Kaspar von Greyerz / Manfred Jakubowki-Tiessen / Thomas Kaufmann u.a. (Hgg.): Interkonfessionalität - Transkonfessionalität - binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionsthese (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; Nr. 201), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003, 290 S., ISBN 978-3-579-01760-0, EUR 29,95
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Das Konfessionalisierungsparadigma darf als erfolgreichstes Interpretament der jüngeren Frühneuzeitforschung gelten. Zugleich ist es eines der meistkritisierten. Es war angetreten, um konfessionalistische Engführungen der Historiografie zu überwinden, aber auch um Religion als bedeutsamen Faktor in die Sozialgeschichte zurückzuführen. Die Kontroversen um das Paradigma sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass dieses mit einem hohen Abstraktionsgrad sehr spezifische Verknüpfungen von Politik, Religion und Gesellschaft formulierte: Es behauptete eine Verbindung von kirchlicher Formierung und Staatsbildung; ging von disziplinierenden Intentionen und Wirkungen, absichtlichen oder unabsichtlichen, modernisierenden Konsequenzen aus; konstatierte zeitliche und sachliche Parallelen zwischen drei Großkonfessionen, aber auch generell die zentrale Bedeutung des konfessionellen Faktors für die europäischen Gesellschaften zwischen 1550 und 1650 oder länger. Diese Vielzahl der Elemente wie der hohe Geltungsanspruch der These machten es relativ leicht, gegen einen oder mehrere Punkte Einspruch zu erheben. Die Debatte drohte aber in dem Maß unergiebig zu werden, in dem das Paradigma nicht mehr als provokative heuristische These bewertet, sondern als neue Orthodoxie wahrgenommen wurde, die es zu "widerlegen" galt. Die verbissenen Fronten noch der 1990er-Jahre scheinen sich allerdings gelockert zu haben, die Forschung hat sich zum Teil anderen Themen zugewandt. Auf diese Situation trifft nun ein Sammelband des Vereins für Reformationsgeschichte, der noch einmal die Konfessionalisierungsdiskussion aufnehmen möchte und sich ausdrücklich in die Tradition der drei voluminösen Sammelbände stellt, die der Verein 1986, 1992 und 1995 veröffentlichte.
Thomas Kaufmann weist in seiner Einleitung darauf hin, dass das Paradigma gerade durch seine Verbindung mit Disziplinierung und Staatsbildung Gefahr laufe, Religion funktionalistisch zu verkürzen. Doch verwirft er das Paradigma ausdrücklich nicht, möchte es aber um Analysen derjenigen Phänomene ergänzen, die durch die titelgebenden Begriffe Transkonfessionalität, Interkonfessionalität und binnenkonfessionelle Pluralität indiziert werden. Damit soll dem durch das Paradigma erzeugten Eindruck von geschlossenen Konfessionssystemen die Perspektive gegenseitiger Beeinflussung, außerkonfessioneller Phänomene und innerkonfessioneller Divergenzen gegenübergestellt werden. Diese Perspektive ist insofern instruktiv, als die von Allgemeinhistorikern (im vorliegenden Band unter anderem von Hartmut Lehmann) formulierte Hauptkritik gegen das Paradigma eher die Verbindung von Religion und staatlicher sowie gesellschaftlicher Formierung bezweifelt. Die skeptische Haltung gegenüber den Modernisierungspotenzialen der Konfessionalisierung wird also hier ergänzt durch den vielleicht historistisch zu nennenden Versuch, die unterschiedlichen Kontexte, Motive und Wirkungen frühneuzeitlicher Religiosität jenseits von staatlicher Formierung zu benennen. Die Themen, die der Band behandelt, knüpfen also mehrheitlich weniger an die Frage nach politisch-sozialen Formierungsprozessen an, sondern nehmen vor allem religiöse Phänomene wie Dissidenz, Indifferenz, Konversionen, Irenik und außerkonfessionelle Religiosität in den Blick. Leider werden die Begriffe der Trans- und Interkonfessionalität sowie der binnenkonfessionellen Pluralität im Laufe des Bandes nicht häufig und systematisch benutzt.
