Rezension über:

Stefan Weiß: Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378). Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes, Berlin: Akademie Verlag 2002, 725 S., 7 Karten, ISBN 978-3-05-003640-3, EUR 84,80
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Rezension von:
Volker Hirsch
Siegen
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Selzer
Empfohlene Zitierweise:
Volker Hirsch: Rezension von: Stefan Weiß: Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378). Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes, Berlin: Akademie Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [15.04.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/04/1812.html


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Stefan Weiß: Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378)

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In den letzten Jahren hat sich die historische Forschung verstärkt der Untersuchung der mittelalterlichen Höfe und Residenzen gewidmet - hingewiesen sei nur auf die Arbeit der Residenzen-Kommission. Umso erstaunlicher ist es, wie auch Weiß feststellt, dass bisher "der größte und international bedeutendste Hof des Mittelalters" (17), der Hof des Papstes, kaum das Interesse der Forscher gefunden hat. So leistet die hier zu besprechende Studie, die von der Universität Augsburg als Habilitationsschrift angenommen wurde, einen wichtigen Beitrag zur Schließung dieser Lücke.

Grundlage der Arbeit sind die für den Untersuchungszeitraum fast geschlossen überlieferten Hauptbücher, welche die Einnahmen und Ausgaben der Apostolischen Kammer verzeichnen, sowie ihre detaillierteren und nur teilweise erhaltenen Vorstufen. Weiß ergänzt diese Grundlage durch die umsichtige Heranziehung anderer Quellen und der Forschungsliteratur.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch bietet mehr, als der Titel verspricht. Es geht nicht nur darum, wann, wo und welche Lebensmittel in welcher Menge und zu welchem Preis gekauft wurden, sondern auch darum, wen der Pontifex in welcher Form versorgte, wie er diese Versorgung verwaltete und organisierte oder was Papst und Gäste zu welchem Anlass in welchem Rahmen speisten. Und dies ist nur eine Auswahl der Fragen, die untersucht werden.

Einleitend schildert Weiß in einem eigenen Kapitel (III. Vorgeschichte) ausführlich die Rahmenbedingungen des Papsttums in der Provence. Gegenstand der Ausführungen sind Kammer und Hofämter zu Beginn des 14. Jahrhunderts sowie die Umstände der Übersiedlung des päpstlichen Hofes nach Avignon. Anschließend fragt Weiß nach der Organisation der Lebensmittelversorgung (Kapitel IV). In diesem Zusammenhang analysiert er nicht nur die Aufgaben und Zuständigkeiten der verschiedenen (Dienst-)Hofämter, sondern entwirft auch eine erste Skizze der höfischen Binnenstruktur. Es gab neben der päpstlichen Küche verschiedene Unterhaushalte; so verfügte zum Beispiel der Kämmerer über eine eigene Küche und stand einer separaten Tischgemeinschaft vor.

Die Quellengrundlage der Studie, die Kammerrechnungen, legen eine besondere Berücksichtigung des Alltags nahe. Hervorzuheben sind die Ausführungen über die soziale Differenzierung der Hofgesellschaft, die Weiß anhand der verzehrten Brotsorten aufschlüsselt (212-215). Ansonsten bleiben die Ausführungen zur Alltagsverpflegung eher konturlos. Dies ist jedoch nicht dem Verfasser anzulasten, sondern den Quellen. Diesen ist zwar zu entnehmen, dass man eigens Tücher zum Abtrocknen des Geschirrs erwarb (198), sie erlauben häufig aber keine genauen Aussagen über die verzehrten Speisen und Gerichte, da die Rechnungen über die Zubereitungsformen zumeist schweigen. Hier ist Weiß gezwungen, auf andere Quellen zurückzugreifen (217-221).

Dem interessierten Leser sei besonders das VI. Kapitel ans Herz gelegt. Hier wird der Nahrungsmittelkonsum sowohl in seiner Bedeutung für die innere Struktur der Hofgesellschaft als auch hinsichtlich seiner Wirkung nach außen betrachtet. Weiß beschreibt die Gepflogenheiten beim Empfang der Gäste; natürlich konnte nur eine Minderheit der Besucher persönlich mit dem Pontifex in Kontakt treten, die überwiegende Mehrheit musste mit Subalternen der Kurie vorlieb nehmen. In diesem Zusammenhang analysiert Weiß auch das System der Beziehungen, das es aufzubauen und zu nutzen galt, wollte man seine Ziele an der Kurie erreichen oder gar vom Papst empfangen werden.

