärten Absolutismus'. Auch dies ist kaum verwunderlich. Die Synthese zweier, scheinbar so unterschiedlicher, ja, doch fast antithetischer Begriffsinhalte fordert Nachfragen und Gegenpositionen geradezu heraus. Seit der Nationalökonom Wilhelm Roscher 1847 den Begriff zur präziseren Periodisierung des von ihm als Epoche aufgefassten 'Absolutismus' einführte, ist über die zutreffendste begriffliche Fassung des Zeitraums von etwa 1730 bis 1830, die analytisch-heuristische Kraft des Begriffs, seine genaue definitorische Bestimmung sowie die empirische Aufweisbarkeit des von ihm bezeichneten Phänomens immer wieder diskutiert worden.
Den Herausgebern Helmut Reinalter und Harm Klueting ist es mit vorliegendem Band gelungen, einige der gegenwärtig besonders diskutierten Probleme und Aspekte zu bündeln und das im Vergleich zu vorhergegangenen Bestandsaufnahmen bedeutend vermehrte Fakten- und Argumentationsspektrum darzustellen. Die Konzeption des Bandes steht offenbar in der von der Internationalen Historikerkommission schon während der 1930er-Jahre begründeten Tradition der "Rapports nationaux" [1], die sich nicht zuletzt auch in dem 1974 von Karl Otmar Freiherr von Aretin herausgegebenen Forschungsband zum gleichen Thema fortsetzte. Neben 'nationalen Ausprägungen' des aufgeklärten Absolutismus, seinen 'Nachwirkungen und Kontinuitäten', fragen die Autoren vorliegenden Bandes aber auch wieder nach den begrifflichen Schwierigkeiten.
Eine Verständigung darüber, ob 'aufgeklärter Absolutismus' real oder nominal definiert werden sollte, ist allerdings bis heute nicht gelungen. So bleibt es überwiegend bei dem sich schon von Fritz Hartung herschreibenden Paradox, dass der Begriff einerseits für eine Art contradictio in adjecto gehalten, anderseits aber zur Kennzeichnung historisch-politischer Formationen durchaus in Anschlag gebracht wird. Insofern steht etwa der Beitrag Aretins in einer gewissen Spannung zu denen von Hans-Otto Kleinmann, René Hanke, Jörg-Peter Findeisen, Erich Donnert, Harald Heppner oder auch Harm Klueting. Denn während ersterer nach wie vor davon ausgeht, dass sich letztlich "zwischen der Zielsetzung der Aufklärung und der absolutistischen Regierungsweise [...] unüberwindbare Gegensätze" auftun (29), klammern die anderen Autoren die Begriffsdiskussion - notgedrungen - aus und versuchen, 'aufgeklärten Absolutismus' in Spanien und Portugal, Russland, der Habsburgermonarchie oder Montenegro nachzuweisen und zu beschreiben.
Letztlich ist die Definitionsfrage der archimedische Punkt aller weiteren Forschungen. Solange man den Begriff nicht als Neuschöpfung versteht, der einen komplexen, im Rahmen zeitbedingter gesellschaftlicher Strukturen auf die Umsetzung eines politischen Programms zielenden Vorgang beschreibt, der anhand bestimmter Kriterien charakterisierbar ist, wird sich für jede nationale oder regionale Nuance ein weiterer Begriffsvorschlag zu etablieren versuchen, der das babylonische Durcheinander von "aufgeklärtem Absolutismus", "Reformabsolutismus", "Josephinismus" (vergleiche die Beiträge von Derek Beales, 35-54, besonders 51, und Matthias Rettenwender, 303-329) "gegenaufklärerischem Absolutismus" (Beitrag von Wolfgang Albrecht, 297) oder auch "autokratischem despotisme éclairé" (Beitrag von Bruno Bernard, 269) immer weiter anwachsen lässt.
Die aktuelle Diskussion über den Absolutismus-Begriff wird in vorliegendem Band bedauerlicherweise nur am Rande thematisiert, obwohl sie einige Rückwirkungen auf den Umgang mit dem 'aufgeklärten Absolutismus' haben kann. Die in den vergangenen Jahren intensivierten Forschungen über die Reformen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts haben gezeigt, dass wir es mit einer eigenständigen gesellschaftlichen Entwicklung zu tun haben. Zu dieser passt ohnehin schon lange kein Begriff zweiter Ordnung mehr, gleichgültig, ob man 'aufgeklärten Absolutismus' als abgewandelte Form eines allein auf das Politische zielenden Strukturmerkmals von Machtbegründung und Machtausübung oder als missglückten Syntheseversuch ungleichartiger Interessen und Weltsichten versteht. Selbst wenn man - was nur hypothetisch denkbar scheint - überein käme, den Absolutismus-Begriff fallen zu lassen, würde die fundamentale Gesellschaftsveränderung der Aufklärungszeit natürlich noch immer vorhanden sein und nach Kategorisierung verlangen.
Eine Neufassung und Koordination der verschiedenen Begriffe ist mithin überfällig. Was spricht dagegen, den von Günter Birtsch favorisierten Begriff des 'Reformabsolutismus' als allgemeine Epochenbezeichnung zu akzeptieren und unterhalb dieser Ebene beispielsweise philosophisch-weltanschaulich geprägte Reformen in einzelnen Staaten als 'aufgeklärt-absolutistisch' zu bezeichnen. Von diesen könnten dann die mehr pragmatisch-staatsreformerischen Aktivitäten unterschieden werden, die zum Aufbau neuer Bürokratien, besserer Steuersysteme, Wirtschaftsunternehmen und Universitäten keinen spezifisch aufklärerischen Hintergrund brauchten, weil sie in der langen frühneuzeitlichen Tradition der 'guten Polizei' standen.
