Rezension über:

Dennis P. Weller: Jan Miense Molenaer. Painter of the Dutch Golden Age. With essays by Cynthia von Bogendorf Rupprath and Mariët Westermann. Exhibition itinerary North Carolina Museum of Art, Raleigh, North Carolina, 13.10.2002 - 5.1.2003 / Indianapolis Museum of Art [Columbus Gallery], Columbus, Indiana, 25.1.2003-16.3.2003, New York: Hudson Hills Press 2002, 203 S., 94 Farb-, 130 s/w-Abb., ISBN 978-0-88259-987-8, USD 55,00
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Rezension von:
Hans-Joachim Raupp
Kunsthistorisches Institut, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Joachim Raupp: Rezension von: Dennis P. Weller: Jan Miense Molenaer. Painter of the Dutch Golden Age. With essays by Cynthia von Bogendorf Rupprath and Mariët Westermann. Exhibition itinerary North Carolina Museum of Art, Raleigh, North Carolina, 13.10.2002 - 5.1.2003 / Indianapolis Museum of Art [Columbus Gallery], Columbus, Indiana, 25.1.2003-16.3.2003, New York: Hudson Hills Press 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 10 [15.10.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/10/1843.html


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Dennis P. Weller: Jan Miense Molenaer. Painter of the Dutch Golden Age

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Jan Miense Molenaer gilt seit langem als einer der originellsten niederländischen Genremaler. Insbesondere seine Werke aus den Jahren zwischen 1629 und 1640 sind Höhepunkte aller großen Ausstellungen zur niederländischen Genremalerei seit "tot lering en vermaak" (Amsterdam 1976). Als bedeutendster Maler aus der Haarlemer Hals-Schule neben Brouwer und Ostade, als Initiator eines "Bruegel-Revival" und unmittelbarer Vorläufer des Jan Steen, als ein gleichermaßen aus der Bildwelt der Emblematik wie des Theaters schöpfender geistreicher Komiker und nicht zuletzt als Ehemann von Hollands prominentester Malerin Judith Leyster lenkt Molenaer vielseitige aktuelle Forschungsinteressen auf seine Person und sein Werk.

Der Katalog bietet die willkommene Möglichkeit, die neuen Erkenntnisse der unveröffentlichten Dissertation von Dennis P. Weller kennen zu lernen [1]. Ursprünglich in Zusammenarbeit mit dem Frans Halsmuseum in Haarlem geplant, knüpft das Ausstellungsprojekt an die erfolgreiche Präsentation Judith Leysters 1993 an [2]. Tatsächlich ergänzen sich die beiden Ausstellungskataloge sehr gut, nicht nur im Wechsel der Perspektive von Leyster zu Molenaer. Während 1993 in den einleitenden Essays vor allem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dargestellt wurden, konzentrierte man sich 2002 auf den Werkstattbetrieb sowie Formen und Funktionen des Komischen in der Genremalerei.

Mit 37 Gemälden, davon 30 aus der Zeit vor 1640, wird zwar nur ein kleiner und nicht wirklich repräsentativer Ausschnitt aus Molenaers Oeuvre vorgestellt, dessen Gesamtumfang Weller auf 225-250 Gemälde schätzt. Allerdings sind etwa 60 weitere, darunter die meisten bedeutenden Bilder durch Abbildungen in den einleitenden Aufsätzen oder als Vergleichsabbildungen im Katalogteil präsent.

Zu den wichtigsten neuen Erkenntnissen gehört, dass die Zusammenarbeit Leyster-Molenaer nicht erst 1636 mit der Eheschließung, sondern aufgrund gemeinsam verwendeter Modelle und Atelierrequisiten schon um 1630 begonnen haben muss.

Wir lernen auch, dass Molenaer sich selbst und seine Angehörigen, insbesondere seine Geschwister, häufig als Modell genommen hat, wohl auch in dieser Hinsicht vorbildlich für Jan Steen. Das berühmte musikalische Familienporträt im Frans Halsmuseum (Inv.213b) wird als Selbstdarstellung Molenaers und seiner Geschwister mit den Porträts der Eltern im Hintergrund erkannt, entstanden um 1636.