Eine Reihe der Artikel befasst sich mit Reichweite und Grenzen der Konfessionalisierung in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen: Rebekka von Malinckrodt weist für die Kölner Laienbruderschaft des 17. Jahrhunderts darauf hin, dass neben der neuen, vor allem jesuitisch geprägten Frömmigkeit traditionellere Bruderschaften und Frömmigkeitsformen weiter bestanden; katholische Konfessionalisierung dürfte durch "Erneuerung" wie durch "selektive Tradition" (W. Brückner) ihr spezifisches Profil gewonnen haben.
Ralf Pröve belegt am Beispiel der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft und ihrem System der Rekrutierung und Einquartierung, dass die "Binnenlogik" (89) der militärischen Effizienz bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert einer bis weit ins 18. Jahrhundert weiter reichenden konfessionellen Kriegspropaganda gegenüberstand. Nicole Grochowina macht in ihrem Beitrag zu Dissidenten und konfessionell Indifferenten im frühneuzeitlichen Ostfriesland auf die vielfältigen Varianten von Religion und Frömmigkeit außerhalb der Konfessionskirchen aufmerksam, zeigt aber auch, wie die lutherischen und reformierten Konfessionskirchen und die Obrigkeiten auch in den eigenen Reihen Dissidenz produzierten und identifizierten. Als sich deren Einhegung in zunehmendem Maße als unmöglich erwies, wandten sie sich dem Phänomen der Indifferenz zu, das aber ebenso ein bleibendes Element nordwestdeutscher Religiosität blieb.
Die religiösen Phänomene jenseits der Konfessionsgrenzen - Indifferenz, Konversion, Irenik - werden von den Beiträgern meist als Grenzen des Konfessionalisierungskonzeptes markiert. Dies trifft natürlich einerseits zu. Andererseits scheint ja das konfessionelle Zeitalter sein spezifisches Profil gerade dadurch zu gewinnen, dass in einem vorher und danach unbekanntem Maß die genannten Phänomene produziert wurden, und zwar gerade durch die Herausbildung staatlich gestützter religiöser Orthodoxien. Die Fundamentalstellung des konfessionellen Moments erweist sich gerade darin, dass Indifferente oder Konvertiten als solche auffällig und problematisch wurden. Frauke Volland schlägt vor, die Vorstellung einer erfolgreichen Verinnerlichung religiöser Normen deshalb ad acta zu legen, weil Konversionen ganz offensichtlich auch aus politischen Opportunitätsgründen stattfanden. Dass das religiöse Bekenntnis häufig äußerlich blieb und die Verankerung religiöser Normen oft nicht gelang - wer würde dem widersprechen? Aber: Spricht das wirklich nur gegen das Konfessionalisierungskonzept? Oder wäre nicht andererseits gerade in der Tatsache, dass Konversionen aus politischen Motiven für notwendig erachtet werden konnten, ein Beleg für die fundamentale Wichtigkeit des konfessionellen Moments und seiner Amalgamierung mit anderen, eigentlich religionsfremden Gesellschaftsbereichen zu sehen? Der eigentliche Vorteil des Konfessionalisierungskonzeptes liegt in diesem Zusammenhang ja gerade darin, dass es strukturell gewisse Verflechtungen zwischen Konfession und zum Beispiel Politik aufweisen kann, ohne dies auf subjektive Intentionen von Handelnden herunterbrechen zu müssen. Dass darüber hinaus subjektive Intentionen durchaus Ambivalenzen aufweisen können, zeigt Anselm Schubert in einer faszinierenden Mikrostudie aus der Respublica litteraria: Er arbeitet am Beispiel der Gelehrtenfreundschaft zwischen Gerard Vossius und Barthold Nihus heraus, dass die späthumanistische Positionierung außerhalb des Konfessionskonfliktes neben einem scharfen Bewusstsein für konfessionelle Grenzen fortbestand. Handlungsoptionen waren: der Versuch, gelehrte Proselyten zu machen oder der Konfessionspolemik durch kirchengeschichtliche Studien neue Waffen zu liefern - oder gerade mittels des historischen Studiums der frühen Kirche einen irenischen Konsens anzustreben. Gelehrte Kommunikation und konfessionelle Konkurrenz verschlingen sich hier auf vielen Ebenen individuell wie strukturell. Dieselbe Anbindung der Konfessionalisierung an häufig widersprüchliche Kontexte zeigt Martin Mulsow in seinem Plädoyer für eine Indifferentismusforschung auf: Auf der Basis vielfältiger Quellengattungen zeichnet er ein kontrastreiches Bild gelehrter Indifferenz in Theorie und Praxis und beleuchtet das Phänomen der "politischen" Konversion. Dass auch Versuche, die durch konfessionelle Polemik aufgerissenen Gegensätze durch irenische Rhetorik und Praxis zu überwinden, sich alsbald im Netz der Konfessionspolemik fingen, zeigt Hans Joachim Müller an einem Danziger Beispiel.
