Rezension über:

Sabine Felder: Spätbarocke Altarreliefs. Die Bildwerke in Filippo Juvarras Superga bei Turin (= zephir), Emsdetten / Berlin: edition imorde 2001, 332 S., 2 Farb-, 82 s/w-Abb., ISBN 978-3-9805644-8-9, EUR 30,00
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Rezension von:
Antje Scherner
Staatliche Kunstsammlungen, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Eva-Bettina Krems
Empfohlene Zitierweise:
Antje Scherner: Rezension von: Sabine Felder: Spätbarocke Altarreliefs. Die Bildwerke in Filippo Juvarras Superga bei Turin, Emsdetten / Berlin: edition imorde 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 7/8 [15.07.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/07/3353.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Sabine Felder: Spätbarocke Altarreliefs

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Zwischen 1717 und 1735 errichtete Filippo Juvarra auf einer Anhöhe bei Turin eine Marienkirche, die unter dem Namen Superga bekannt geworden ist. Mit ihr kam Vittorio Amedeo II. von Savoyen einem Gelöbnis nach, das er 1706 vor seinem Sieg über die französischen Belagerungstruppen vor Turin geleistet hatte. Gleichzeitig war die Kirche vermutlich von Anfang an als Grablege für das 1713 zur Königswürde gelangte Haus Savoyen gedacht. Nachdem bereits zahlreiche Studien zur Architektur der Superga erschienen sind, legt Sabine Felder nun die erste monografische Studie zu den vier monumentalen Altarreliefs vor, die unter der Gesamtleitung Juvarras in den Jahren 1726 bis1733 von römischen Bildhauern angefertigt wurden.

Felders Arbeit gliedert sich in sechs Großkapitel: Kapitel 1 beleuchtet die politischen Hintergründe des Bauprojekts und erläutert die Wahl der Bildhauer mit Blick auf deren Rolle im römischen Kunstbetrieb. Kapitel 2 widmet sich den Entstehungsbedingungen der Reliefs, insbesondere Juvarras schriftlichen Anweisungen an den Bildhauer des Hochaltarreliefs, die neben den üblichen Vertragsbedingungen (Anfertigung von Modellen, Vollendungszeitraum) auch Detailfragen der künstlerischen Gestaltung wie Oberflächenbehandlung, Figurengröße, Reliefhöhe und Rahmenüberschneidungen regelten. Kapitel 3 und 4 diskutieren die künstlerischen Aspekte der Altarreliefs hinsichtlich ihrer thematischen Vorbilder (Maratta, Trevisani, Bernini) und der Gattung als solcher. Die Seitenaltarreliefs werden dabei in Entwicklungslinien gestellt, die auf das Gegensatzpaar "skulptural" und "malerisch" hin polarisiert werden, wobei diese Begrifflichkeit dem 19. Jahrhundert folgt. Kapitel 5 diskutiert mit der Untersuchung des Hochaltars das Problemfeld "Architekt - Bildhauer" und arbeitet prononciert Juvarras Suche nach einer hochbarocken Altarlösung heraus. Das Abschlusskapitel widmet sich schließlich der Interpretation des Ausstattungsprogramms in seiner Gesamtheit und der Frage nach der Wahl der Gattung Relief.

In diesem Zusammenhang interpretiert die Autorin das Hochaltarrelief mit der "Fürbitte Beato Amedeos während der Schlacht von Turin" als "monumentales Votivbild". Hinter dem dargestellten Heiligen verberge sich der Stifter der Kirche, Vittorio Amedeo II., dessen "Caritas und Humilitas" das Altarbild versinnbildliche. Das Monumentalrelief wird in Anlehnung an Preimesbergers Überlegungen zu Algardis Attila-Relief in Sankt Peter als diejenige Kunstgattung verstanden, deren Erhabenheit und Stilhöhe dem "Decorum" der fürstlichen Votivkirche und Grablege am besten entspreche.

Felders Arbeit ist reich an Einzelbeobachtungen und Ergebnissen, von denen hier nur die wichtigsten referiert werden können. Die ausführlichen Viten Bernardino Camettis (aufbauend auf Ursula Schlegels Untersuchungen) und des bislang kaum erforschten Agostino Cornacchini zählen auf Grund von Quellenfunden und Neudatierungen einzelner Werke sicher zu den bedeutendsten Forschungserträgen der Arbeit. Erstmals bietet die Autorin außerdem einen Überblick über die römischen Altarreliefs des 17. und 18. Jahrhunderts, wobei sie sich hier jedoch überwiegend auf Vorarbeiten stützen kann. Neu sind indessen ihre Beobachtungen zur Tiefenräumlichkeit in Reliefs. Felder hebt die Bedeutung des "all'angolo"-Motivs, also der über Eck gestellten Bildmotive hervor, die von französischen Bildhauern in die römische Reliefkunst eingeführt wurden. Sie ermöglichten bei tiefenräumlichen Reliefs die fehlerfreie Schrägansicht, die für die Seitenaltarreliefs der Superga das künstlerische Hauptproblem darstellte.

