Marta Mlynarska-Kaletynowa (ed.): Atlas historyczny miast polskich. Tom IV: Śląsk, zeszyt 1: Wrocław. Historischer Atlas polnischer Städte. Bd. IV: Schlesien, H. 1: Breslau. Unter Mitarbeit v. Rafał Eysymontt, Wrocław: Via Nova 2001, Textteil: 36 S., 39 Taf. i. Mappe, ISBN 978-83-88649-24-0
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Mit dieser der Metropole Breslau gewidmeten Mappe weitet der "Polnische Städteatlas" sein Bearbeitungsgebiet auf die Region Schlesien aus. Bisher sind in diesem seit 1993 betriebenen Atlasvorhaben folgende ( früher ost- und westpreußische ( Städte im Norden Polens bearbeitet worden: Braniewo/Braunsberg, Bydgoszcz/Bromberg, Chełmno/Kulm, Elbląg/Elbing, Giżycko/Lötzen, Grudziąz/Graudenz und Toruń/Thorn. Als erstes Land des östlichen Mitteleuropa war Polen damit dem von der Internationalen Kommission für Stadtgeschichte bereits in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts entwickelten, europaweit angelegten Projekt der historischen Städteatlanten gefolgt, dem sich bisher sechzehn Länder angeschlossen haben. Im Hinblick auf eine angestrebte Vergleichbarkeit der Städte sah das Konzept folgende Grundelemente vor: als Hauptkarte den ältesten verfügbaren Katasterplan 1:2.500 (in der Regel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts); eine Umlandkarte 1:25.000 etwa aus derselben Zeit, die die weitere Umgebung der Stadt zeigt; eine aktuelle Stadtkarte 1:5.000; eine Wachstumsphasenkarte 1:5.000, die in Auswertung textlicher und kartografischer Quellen die räumliche und zeitliche Entwicklung der Stadt rekonstruiert; relevante thematische Beikarten sowie einen konzisen Abriss der Stadtgeschichte im Begleittext.
Über diesen Standard geht das von Historikern, Kunsthistorikern, Archäologen und Architekten interdisziplinär erarbeitete Heft Breslau weit hinaus. In der bisher umfassendsten Bearbeitung einer Stadt enthält es 39 Tafeln, von denen allein 28 zum Teil unikale kartografische Quellen und Ansichten aus Archiven und Bibliotheken in Breslau, Berlin und Wien wiedergeben, die die Entwicklung Breslaus vom Ende des 15. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Darunter werden so einzigartige Monumente wie die Stadtansicht Breslaus aus dem Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich von 1537 oder der 1945 verloren gegangene Stadtplan von Barthel Weyhner von 1562 der Öffentlichkeit präsentiert, aber auch Detailstudien geboten, die etwa den Verlauf der Stadtohle, welche die südliche Begrenzung der Plananlage der Stadt von 1242 darstellt, samt Parzellierung in Ufernähe (1837) verzeichnen. Ein amtlicher Plan der Hauptstadt Breslau von 1939 und eine Luftaufnahme der Stadt von 1994 an Stelle eines aktuellen Stadtplans schließen diesen Teil ab. Annotationen zu den einzelnen Karten finden sich in der Textbeilage.
Neben dieser bisher umfangreichsten Edition kartografischer Quellen im Rahmen der europäischen Städteatlanten geht auch die Bearbeitung der auf elf Tafeln dargebotenen thematischen Karten weit über die bisherigen Grundelemente hinaus und greift damit zugleich die aktuellen Empfehlungen nach neuen Formen der Präsentation stadtgeschichtlicher Inhalte auf. Tafel 1 enthält auf Grund unzureichender älterer Kartengrundlagen den recht späten Katasterplan des Stadtzentrums von 1902/18, der in diesem Fall allerdings mit dem zeitlichen Endpunkt der textlichen Darstellung korrespondiert.
