Jan Björn Potthast: Das jüdische Zentralmuseum der SS in Prag. Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus, Frankfurt/M.: Campus 2002, 503 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-37060-6, EUR 49,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die vorliegende Studie, hervorgegangen aus einer Dissertation, untersucht auf hohem Niveau die Entstehung und Ausstellungstätigkeit des jüdischen Zentralmuseums in Prag. Die Ausstellungen des Museums wurden ab August 1940 unter Aufsicht der Zentralstelle für jüdische Auswanderung von jüdischen Wissenschaftlern aus den beschlagnahmten Sakralgegenständen der jüdischen Kultusgemeinden Böhmens und Mährens zusammengestellt.
Auf Grund der sehr bruchstückhaften Quellenlage ist weitgehend unklar, zu welchen Zwecken die SS während der Judenvernichtung ein jüdisches Zentralmuseum einrichten ließ, dessen Ausstellungen erstaunlicherweise nicht ein verzerrtes Bild des jüdischen "Weltfeindes" transportierten, sondern das religiöse Leben der böhmischen und mährischen Juden in realistischer und wissenschaftlich objektiver Weise wiedergaben. Der Autor weist nach, dass die Anregung zur Errichtung des Zentralmuseums offenbar zu Beginn der Deportationen nach Theresienstadt (und von dort nach Auschwitz) von der Jüdischen Kultusgemeinde Prags an den Leiter der Zentralstelle, SS-Sturmbannführer Hans Günther, herangetragen und von diesem genehmigt wurde. Der Mangel an zeitgenössischen deutschen Akten zum Gegenstand - sogar die Anordnungen Günthers sind lediglich Aktenvermerken und Tätigkeitsberichten der Museumsmitarbeiter und der diesen übergeordneten Jüdischen Kultusgemeinde in Prag zu entnehmen - lässt keine eindeutigen Aussagen zu, ob beziehungsweise inwiefern Günthers Vorgesetzte in Berlin (Adolf Eichmann) und Prag (der Stellvertretende Reichsprotektor und Reichssicherheitshauptamt-Chef Reinhard Heydrich, der Höhere SS- und Polizeiführer Karl Hermann Frank und der Befehlshaber der Sicherheitspolizei Horst Böhme, später Erwin Weinmann) überhaupt von dem Museumsprojekt Kenntnis hatten. Die vorliegende Studie belegt allerdings, und das ist neu, dass zumindest die Gruppe "Wirtschaft" im Amt des Reichsprotektors informiert war.
Während die Motivation der jüdischen Mitarbeiter, nämlich die Bewahrung wertvoller sakraler Gegenstände und der Erinnerung an die Juden Böhmens und Mährens, die ja gleichzeitig in die Vernichtungslager deportiert wurden, sowie das Erreichen einer Galgenfrist für die Mitarbeiter des Museums, anhand von Nachkriegsaussagen der wenigen Überlebenden klar belegt werden kann, gilt dies für die SS-Protagonisten nicht. Der Autor versucht deren Intentionen indirekt zu erschließen, indem er das Prager Museumsprojekt in den größeren Kontext erstens der NS-Gegnerforschung, zweitens des Eichmann-Apparates und drittens der konkreten antijüdischen Politik im Protektorat sowie der Sonderstellung der SS ebendort stellt. Diese anspruchsvollen Kontextualisierungen vermitteln interessante Einblicke in die pseudowissenschaftlichen, weil ideologisch instrumentalisierten wissenschaftlichen und Ausstellungsprojekte der NS-Gegnerforscher (Himmlers Sicherheitsdienst (SD), Rosenbergs Dienststelle, das Institut zur Erforschung der Judenfrage), die Enteignung jüdischen Besitzes im Protektorat und die erzwungene Zusammenarbeit von Jüdischer Kultusgemeinde und Zentraler Auswanderungsstelle, erhellen aber die Konzeption des jüdischen Zentralmuseums nur insoweit, als diese eben nicht dem üblichen "weltanschaulichen" Muster des Freimaurermuseums des SD oder der Ausstellung "Der Ewige Jude" folgte.
Die Einzigartigkeit des in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwirklichung der "Endlösung der Judenfrage" stehenden Museumsprojekts in der gewählten, nicht primär ideologisierten Form wird durch die Abgrenzung von verwandten Projekten der SS und des Amtes Rosenberg eindringlich verdeutlicht. Leider tragen die Hypothesen des Autors zu den Intentionen der SS auf Grund der Quellenlage zwangsläufig den Charakter zwar intelligenter und teilweise durchaus plausibler, aber eben nicht belegbarer Spekulation. So kann man anhand der Befehlskette und der Strukturen des SS-Apparates im Protektorat zwar annehmen, dass Heydrich, Frank und Eichmann im Bilde waren, aber gesichert ist nicht einmal das. Vor dem Hintergrund ihrer Protektorats- und antijüdischen Politik scheint einiges für die in der Studie diskutierten möglichen Absichten, nämlich die Nutzung des Museumsprojekts zur internen Schulung von SD-Kadern und keineswegs die Zugänglichmachung für eine breitere Öffentlichkeit, zu sprechen. Aufschluss könnte in dieser Frage aber nur eine heute nicht abzusehende Erweiterung der Quellenbasis geben.
Der Veröffentlichung hätte allerdings eine sorgfältigere Redaktion nicht geschadet, da sie einige ärgerliche Fehler enthält. Es hätte vor allem möglich sein müssen, die tschechischen Personen- und Ortsnamen in der korrekten Schreibweise wiederzugeben. Insgesamt stellt die Studie freilich einen wertvollen Beitrag zur Geschichte des Jüdischen Zentralmuseums dar, das in dieser Ausführlichkeit und unter Einbeziehung wohl nahezu allen einschlägigen Quellenmaterials noch nicht behandelt worden ist.
René Küpper