Michael Trauth: Eine Begegnung von Wissenschaft und Aufklärung. Die Universität Trier im 18. Jahrhundert, Trier: Spee 2000, 484 S., 5 Abb., ISBN 978-3-87760-160-0, EUR 34,80
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Universitätsgeschichte setzt notwendigerweise lokal an. Gerade hierin kann jedoch ihr übergreifendes Interesse liegen. Die Geschichte der Universitäten ist engstens mit der Geschichte der Wissenschaften und der Wissenschaft als übergreifendem Konzept verbunden. Wenn die aktuelle Wissenschaftsgeschichte und -forschung unter dem Stichwort "locality" der zunächst plausiblen Idee, es gebe ein einheitliches und feststehendes Verständnis von Wissenschaft, die Beobachtung gegenüberstellt, dass sich in unterschiedlichen lokalen Kontexten sehr wohl unterschiedliche, miteinander nicht unbedingt kompatible Wissenschaftsauffassungen herausbilden können, so bietet die Universitätsgeschichte für derartige Untersuchungen eine ideale Materialbasis. Auf Grund ihres eigenen Rechtsstatus können Universitäten als Institutionen (relativ) präzise abgegrenzt werden; externe Zwänge wie Finanzierungsbedingungen, personelle Ausstattung, konfessionelle Ausrichtung, obrigkeitliche Ansprüche können anhand solcher definierter Institutionen gut studiert werden. Zudem sind Universitäten, insbesondere in Phasen der Neuordnung, von theoretischen und auch explizit formulierten Überlegungen zu ihrer Rolle als Orte der Wissensvermittlung oder -produktion abhängig.
Diesen Möglichkeiten universitätsgeschichtlicher Forschung stehen gewichtige Schwierigkeiten bereits bei der Materialerschließung gegenüber. Heterogene Materialien (juristische Urkunden, prosopographische Daten, wissenschaftliche Publikationen, Sammlungen und Gebäude, um nur einige zu nennen) sind aufzuarbeiten und in Beziehung zu bringen. Der lokale Ansatz, der nicht selten auch heute der Identitätsstiftung der jeweiligen Universität verpflichtet ist, kann eine Form heroischer Geschichtsbetrachtung fördern, die den skizzierten methodischen Perspektiven zuwiderläuft.
Der Gegenstand von Michael Trauths Arbeit zur Universität Trier im 18. Jahrhundert (einer überarbeiteten Fassung einer Trierer Dissertation von 1987/88) ist vor diesem Hintergrund von großem Interesse. Für die Universitätsgeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts standen vornehmlich die protestantischen Neugründungen Halle (1694) und Göttingen (1737) im Mittelpunkt, in denen neue Organisationsformen und ein neues Verständnis von Wissenschaft zusammentrafen. Wie stellt sich nun im Vergleich dazu die Geschichte einer älteren (die Gründung der Universität Trier geht auf das Jahr 1454 zurück, der Lehrbetrieb wurde 1473 aufgenommen), katholischen, nicht durch überragende Persönlichkeiten in Forschung und Lehre ausgezeichneten Universität dar?
Die Materialsituation gestaltet sich für Trier insofern besonders problematisch, als das Archiv der Universität mit ihrer Schließung im Jahr 1798 ebenfalls aufgelöst wurde und zudem bereits vorher nicht sorgfältig geführt worden war. Deshalb ist der Überblick, den Trauth über die in unterschiedlichen Archiven erhaltenen Bestände gibt, von besonderer Bedeutung (393-425). Nicht hoch genug einschätzen kann man auch, dass es Trauth gelingt, seine Darstellung durchgehend auf archivalisch nachweisbare Belege zu stützen. Der Anhang druckt einige zentrale Dokumente komplett ab.
Die Geschichte der Universität Trier im 18. Jahrhundert ist bewegt. In mehreren Wellen werden Reformen vorgeschlagen oder vorgenommen (etwa 1722, 1750/1, 1768/9), die Jesuiten werden als Träger des philosophischen und theologischen Unterrichts abgelöst. Eine einleitende Übersicht über diese Entwicklungen wäre hilfreich gewesen; insbesondere fehlt eine eingehendere Darstellung und Diskussion der Auflösung der Universität 1798 völlig. Ein weiteres Desiderat sind umfassende Angaben über die Frequenz, die Entwicklung von Personal und Lehrstühlen oder die Herkunft und Zusammensetzung der Studentenschaft.
