Reiner Pommerin / Manuela Uhlmann (Hgg.): Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1815-1991 (= Quellen zu den Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert. Freiherr vom-Stein-Gedächtnisausgabe; Bd. 10), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001, 267 S., ISBN 978-3-534-13273-7, EUR 79,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Thematisch, so lässt sich positiv vermerken, stößt der von Reiner Pommerin und Manuela Uhlmann verantwortete Quellenband zu den deutsch-polnischen Beziehungen zwischen Wiener Kongress und dem Nachbarschaftsvertrag mit Deutschland in eine Lücke, denn bislang ist eine solide Quellensammlung zu den politischen deutsch-polnischen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts ein Desiderat, das vor allem für das 19. Jahrhundert (abgesehen von 1848/49) in der Lehre fühlbar ist. Ein weiteres Positivum: So befremdlich es zuerst auf den Betrachter wirkt: Uhlands Gedichtüberschrift "Mickiéwicz" trägt in der vorliegenden Quellensammlung zu Recht einen Akzent auf dem "e", wie der Vergleich mit der von den Herausgebern herangezogenen Werkausgabe Uhlands bestätigt. Damit ist aber auch schon nahezu alles Positive gesagt, denn ansonsten strotzt der Band vor Mängeln. Sie sind so gravierend, dass etliche der abgedruckten Quellen geeignete Negativ-Lehrstücke für das historische Proseminar abgäben, würde man die Studenten viele der hier dargebotenen Fassungen mit den für den Abdruck herangezogenen Quellen- und Dokumentensammlungen vergleichen lassen.
Dabei wären viele formale Mängel durch sorgfältiges Korrigieren vermeidbar gewesen. Das Literaturverzeichnis führt sowohl Frau Powęska-Wolff wie auch Frau Wolff-Powęska auf, aber natürlich handelt es sich um ein einzige Person. Die von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowski 1997 herausgegebene zweibändige Quellensammlung "Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und "Volkstumskampf" im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920-1939" (München u.a. 1997) ist hier mit dem Untertitel "Minderheitßtatus und Volkßturmkampf' im Grenzgebiet" ausgewiesen. Georg Gottfried Gervinus wird um seinen Ruf als Historiker und als Politiker gebracht, wenn er im Namensverzeichnis lediglich als Literaturhistoriker ausgewiesen ist. Im Sachregister fragt man sich nach dem Sinn des dort aufgeführten Begriffs "K. u. K." Beim Eintrag "Solidarność" findet man auf der angeführten Seite 99 ein Dokument aus dem Jahr 1919 und damit nichts zu Solidarność, dagegen auf Seite 22 die Schreibweise "Solidarnosc", auf Seite 211 "Solidarnoość" uns auf Seite 210 "Solidarno".
Könnte man diese Beispiele, die hier pars pro toto stehen, noch als Unachtsamkeit einstufen, so ist der editorische Umgang mit vielen Quellen mindestens nachlässig zu nennen; auch hier nur einige Beispiele: Dass sich der Sprachenerlass des preußischen Kultusministers Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein vom 13. Dezember 1822 kaum den Stenografischen Verhandlungen des Reichstags von 1875 entnehmen lässt (vergleiche 30), ist anzunehmen. Der Rezensentin ist es jedenfalls nicht gelungen, ihn dort zu finden. Bei Pommerin/Uhlmann beginnt ein Auszug aus einem dem Leser als Rede Friedrich Engels' vom 29. November 1847 vorgestellten Textstück mit den Worten "Erlaube mir, mein Freund", die Quelle notiert dagegen - der Form der Rede entsprechend - "Erlaubt mir, meine Freunde". Dass Engels diese Rede über Polen auf einem internationalen Treffen in London am 29. November 1847 anlässlich des 17. Jahrestages des polnischen Aufstandes von 1830 gehalten hat und dass er die Initiative für Veränderungen in Europa den englischen Chartisten zuwies, erfährt der Leser hier nicht, wo der Konflikt auf einen deutsch-polnischen Beziehungsrahmen reduziert wird. In einem Auszug aus einem für die Presse verfassten Artikel Bismarcks vom 20. April 1848 fehlen ohne Auslassungszeichen der Herausgeber zwei Halbsätze. Es befremdet, dass sich der in der Einleitung korrekt bezeichnete deutsch-polnische Nichtangriffspakt (17) in der Überschrift der Quelle zum "Verständigungsvertrag" wandelt (141).
Viele Dokumente zum 20. Jahrhundert, insbesondere aus den Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), wird der Historiker wegen ihrer Kommentierung mit größerem Gewinn in den einschlägigen Quellenwerken selbst benutzen. Für den Leser wären Regesten zu den Dokumenten in der Regel sehr viel hilfreicher als der jedem Dokument vorangestellte "Schlüsselsatz". Bei der Dokumentenauswahl - dem wohl subjektivsten Faktor jeder Quellensammlung und damit in der Kritik der Rezensentin zurückstehend - könnte man beispielsweise ein Zeugnis zum Hambacher Fest erwarten. Überdies fragt man sich nach dem Nutzen der für die Zeit seit 1945 immer ausgedehnteren Wiedergabe einzelner Quellen zulasten einer möglichst vielfältigen Auswahl, zumal die Herausgeber für frühere Zeitabschnitte keine Scheu vor sogar nicht exakt ausgewiesenen Kürzungen von Einzeldokumenten hatten (vergleiche etwa den Beginn von Dokument 11 und den ersten Absatz, der zwei Wörter unterschlägt). Der zugesicherte Kursivdruck von Hervorhebungen im Original (Einleitung, LVI) ist nicht verlässlich eingelöst. Hilfreich wäre es auch gewesen, wenn in der Einleitung, die die deutsch-polnischen politischen Beziehungen skizziert und deren Literaturgrundlage den meisten Fußnoten zufolge insgesamt "angestaubt" wirkt, die nachfolgenden Quellen durch Verweise konsequenter in den Text eingebunden worden wären.
Ohne an dieser Stelle die Liste der Gravamina erschöpfend vortragen zu können, bleibt doch als grundsätzlicher Einwand die Frage, warum die Verantwortlichen in dem gesamten Band einen großen Bogen um die polnische Sprache gemacht haben. Das gilt formal für die Verwendung von (fast allen) diakritischen Zeichen, aber vor allem für die Behandlung von Literatur und Quellen. Nicht ein polnischsprachiger Titel fand Eingang in dieses Buch, von dem man kaum glauben mag, dass es am Anfang des 21. Jahrhunderts publiziert wurde. Welcher deutsche Historiker könnte sich eine derartige Ignoranz im Umgang mit der politischen Beziehungsgeschichte seiner westlichen Nachbarn erlauben?
Fazit: In seiner jetzigen Form ist der Band dem Renommee der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe abträglich; die Herausgeber und der Verlag müssten den Band gründlichst überarbeiten.
Pia Nordblom