Alarich Rooch: Zwischen Museum und Warenhaus. Ästhetisierungsprozesse und sozial-kommunikative Raumaneignung des Bürgertums (1823-1920) (= Artificium. Schriften zu Kunst und Denkmalpflege; Bd. 7), Oberhausen: Athena-Verlag 2001, 316 S., 106 Abb., ISBN 978-3-932740-91-6, EUR 45,50
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Der Symbolwert der ästhetischen und baulichen Gestaltung öffentlicher wie privater Gebäude - hier der 'Inszenierungsräume Museum, Villa und Warenhaus - als Mittel der Identitätsbildung und -versicherung der mit und in ihnen lebenden Menschen ist der Gegenstand der vorliegenden Bremer Habilitationsschrift. Die Grundthese zur Problematisierung des Gegenstandes ist die Behauptung, dass Gebäude unter der Prämisse einer bürgerlich-identitätsbildenden Funktion Medium der Reproduktion sozialer Ungleichheiten seien, wobei ihre ästhetische Gestaltung jedoch häufig auch Kritik- und Emanzipationspotenziale biete. Der etwas eigenwillig gewählte Zeitraum der Untersuchung beginnt mit 1823, dem Jahr von Schinkels Entwurf für das Alte Museum, und endet 1920 mit der 'Ersten Internationalen Dada-Messe'. In geografischer Hinsicht bleibt der Untersuchungsraum mit Berlin allerdings erheblich eingeschränkt. Das Argument, dass sich die untersuchten Urbanisierungsprozesse in Berlin eben "wie in einem Prisma" bündeln ließen (12), entkräftet Rooch allerdings durch willkürliche Rückgriffe auf Beispiele aus anderen Städten, die immer dann angeführt werden, wenn es gerade passt. Das theoretische Grundgerüst der Überlegungen bieten die Schriften Pierre Bourdieus, insbesondere seine Darstellungen zum Habitus-Begriff. Habermas, Weber und Elias werden ebenfalls ausgiebig zu Grunde gelegt.
Die Zusammenbringung von kunsthistorischen und sozialgeschichtlichen Perspektiven zur Beantwortung der Frage, wie sich das Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert im Stadtraum ausdrückte und dabei zugleich soziale Differenzierungen festigte, ist überaus verdienstvoll. Dass Gebäude nicht nur eine für den 'klassischen' Kunsthistoriker interessante ästhetische, sondern auch eine den Fachhistoriker betreffende soziale Sprache sprechen können, ist ein wichtiger Erkenntnisgewinn, den die Studie vermittelt. Dass bürgerliche Gebäude nicht einfach nur schön sind, sondern möglicherweise zuweilen auch Herrschaft repräsentieren, sogar Herrschaft ausüben wollen, stellt die Schrift nachvollziehbar dar.
Aber wollen Gebäude oder die sie Bauenden denn wirklich immer nur beherrschen? Vier Einwände, die zum Teil bereits in einer 2002 von Marc Schalenberg, Berlin, verfassten Rezension geäußert wurden, sind zentral. Ein Einwand sei nur am Rande vermerkt.
1. Die Untersuchung stützt sich fast ausschließlich auf Beispiele, die bereits in Einzelstudien ausgiebig von anderen untersucht wurden. Dabei verwendet Rooch für den Argumentationsgang seiner Grundthese diese Untersuchungsergebnisse anderer Forscher, ohne dabei zu den gewählten Gebäuden eigene, neue Erkenntnisse zu vermitteln, wie sie sich zum Beispiel durch Archivstudien hätten ergeben können. So ist diese Studie nicht an den Quellen angelegt, sondern benutzt die durch andere Forschungen schon narrativ deformierten Quellen für eine Diskussion, die sich dann aber wieder auf die eigentlichen Quellen beziehen soll. Der Umstand, dass einzelne Kapitel, insbesondere jenes zu den Warenhäusern, interessante Erkenntnisgewinne bringen, ist von dieser Kritik nicht berührt.
2. Der Begriff 'Bürgertum' wird nur wenig differenziert verwendet, sodass hier der Eindruck entsteht, es habe sich bei dem Bürgertum um eine homogene Erscheinung gehandelt. Behauptungen wie die, dass es sich beim Alten Museum um einen "Musentempel von des Königs Gnaden für das Bürgertum" (68) gehandelt habe, besitzen wenig Erkenntniswert, wenn nicht recht deutlich wird, welche Teile des Bürgertums der Herrscher denn im Auge hatte. Diese mangelnde Differenzierung hat natürlich Konsequenzen für die Validität der Ergebnisse.
3. Der Grundannahme, dass Bildung und Kunst immer Instrumente der sozialen Herrschaft darstellen, kann einfach so nicht gefolgt werden, will man nicht alle Phänomene der ästhetischen Wahrnehmung in ein wirklich etwas grob gestricktes gesellschaftskritisches Raster stecken. Akzeptiert man dieses grobe Raster allerdings, kann man natürlich zu dem Ergebnis kommen, dass die bürgerliche Raumaneignung Ausdruck der "Kolonisierungsbestrebungen" einer sozialen Schicht (129) gewesen sei, die andere Schichten aktiv und symbolisch beherrschen wollte. Ob diese bürgerliche Raumaneignung möglicherweise auch eine Emanzipationsbestrebung gegen die zuvor bestimmende monarchische Beherrschung des Raums gewesen sein könnte, wird nicht wirklich diskutiert. So bleibt hier der Eindruck eines sehr einseitigen Vorgehens zurück.
4. Der Sinn des gewählten zeitlichen Rahmens erschließt sich dem Leser nicht recht. Hört mit Dada die bürgerliche Raumaneignung denn nur deshalb auf, weil die Dadaisten - von ihrer Herkunft her übrigens größtenteils Bürger und keineswegs Proletarier, wenn man diese Klassenbegriffe denn wirklich verwenden möchte - "das Ende der bürgerlichen Kultur" (226) einläuten wollten?
5. Mag es auch eine kleinliche Einlassung des Rezensenten sein: In wissenschaftlichen Arbeiten stört die Verwendung der 1. Person Singular als Zeichen mangelnder Distanz zum Gegenstand nicht unerheblich.
Der von Schalenberg als Haupteinwand vorgebrachten Kritik, dass Rooch den tatsächlichen Verlauf der Ästhetisierungsprozesse zu Gunsten der Evidenzen der Baupläne vernachlässigt, muss jedoch nicht unbedingt gefolgt werden. Für das bürgerliche Selbstverständnis, das sich in den Gebäuden ausdrückte, sind die Planungen doch sicherlich aussagekräftiger als Vermutungen darüber, ob jeder Zeitgenosse beim Anblick des betreffenden Gebäudes auch wirklich verstanden hat, was der Bauherr sagen wollte. Es geht Rooch ja eben weniger um die tatsächliche Wahrnehmung der anderen, sondern vielmehr um die beabsichtigte Wahrnehmung der bürgerlichen Auftraggeber. Insofern ist die weitgehende Ausklammerung der Rezeption nur konsequent.
Bei allen Detailbeobachtungen und interessanten Ergebnissen hinterlässt die Lektüre am Ende aber doch einen zumindest zwiespältigen Eindruck.
Tobias Arand