Trauth schreibt die Geschichte der Universität Trier wesentlich im Ausgang von universitätsinternen Quellen. Er orientiert sich an den einzelnen Fakultäten, denen in der Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Universität große Eigenständigkeit zuwuchs (20). Bereits ein erster Vergleich der Lage und Entwicklung der Fakultäten ergibt interessante Befunde. In den Fakultäten laufen durchaus differente Entwicklungen ab, und die Reformansätze setzen selektiv an. Grundlegend hierfür ist die Trennung der "weltlichen" Fakultäten von den "geistlichen", also den jesuitisch dominierten und dadurch verklammerten theologischen und philosophischen Fakultäten.
Ein erster Reformansatz betraf im Jahr 1722 die beiden weltlichen Fakultäten, um der nur noch als "Torso" existierenden juristischen und der medizinischen Fakultät, die "als Studienbetrieb ganz erloschen war" (41), aufzuhelfen. Ihr fehlten alle typischen Einrichtungen wie ein botanischer Garten, anatomisches Theater, Klinik oder auch nur eine Bibliothek. Reformvorschläge von 1768 unter Kurfürst Clemens Wenceslaus versuchten, dem - wenn auch ohne Besserung in der Ausstattung der Universität - abzuhelfen (etwa durch Exkursionen statt Anlegung eines botanischen Gartens). Allerdings wies die Fakultät die Reformvorschläge weitgehend ab. In beiden Fakultäten war entsprechend eine Verbesserung des Unterrichts kaum möglich; die Frequenz blieb gering.
Die Lage der philosophischen und theologischen Fakultät unterschied sich deutlich. Ab 1561 trugen die Jesuiten den Unterricht in diesen Gebieten, mit großem Erfolg. Trotz der engen Verflechtung von Universität und Societas Jesu betont Trauth die "eindeutige Separiertheit". Die eigenständig organisierten und dotierten Jesuiten wahrten stets einen unabhängigen Status gegenüber der Korporation Universität, weshalb Trier auch nicht im eigentlichen Sinn als "Jesuitenuniversität" zu bezeichnen sei (114). Kritik an der Rolle der Jesuiten formierte sich im 18. Jahrhundert bereits unter Georg Christoph Neller, seit 1748 Professor für kanonisches Recht und eine der profiliertesten Persönlichkeiten an der Universität Trier im 18. Jahrhundert (116-122), und dem Prokanzler Johann Nikolaus von Hontheim. Ab 1763 beriet man über die Einrichtung eines eigenen universitären Theologiums, wobei in den Dokumenten selbst von "der heütig mehr auffklärte[n] Arth" der Lehre die Rede ist, der so Rechnung getragen werden sollte (127). In der entsprechenden Debatte werde, so Trauth, aber nicht auf "Wissenschaftsinterna" Bezug genommen (142), viel wichtiger seien Fragen der personellen Separation von Jesuitenkolleg und Universität, Fragen statutenkonformer Unterrichtsgestaltung und nicht zuletzt hochschulpolitische Intrigen. Das Ergebnis der Reform ist bezeichnend. Räumliche und finanzielle Ausstattung erwiesen sich als problematisch. Nicht zuletzt aus diesen Gründen musste der Unterricht in den Händen einer etablierten kirchlichen Organisation bleiben; er wurde von den Benediktinern übernommen. Noch auffälliger ist, dass auch nach Auflösung des Jesuitenordens 1773 die Zustände nicht wesentlich geändert wurden. Der Kurfürst gründete - nicht zuletzt aus persönlicher Hochschätzung der Jesuiten - im Jahr 1773 ein neues Seminar, das "Klementinum", auf jesuitischen Gütern und zunächst ausschließlich mit Exjesuiten besetzt. 1779 gingen dann die Universitätstheologie genauso wie die Philosophie im Klementinum auf. Auch die Beziehung der Benediktiner darf, wie Trauth betont, nicht unbedingt als eindeutiger Fortschritt in Richtung eines aufgeklärten Unterrichts verstanden werden (zum Beispiel 154).