Molenaers Arbeit mit lebenden Modellen hat zweifellos seine Befähigung zum Maler vielfiguriger Familienporträts gestärkt. Die Aussicht auf den Auftrag für das Hochzeitsbild von Willem van Loon und Margaretha Bas (Amsterdam, Museum Van Loon) dürfte zur Entscheidung für den Umzug nach Amsterdam 1637 beigetragen haben [3]. Das frühe Familienporträt Ruychaver-Van der Laen, zugleich Allegorie der Fünf Sinne und der Fünf Lebensalter, bleibt rätselhafterweise unerwähnt (ebenfalls Museum Van Loon) [4].

Molenaers Verfahren, Porträts mit Genreszenen zu verbinden und zu allegorisieren, gehört zu den originellsten Aspekten seines Werks und stellt die heutigen Interpreten vor immer noch ungelöste Probleme. Gleiches gilt für die Darstellungen zwergwüchsiger Menschen, die in Molenaers Bildern um 1630 Schlüsselrollen spielen. Diese offensichtlich nach lebenden Modellen gemalten Personen, stets gut gekleidet und ohne karikierende Züge gemalt, erscheinen sowohl als Opfer wie als Anstifter von mancherlei Unfug. Das als Leihgabe aus Eindhoven im Dordrechter Museum befindliche Bild der Straßenjungen, die von einem erzürnten Zwerg mit Steinen beworfen werden, ist inschriftlich zwar 1646 datiert, wird aber im Katalog mit guten Gründen um 1630 eingeordnet (als Vergleichsabbildung zu Kat. 5, dem frühesten Zwergenbild, einer Neuentdeckung aus deutschem Privatbesitz).

Ein gleichfalls neu entdecktes, 1633 datiertes Frauenporträt (Kat. 15, Wappen noch nicht identifiziert) beweist, dass der Hals-Schüler Molenaer auch Aufträge für konventionelle Einzelbildnisse angenommen hat. Zusammen mit diesem Porträt präsentiert die Ausstellung drei weitere 1633 datierte Hauptwerke, welche dieses Jahr als einen Kulminationspunkt in Molenaers Entwicklung erweisen. Dazu zählt auch die Budapester "Petrusverleugnung" (Kat. 14), deren Datierung nach jüngster Reinigung 1633 statt 1636 zu lesen ist. Leider ist in allen Kommentaren zu diesem häufig ausgestellten Bild übersehen worden, wie grundlegend die ausgesprochen possenhafte Inszenierung mit der Kenntnis von Caravaggios "Matthäus-Berufung" rechnet. Von hier stammt die raumübergreifende Geste des martialischen "Capitano", und die klammheimliche Art, wie Petrus sich diesem "Ruf" zu entziehen sucht, gewinnt angesichts des Caravaggio-Vorbildes den Charakter einer überaus sarkastischen Pointe.

Die Ausstellung präsentiert auch eine höchst eigenwillige Version des seltenen Themas "Abschied des Verlorenen Sohnes von seinen Eltern" (Kat. 9). Molenaers Gemälde mit religiösen Themen würden eine eigene Untersuchung verdienen. Heiligenbilder im Nachlass stützen die Vermutung, der Maler sei bis zu seiner Eheschließung katholisch gewesen. Sein erstaunlichstes Bild, die "Verspottung Christi" von 1639 im monumentalen Altarbildformat von 260 x 200 cm, war 2000-2001 auf der Ausstellung "Jezus in de Gouden Eeuw" zu sehen [5]. Die Forschung zu Bildern mit neutestamentlischen, "katholischen" Themen in der niederländischen Malerei steht sowohl sachlich wie methodisch noch ganz am Anfang.

Eine nicht ganz überraschende Neuzuschreibung betrifft den "Stillebenmaler" aus dem Museum Bredius in Den Haag (Kat. 10): die Signatur des Hendrik Gerritsz. Pot war schon seit längerem mit Misstrauen betrachtet worden.

Insgesamt bietet der Katalog eine Fülle von überzeugenden oder zumindest bedenkenswerten Neuigkeiten zu Molenaers Selbstdarstellungen, seinen Kinderbildern, seinen Theaterszenen, seiner Auseinandersetzung mit literarischen Vorlagen und Bildtraditionen, seinen geistreichen Umwandlungen von Allegorien in Genreszenen und seinen bruegelianischen Themen vom "Streit zwischen Karneval und Fasten" (Kat. 18, antispanisch interpretiert) bis zur "Fetten Küche" (Kat. 25). Durch Korrektur etlicher falscher oder missverstandener Datierungen wird endlich auch das chronologische Gerüst der Stilentwicklung klar fassbar. Dies gehört zu den wichtigsten Verdiensten von Wellers Forschungen.

