Johannes Kunisch (Hg.): Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Neue Folge; Beiheft 6), Berlin: Duncker & Humblot 2002, X + 292 S., ISBN 978-3-428-10796-4, EUR 52,00
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Jahrestage und Jubiläen sind in gewisser Weise - wenn auch in größerem zeitlichen Abstand - die Olympischen Spiele der Historiker. Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Großzügigkeit der Geldgeber treffen zu runden Geburtstagen mehr oder minder bedeutender Ereignisse auf angenehme Art und Weise zusammen, und es wäre geradezu fahrlässig, unter derart positiven Rahmendingungen auf die Veranstaltung der einschlägigen Tagungen, die Ausrichtung der passenden Ausstellungen und die Veröffentlichung der dazugehörigen Sammelbände und Kataloge zu verzichten. Leider entspricht die Konjunktur der wissenschaftlichen Arbeit jedoch häufig nicht dem durch die Jahrestage vorgegebenen Rhythmus, und die Inhalte und Ergebnisse der Geburtstagsfeierlichkeiten sind daher - sieht man von langfristig erwarteten und entsprechend vorbereiteten Jubiläen wie denen der Französischen Revolution oder der Westfälischen Friedensverträge ab - oft von enttäuschender Banalität. Der äußere Schein der Jubelfeier scheint selbst dann auszureichen, wenn dahinter wenig Neues oder Originelles zu finden ist.
Der vorliegende Sammelband zum 300. Jahrestag der preußischen Königskrönung, der aus einer Tagung hervorgegangen ist, die im November 2000 in der Eosanderkapelle des Schlosses Charlottenburg stattfand, ist ein fulminantes Argument gegen diese Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Fruchtbarkeit von Jubiläumsveranstaltungen. Jeder einzelne der elf Beiträge beleuchtet einen anderen Aspekt der Krönung, ihrer Vorgeschichte, ihrer Begleitumstände und ihrer Nachwirkung. Dabei fügen sich die Ergebnisse aller Aufsätze einerseits zu einem differenzierten Gesamtbild der "Krönungsgeschichte", während andererseits das Neue und Originelle in jedem einzelnen Text durch gelungene Quellenauswahl und/oder interessante theoretisch-methodische Ansätze zur Geltung kommt.
"Eitle Nichtigkeiten hielt er für echte Größe [...], hing mehr an blendendem Glanz als nützlicher Gelegenheit" (266), schrieb Friedrich der Große über seinen Großvater, und sein abfälliges Urteil über den ersten preußischen König hat die deutsche Geschichtsschreibung lange geprägt - die darüber übersehen hat, dass derselbe Friedrich der Große ausgerechnet die Königskrönung als ein "chef d'œuvre de politique" (274) ansah. Diese beiden scheinbar widersprüchlichen Aussagen werden durch die Interpretationen des Sammelbandes zusammengeführt und in einen umfassenden historischen Kontext gestellt.
Die Königskrönung war im Umfeld der frühneuzeitlichen Staatenwelt ein "'symbolisches Kapital', das früher oder später politische Zinsen trug" (25). Sie fügte sich mit ihrer Symbolik von Zeremoniell und Ansehen einerseits in das Bemühen um den "Nachweis, daß die Hohenzollern 'von königlichen und fürstlichen Stamm und geblüth herkommen'" (46) und wurde in ihrer Bedeutung und Unanfechtbarkeit auch durch die Salbung als einer "chose très nécessaire" (129) unterstützt. Andererseits passte die Königskrönung in ein Programm der "Monarchisierung", das Friedrich III./I. - trotz seiner "eher schwachen, vielfach von ihren Ratgebern und Günstlingen abhängigen Persönlichkeit" (71) - durch eine "unübersehbare Distanzierung" (107) von den Landständen in der Krönungszeremonie ebenso deutlich machte wie durch seine Bautätigkeiten am Berliner Stadtschloss, mit dem er "die bislang provinzielle Prägung der Region abstreifte" (185).
Im internationalen Kontext traf das preußische Vorgehen mit den Interessen der Hofburg zusammen, die sich an der Wende "von der kaiserlichen Klientelpolitik gegenüber dem Kurfürsten von Brandenburg im Rahmen der Rückkehr des Kaisers ins Reich hin zur österreichischen Großmacht- und Bündnispolitik gegenüber dem König von Preußen im Rahmen der europäischen Politik" (224) befand. Gleichzeitig gelang es Friedrich III./I., durch geschickte Auslegung der Subsidien- und Unterstützungsvereinbarungen aus dem Krontraktat "mit dem [...] in jedem Fall [...] der Situation angepaßten Einsatz seiner Armee noch als Auxiliartruppe im Windschatten der Großmächte den Grundstein für den weiteren Aufstieg seines Staates" (254 f.) zu legen. So erscheint die Königskrönung schließlich als ein überaus geschickter Schachzug im Spiel der Entstehung des europäischen Staatensystems, bei dem jedoch der König "mehr Sukzeß und Glück [hatte], als man es zunächst für möglich gehalten hätte" (118).
Neben dem schlüssigen Gesamtbild, das die Beiträge des Bandes zeichnen, sind die einzelnen Texte jeweils für sich spannend und erhellend. Dies beruht einerseits auf der Auswahl interessanter, neuer Quellen, wie beispielsweise in der Untersuchung der Darstellung der Krönung in Predigttexten von Joachim Eibach oder in Christine Rolls Analyse der Entscheidungsprozesse am Wiener Hof, die entgegen der traditionellen Betrachtungsweise umfangreich auf Wiener Quellen zurückgreift. Andererseits eröffnen originelle methodisch-theoretische Ansätze neue Perspektiven, wie etwa Barbara Stollberg-Rilingers Beitrag über die Bedeutung der "Honores regii", Heinz Duchhardts Abriss über die preußischen "Nicht-Krönungen" nach 1701 und schließlich Johannes Kunischs Kontrastierung der Politik und Lebensweise Friedrichs des Großen mit dessen Urteil über seinen Großvater.
Nach der Lektüre des Bandes bedauert der Leser eigentlich nur, dass einige Beiträge der Tagung in dem Sammelwerk nicht enthalten sind, er aber nicht erfährt, was deren Themen waren und wo sie gedruckt sind.
Anja Hartmann