Auf Tafel 2 wird die von polnischen und deutschen Mediävisten seit langem diskutierte Frühgeschichte Breslaus (vor 1250) auf der Basis von zum Teil neuesten archäologischen Forschungsergebnissen dargestellt. Tafel 3 ergänzt unmittelbar die textlichen Ausführungen zur räumlichen Entwicklung der Stadt um 1300, also wenige Jahrzehnte nach der Neuanlage der Stadt infolge des Mongoleneinfalls von 1241. Ebenfalls auf der Basis neuester, zum Teil unveröffentlichter archäologischer und architekturhistorischer Forschungen stellt Tafel 4 die mittelalterliche steinerne Bebauung auf der Grundlage des Katasters von 1902/18 dar. In direkter Ergänzung dazu bietet Tafel 5 eine aufschlussreiche Detailstudie über die Entwicklung der Bebauung zweier Blöcke westlich des Rings vom 13. bis zum 16. Jahrhundert.
Die Tafeln 6-8 stellen den Funktions- und Raumwandel der Stadt in den Zeitabschnitten bis 1530, 1530-1807 und 1807-1918 dar und ersetzen damit die in den bisherigen Heften der Städteatlanten praktizierte Darstellung der räumlich-zeitlichen Entwicklung der Stadt mittels Wachstumsphasenkarten. Hier werden auch die zunächst im Katasterplan (Tafel 1) vermissten, weil in anderen Städteatlanten eingezeichneten, öffentlichen Gebäude hervorgehoben und in einer tief, nach Sachgruppen farbig gegeneinander abgesetzten, gestaffelten Legende erläutert (Tafel 9). Tafel 10 behandelt die Entwicklungsphasen der Befestigungsanlagen von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Tafel 11 zeigt die Gliederung der katholischen Pfarrbereiche in Stadt und Vorstädten für die Zeit um 1750 und um 1810 auf der Basis zweier zeitgenössischer Karten. In der Regel wurden diese Karten in der oben genannten, im Hinblick auf eine Vergleichbarkeit der Städte notwendigen Folgemaßstäblichkeit erarbeitet. Lediglich die Tafeln 4, 6 und 10 mit dem Maßstab 1:4.000 beziehungsweise 1:7.000 weichen von diesem Prinzip ab.
Auch das zweisprachig polnisch/deutsch gestaltete Textheft spiegelt die in den letzten Jahrzehnten gemachten deutlichen Fortschritte der Forschungen zur Stadtgeschichte Breslaus, zur räumlichen Veränderung der Stadt durch die Jahrhunderte, wieder. Sie gaben den Ausschlag für eine weitere Bearbeitung Breslaus diesmal im Rahmen des "Historischen Atlas polnischer Städte", nachdem die Stadt noch 1989 als Teil des "Deutschen Städteatlas" erschienen ist! Das von Vertretern verschiedener Disziplinen erarbeitete Textheft fasst die wichtigsten Etappen von Stadtgeschichte und räumlichem Wandel Breslaus zusammen: "Von den Anfängen bis zur Aussetzung der Stadt nach deutschem Recht", "Soziale und räumliche Entwicklung der Stadt nach der Aussetzung nach deutschem Recht, "Die räumliche und architektonische Entwicklung Breslaus vom 16. bis zum 18. Jahrhundert", "Die Entwicklung Breslaus in den Jahren 1807-1918".
Der Anspruch der Herausgeber, mit dem Heft Breslau zu Vergleichsstudien über die europäische Stadt anzuregen, den Bedürfnissen der Stadtplanung und des Denkmalschutzes zu dienen, aber zugleich auch einen attraktiven Überblick über die städtische Entwicklung Breslaus für ein breiteres Publikum zu bieten, ist nicht zuletzt dank der exzellenten Druckqualität voll eingelöst. Die Arbeit an den europäischen Stadtatlanten hat mit dem Heft Breslau eine neue Qualitätsebene erreicht!
Wolfgang Kreft