Andreas Gestrich macht in seinem sehr empfehlenswerten Beitrag mit Blick auf von Aretin zudem darauf aufmerksam, dass man der hegelschen Dialektik aufsitzt, wenn man die gesellschaftlichen Widersprüche der Reformzeit des späten 18. Jahrhunderts als zwingend für einen (revolutionären) Wandel der Gesellschaftssysteme ansieht: "Jedes politisch-gesellschaftliche System hat inhärente Widersprüche. Ob sie zu einem Faktor von Instabilität und Wandel werden, hängt oft von den verschiedensten sozialen und mentalitätsgeschichtlichen Faktoren ab, die gar nicht in direkter Verbindung zu diesen ideologischen Widersprüchen stehen müssen" (285).
Der Wert der Beiträge von Andreas Gestrich, Bruno Bernard, Walter Demel und Harm Klueting liegt vor allem darin, dass sie eine Vielzahl politischer Vorgehensweisen, gesellschaftlicher Reaktionen und Folgewirkungen des aufgeklärten oder Reformabsolutismus analysieren, mithin den Alltag des Reformgeschehens und eine politische Kultur nachzuzeichnen versuchen. Klueting zeigt, wie stark die nach 1800 beginnende Reformzeit in den deutschen Staaten von den Schwierigkeiten und Ergebnissen der vornapoleonischen Reformen abhing, dass sie mithin keineswegs einen fundamentalen Reformneubeginn darstellte. So bewegte die Frage der Ständeaufhebung in Bayern oder Hessen-Darmstadt die politische Sphäre nicht erst nach 1800 (344f.). Ähnlich lagen die Dinge bei den Steuerreformplänen oder auch der Verstaatlichung der Stadtverwaltungen, die - auch wenn beispielsweise in Württemberg erst 1811 umgesetzt ? durchaus der Logik des 'aufgeklärten Absolutismus' entsprachen (348). Es existierte so etwas wie eine Reformkontinuität (331-360).
Ein Strukturmerkmal des 'aufgeklärten Absolutismus' scheint im Übrigen auch darin zu liegen, dass er bei Innovationsreformen mit Abstand am erfolgreichsten war. An seine 'Grenzen' geriet er regelmäßig dort, wo er auf die Akzeptanz der von Veränderungen betroffenen Menschen angewiesen war, die letztlich von ihm profitieren sollten. Gesellschaften mit langen Freiheits- und kollektiven Wertetraditionen sowie fürstenfernen Selbstverwaltungsstrukturen kollidierten mit dem zentralisierten Fortschrittseifer der 'großen' Herrscher. Bernard resümiert für die Reformen Kaiser Josephs II. in den südlichen Niederlanden: "Es ist jedoch auch offensichtlich, daß die Brutalität, der Rhythmus und die Tragweite der Umwandlungen nur in einem Land möglich waren, das eine große Dosis Absolutismus verträgt. Die südlichen Niederlande waren nicht dieses Land." (269)
Fast alle Autoren stellen sich in ihren Untersuchungen der von Helmut Reinalter in seiner Einleitung als eine der grundsätzlichen Problemlagen identifizierten Bewertungsdifferenz, wonach der 'aufgeklärte Absolutismus' entweder als eine abgeschwächte, gemäßigte Stufe oder als die volle Ausprägung des Absolutismus, gewissermaßen seine höchste Verschärfung, angesehen werden kann (11-19). Die Mehrheit der Beiträger scheint letzterer Ansicht zuzuneigen, was vor allem zwei Gründe hat. Zum einen konzentrierte man sich bei den zu untersuchenden Staaten schwerpunktmäßig auf die scheinbar geschlossenen, zentralisierten Nationalstaaten, also jene politischen Systeme, die bislang noch am ehesten dem Absolutismus-Paradigma entsprachen. Zum anderen widmet man sich vor allem wieder den Herrscherpersönlichkeiten, ihren Zielen, Motivationen und Charaktermerkmalen. Die Frage nach der Umsetzung all der Reformgesetze und Verordnungen an der sozialen Basis - die von Alf Lüdtke schon vor Jahren geforderte 'soziale Praxis' von Herrschaft - wird dabei nicht oder zu wenig thematisiert.
Überhaupt ist es nicht das primäre Ziel des Bandes, die Kommunikationswege zwischen Herrschaft und Untertanen zur Implementierung von Reformen, die Instrumente zur Politikdurchsetzung vor Ort, die Lernfähigkeit politischer Systeme oder auch die Auswirkungen des am Ende des 18. Jahrhunderts rasant einsetzenden Individualisierungsprozesses zu thematisieren. Querschnittuntersuchungen zu diesen Fragen bleiben auch weiterhin ein Forschungsdesiderat.
Der Band ist insgesamt ein wichtiger Orientierungspunkt für die zukünftigen Forschungen zum 'aufgeklärten Absolutismus'. Er verweist sowohl auf die notwendigen Selbstklärungsprozesse innerhalb des Fachs als auch auf die fehlenden Bausteine für ein umfassenderes Verständnis der Politik des späten 18. Jahrhunderts.
Anmerkung:
[1] Vergleiche etwa Bulletin of the International Committee of Historical Science, Vol. V-X, 1933-1938.
Markus Ventzke