Gäste wurden nicht nur zu öffentlichen Festmählern, deren Verlauf durch zeremonielle und liturgische Vorschriften geregelt war, eingeladen, sondern auch zu informellen und "intimere[n] Arbeitsessen" (241). Weiß stellt heraus, dass ein Abweichen vom Zeremoniell ein bewusst eingesetztes und wohl dosiertes Mittel der öffentlichen Ehrung oder Zurückweisung eines Gastes sein konnte (236). Die besondere Wertschätzung konnte auch durch die Unterbringung innerhalb des päpstlichen Palastes ihren Ausdruck finden. Vornehmster Gast war Kaiser Karl IV., der 1365 mit seinem engsten Gefolge im Palast logierte.

Nicht nur beim Empfang von Gästen kam dem Essen eine besondere Bedeutung zu, sondern auch bei der Formierung der Hofgesellschaft als Personenverband. Als engsten Kern der Hofgesellschaft kann Weiß jene Gruppe ausmachen, in deren Gemeinschaft der Papst seine täglichen Mahlzeiten einnahm. Zu dieser gehörten seine Kapläne und weitere Personen, die in der besonderen Gunst des Papstes standen.

Das öffentliche Bild des Papsthofes wurde besonders durch die Hoffeste bestimmt. Gerade Johannes XXII., über dessen asketische Lebensweise Einigkeit besteht, versuchte den päpstlichen Hof als Zentrum der höfischen Festkultur zu etablieren. Und dies auf bemerkenswerte Weise: Die weltliche Prachtentfaltung überließ er laikalen Verwandten, die hohe Positionen an der Kurie bekleideten, in eigens dafür ausgebauten Nebenresidenzen, er selbst versuchte in seinem Palast dagegen den kirchlichen Moralvorstellungen gerecht zu werden. Ein individueller Lösungsversuch des Rollenkonfliktes, dem sich jeder geistliche Fürst ausgesetzt sah: "Auf der einen Seite standen die herkömmlichen kirchlichen Moralvorstellungen - darunter die Forderung nach asketischem Leben -, auf der anderen Seite stand die neue höfisch-adlige Kultur mit ihrer Forderung nach verfeinerter Lebensführung" (293).

Ein solches Verhalten blieb allerdings eine Besonderheit. Weiß stellt abschließend fest, dass die Avignoneser Päpste Johannes XXII., Benedikt XII, Urban V. und mit Einschränkung auch Innozenz VI. einen eher einfachen Lebensstil pflegten. Anders Clemens VI. und Gregor XI., die keinerlei Zurückhaltung mehr zeigten und die höfischen Lebensformen im Papstpalast konzentrierten. Bis auf den Umgang mit Frauen standen sie in keinem Belang des höfischen Lebens hinter weltlichen Fürsten zurück. Gerade die großen Feste mögen für den schlechten Ruf des Avignoneser Papstums verantwortlich sein - wie Weiß zeigen kann, je nach Papst zu Unrecht. In dieser Differenziertheit, die hier nur angedeutet werden kann, liegt eine Stärke der Studie.

Unscharf bleibt dagegen die Unterscheidung von alltäglichen und außerordentlichen Verbrauchsgewohnheiten. Der Verfasser stellt fest, dass Unterschiede allein in der Menge, nicht in der Warenauswahl festzustellen seien (295). Das ist überraschend, weil er doch selbst darauf hinweist, dass zumindest einige Päpste auf eine einfache Lebensführung Wert legten.

In zwei weiteren Kapiteln (VII. Der Trend zur Selbstversorgung, VIII. Hof und Umland) geht Weiß der Frage nach, wie der Hof den immensen Bedarf an Lebensmitteln deckte. Eigenwirtschaft und Warenkäufe gingen hier Hand in Hand. Es bleibt festzuhalten, dass trotz einer in viele Bereiche bereits vorgedrungenen Geldwirtschaft an der Eigenwirtschaft nicht nur festgehalten, sondern diese sogar noch ausgebaut wurde. Eine Fundgrube sind die ausführlichen Untersuchungen der Einkaufs- und Transportmodalitäten. Hervorzuheben ist außerdem, dass innerhalb der Sachgliederungen immer auch Veränderungen und Entwicklungen während der verschiedenen Pontifikate herausgearbeitet werden.

Die Studie von Weiß stellt eine große Fleißleistung dar. Darüber hinaus zeichnet sich die Arbeit durch eine verständliche, klare Sprache und eine überzeugende Gliederung aus. Zu begrüßen sind außerdem die Zusammenfassungen, die sich am Ende eines jeden größeren Sinnabschnitts befinden und die einen raschen Zugriff auf die dargebotene Materialfülle ermöglichen. Empfohlen sei jedoch, sich auf eine ausführliche Lektüre einzulassen: Man wird mit einer Vielzahl von historischen Details und neuen Ansichten des Avignoneser Papsttums belohnt.


Volker Hirsch