Schließlich sind Felders Überlegungen zum Verhältnis von Architekt und Bildhauer bei der Gestaltung des Hochaltars hervorzuheben. Am Beispiel dieses durch Zeichnungen und Schriftquellen gut dokumentierten Altarreliefs betont die Autorin, dass Juvarra auf ein seicenteskes "Barockrelief" gezielt habe, was sich besonders in seinem expliziten Hinweis auf Algardis Attila-Relief in Sankt Peter zeige. Hier kontrastiere seine Auffassung von Skulptur mit derjenigen Alessandro Galileis in der wenig späteren Corsini-Kapelle des Lateran, wo der Skulptur Rahmen oder Nischenüberschneidung verwehrt bleiben. Felder sieht hier zurecht einen grundlegenden Paradigmenwechsel bezüglich der Rolle der Skulptur im Raum.

Die Autorin referiert ausführlich Quellen, Literatur, Werke und Hintergründe, lässt aber in manchen Fragen den entschiedenen Zugriff auf die eigentliche Problemstellung vermissen. Dies wird besonders in einem Fall deutlich, der einen größeren Kreis von Fragen anschneidet, als ihn die Arbeit thematisiert: die Diskussion des "Reliefs" als einer Bildgattung mit eigener Problemlage.

Ausgehend von der Feststellung Preimesbergers einer "gesteigerten Antithetik von Figur und Grund" (Kunstchronik, 23, 1970, 292) untersucht die Autorin das Verhältnis der beiden gestalterischen Größen "Figur" und "Reliefgrund" im 17. Jahrhundert und stellt die zunehmende Isolierung der Figuren vor einem immer abstrakter gestalteten Reliefgrund bei der Mehrzahl ihrer Beispiele - so auch beim Verkündigungsrelief von Cametti in der Superga - fest. Diese Gestaltungsweise wird - ohne dies explizit auszusprechen - als "skulptural" begriffen und einer mehr "malerischen" Reliefauffassung entgegengesetzt.

Letztere sieht die Autorin in Cornacchinis Geburt Mariens verwirklicht. Als "malerisch" gelten tiefenräumlich angelegte, hinsichtlich der Reliefgrade vielfach abgestufte und mit differenzierter Oberflächengestaltung belebte Reliefs. Felder führt diese in Rom gegen Ende des 17. Jahrhunderts auftretende Tendenz vor allem auf den Einfluss französischer Bildhauer zurück. In Anlehnung an französische Kunsttheoretiker des späten 17. Jahrhunderts (Perraults "Parallèle des Anciens et des Modernes") definiert sie das "malerische" Relief als "moderne" Ausprägung der Gattung: Cornacchini habe sich bei der Mariengeburt also am "modernen" französischen Reliefstil orientiert, während Cametti am "skulpturalen" Relief des römischen Seicento festhielt.

Die Aufteilung des Reliefschaffens in eine dominierende "skulpturale" und eine jüngere "malerische" Tradition ist allerdings problematisch. Sie entstammt einer Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts und findet in den Quellen des 17. Jahrhunderts keine Entsprechung. Auch ignoriert sie, dass der plastische "Modus" römischer Barockreliefs von ihrer Thematik und ihrer Funktion im Kirchenraum bestimmt wurde. Schon A. E. Brinckmann und andere haben auf die fließenden Grenzen zwischen freiplastischen Altargruppen und den seicentesken Altarreliefs hingewiesen. Bislang wurde übersehen, dass es das Ziel solcher Altarensembles - auch der Reliefs - war, Personen und Handlungen als zeitloses Heilsgeschehen am Ort und in der Gegenwart des Betrachters anzusiedeln und dieses ihm nicht als historisches Ereignis zu entrücken. Genau diese Absicht erklärt den weitgehenden Verzicht auf Reliefgrund und perspektivischen Bildraum. "Malerische" Reliefs wurden hingegen dort eingesetzt, wo Örtlichkeit und Zeit als eigener Faktor der historischen oder biblischen Erzählung wichtig waren - etwa in Vorgeschichte oder Begleitumständen. Genau diese Forderung wurde seit 1677 in den Akademiewettbewerben der Lukasakademie jährlich an die Nachwuchsbildhauer gerichtet. Die überlieferten Themenstellungen und erhaltenen Wettbewerbsreliefs belegen, wie intensiv der Nachwuchs an erzählerisch reichen Stoffen des Alten Testaments oder der Profanhistorie geschult wurde. Es war diese "malerische" Gattung, in der künstlerische Reife erreicht und dokumentiert werden sollte. Von Cametti ist bekannt, dass er ein solches Wettbewerbsrelief eingereicht hat, auch wenn es nicht erhalten ist. Dass er in der Superga für seine Verkündigung trotzdem die "skulpturale" Ausführung bevorzugt, beweist einmal mehr die Freiheit und Souveränität seiner Moduswahl in Bezug auf eine möglichst äquivalente Vergegenwärtigung des Bildgegenstands. Und dass Cornacchini für die erzählerisch reichere Mariengeburt eine andere Wahl triff, erklärt sich vor diesem Hintergrund fast von selbst.

Das römische Barockrelief, dessen Komplexität in der Dichotomie "skulptural" - "malerisch" nur unzureichend erfasst wird, hätte eine tief schürfendere Analyse verdient.

Antje Scherner