Damit verfestigt sich der Eindruck, dass an der Universität Trier "Modernisierungen" kaum durchführbar waren. Ein besonders markantes Beispiel: Die Professur Jakob Schmelzers (in Trier 1790-92) in der philosophischen Fakultät, eines Hoffnungsträgers für einen Fortschritt im Sinne der Aufklärung, wurde nach dessen baldigem Weggang wieder von dessen Vorgänger übernommen. Der Kritik an der "neue[n] Lehr-Art" (S. 238), die in diesem Zusammenhang laut geworden war, wurde in diesem Fall durch eine denkbar unmittelbare Rückkehr zu den alten Zuständen Rechnung getragen. Trier könne deshalb, so Trauth, als bestenfalls gemäßigt aufgeklärte Universität bezeichnet werden.
In fünf Exkursen behandelt Trauth weitere Aspekte der Trierer Universitätsgeschichte ("Varia"), von philologischen Einzelheiten, Angaben zum Gebäudebesitz, zur akademischen Jurisdiktion hin zu einer sehr plastischen Darstellung des "Doktorschmauses" und einer eingehenden Erörterung der Zensurpraxis.
Trauths Darstellung ordnet sich den Begriffen "Wissenschaft" und "Aufklärung" unter. Sein Ansatz (339) sucht nach "Einblick in das dialektische Geschehen zwischen neuer geistiger Bewegung, tradierter Ordnung und aktuellen Interessenkonstellationen am Beispiel einer Bildungsanstalt", um so isolierter Ideen- oder Personengeschichte, aber auch isolierter Institutionengeschichte zu entgehen. Eine methodische Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass beide Leitbegriffe kaum verbindlich definierbar sind und insbesondere ihre Bedeutung im betrachteten Zeitraum nicht einheitlich feststeht. Trauth orientiert sich einerseits an den Modellen Halle und Göttingen, andererseits konkretisiert er den Begriff "Aufklärung" dahingehend, dass Aufklärung für die Universitäten des 18. Jahrhunderts grundsätzlich eine "Modernisierung" (19) bedeutet habe und er sich deshalb auf die Untersuchung von Reform- und Modernisierungsprozessen konzentrieren könne. Im lokalen Ansatz ist schwer zu sehen, wie man anders vorgehen könnte (eine Ergänzung oder Alternative könnte darin bestehen, der Verwendung von Begriffen wie "Aufklärung" und "Wissenschaft" in den universitätsbezüglichen Schriften selbst nachzugehen). Seine Ergebnisse zeigen, dass insbesondere das polare Begriffspaar "Modernisierung" beziehungsweise "Reform" versus "Tradition" nicht unbedingt einen geeigneten Rahmen zur Beschreibung der Entwicklungen an der Universität Trier abgibt. Finanzielle Einschränkungen, personelle und institutionelle Beharrungskräfte ließen mehrfach Reformansätze zu einer Restitution der Tradition werden. Die Überlegungen Trauths zur Universität Trier sind in ihrem Detailreichtum und in ihrem Quellenbezug überaus beeindruckend. Einige kleinere Ungenauigkeiten - "tabulae anatomicae" sind nicht anatomische "Tabellen" (99), sondern "Tafeln", und es ist keineswegs ungewöhnlich (140), dass Professoren ihre Lehrveranstaltungen im eigenen Haus lesen mussten - beeinträchtigen diese Qualitäten der Arbeit in keiner Weise.
Zu fragen bleibt aber, in welcher Weise die Orientierung von Universitätsgeschichte an vorausgesetzten Leitbegriffen wie "Wissenschaft" und "Aufklärung" fruchtbar zu machen ist. Einerseits sind diese Begriffe und die Orte, wie eben die Universitäten, an denen Wissenschaft in jeweils spezifischer Ausprägung produziert werden, untrennbar miteinander verknüpft. Andererseits kann ein und derselbe Wissenschaftsbegriff an strukturell unterschiedlichen Universitäten umgesetzt werden. Der Blick auf einen Ort wie Trier und die Details seiner Geschichte sind in besonderer Weise geeignet, die Aufmerksamkeit für solche Fragen zu schärfen.
Paul Ziche