Wenig Neues ergibt sich hingegen zu den mit der malerischen Partnerschaft Molenaer-Leyster verbundenen Zuschreibungsproblemen. Hier dürfte die Ausstellung selbst zu neuen Erkenntnissen führen. Generell unterschätzt wird der Einfluss Adriaen Brouwers. In Molenaers stilistischer und durchaus auch maltechnischer Bandbreite spielt ein "Brouwer-Modus" durchgehend eine viel wichtigere Rolle als Weller zugibt. Dies äußert sich anfangs im Kolorit (auch bei Leyster!) mit changierenden und irisierenden Buntfarben, später in tonaler Bravura-Malerei, bleibt aber auch thematisch greifbar. So ist etwa die "Junge Frau mit Krug" (Kat. 21) weniger eine caravaggistische Halbfigur als vielmehr eine weibliche Version einer Gula-Personifikation Brouwers [6].

Überhaupt werden die Beziehungen Molenaers zur flämischen Malerei ignoriert. Seine auf den Betrachter orientierte, bühnenhafte Auffassung der Genreszene lässt sich am besten mit Bildern von Jacob Jordaens vergleichen. Das frühe Bauerninterieur (Kat. 25) folgt in der Darstellung des Raumes nicht dem naheliegenden Vorbild van Ostade sondern weist nach Süden zu Rotterdamer Malern wie Ryckhals, de Bloot und Saftleven.

Leider verharrt die Diskussion der Bauernsatiren unergiebig auf den kontroversen Positionen der 1970er Jahre. Überhaupt zeigt sich immer wieder, wie wenig Molenaers Genrebildern mit jenen konventionellen Deutungsmethoden beizukommen ist, die sich etwa im Falle des Jan Steen durchaus bewährt haben. Zu Molenaers Originalität gehört, dass der "emblematische" Charakter seiner Bilder sich weniger in konventionellen Symbolen und Schlüsselmotiven offenbart als in Brüchen der Realitätsschilderung, im Spiel mit Stil-"Modi" und im "Dialog" zwischen Bildfiguren und Betrachter.

Kritisch anzumerken bleibt ferner, dass in mehreren Fällen ausführliches Zitieren früherer Autoren neue Interpretationsanstrengungen ersetzen muss, dass Katalogtexte im Widerspruch zu den im Kopfteil angegebenen Titeln bzw. Datierungen stehen, und dass Texte offensichtlich anhand von Fotos und in Unkenntnis der Originalgemälde verfasst wurden. Vergleichsbeispiele sind nicht immer überzeugend gewählt (zum Beispiel Kat. 6 mit Fig. 2), und manche wichtige Information hält sich in einer abgelegenen Fußnote versteckt. Das Layout ist unübersichtlich und schränkt die Benutzbarkeit des Katalogbuches dadurch ein, dass wichtige Abbildungen die Seite randlos und bis in die Bindung füllen.

Anmerkungen:

[1] Dennis P. Weller: Jan Miense Molenaer (ca.1609/10-1668). The Life and Art of a Seventeenth Century Dutch Painter. Ph. Diss. University of Maryland 1992.

[2] Judith Leyster. A Dutch Master and Her World. Ausstellungskatalog Frans Halsmuseum, Haarlem / Worcester Art Museum, Worcester/Mass. 1993.

[3] Große Farbreproduktion dieses aufwendigen Familienporträts mit mehr als 30 Personen in: Das Goldene Zeitalter der niederländischen Kunst. Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk des 17.Jahrhunderts in Holland. Ausstellungskatalog Rijksmuseum, Amsterdam 2000, Deutsche Buchausgabe Stuttgart 2000, Nr. 38.

[4] Vgl. Bilder vom alten Menschen in der niederländischen und deutschen Kunst 1550-1750. Ausstellungskatalog Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1993/94, Nr. 79 m. Farbabb.

[5] Jezus in de Gouden Eeuw. Ausstellungskatalog Kunsthal, Rotterdam 2001/02, 135 m. Farbabb.

[6] Horst Scholz: Brouwer Invenit. Druckgraphische Reproduktionen des 17.-19. Jahrhunderts nach Gemälden und Zeichnungen Adriaen Brouwers, Marburg 1985, 150, Nr. 91 m. Abb.

Hans-Joachim Raupp