Thomas Kaufmanns Beitrag zeichnet den Diskurs über die "Schwärmer" im frühneuzeitlichen Luthertum nach. Die vielfältigen religiösen Phänomene, die die lutherische Außenperspektive im Schwärmerbegriff zusammenfassten, besaßen die eine Gemeinsamkeit, den lutherischen Biblizismus mit Rekurs auf eine spirituale Inspiration infrage zu stellen. Diese Frage war aber für die lutherische Theologie so zentral, dass die Auseinandersetzung mit den Schwärmern in vielleicht noch höherem Maße lutherische Konfessionsidentität prägte als die Absetzung gegenüber Katholiken und Reformierten. Gerade weil aber die Schwärmer so oft aus den eigenen Reihen stammten, muss die Vorstellung eines "systemisch geschlossenen" orthodoxen Luthertums (239) zugunsten einer konfessionskulturellen Pluralität relativiert werden. Die interessante Frage allerdings, ob es - wie die klassische Religionssoziologie meint - die "Schwärmer" waren, die den Weg in die Moderne bahnten, oder ob - wie die Konfessionalisierungsforschung meint - die Großkonfessionen dies taten, wird nur aufgeworfen, aber nicht recht beantwortet. Könnte es sein, dass man es hier mit zwei unterschiedlichen Versionen von "Moderne" zu tun hat: einer vor allem individuellen und pluralistischen auf der einen Seite, einer formierten und disziplinierten auf der anderen?
Gerhard Lauers den Band beschließender Aufsatz zum frühneuzeitlichen Judentum zeigt, wie weit ein flexibler und produktiver Umgang mit der Konfessionalisierungsthese führen kann. Überzeugend stellt Lauer im Judentum Tendenzen fest, die denen der christlichen Konfessionalisierungen stark ähneln: Formierung, Disziplinierung, die Überwindung bloßer Tradition durch Orthodoxie, schließlich die Überbietung der Orthodoxie durch Herzensfrömmigkeit. Natürlich weist Lauer auch darauf hin, dass in bestimmten Punkten, zum Beispiel was die Verbindung mit der Staatsbildung betrifft, die Konfessionalisierungsthese nicht greift. Doch Lauer macht in erfrischender Weise deutlich, wie wenig gewonnen ist, wenn die Frage nach der Konfessionalisierung nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.
Der Band ist also insgesamt erfreulich: Er zeigt aus verschiedenen Perspektiven auf, wo Grenzen von Konfessionalisierung lagen und welche religiösen Phänomene sich ganz oder teilweise dem Zwang zur Konfessionalisierung entzogen. Damit wird das Bild frühneuzeitlicher Religiosität vielfältiger. Dennoch wird häufig deutlich, dass auch diese Phänomene erst vor dem Hintergrund konfessioneller Formierung angemessen verstanden werden können. Deutlich wird auch, dass die Konfessionalisierungsthese ihr Erkenntnispotenzial in vielen Kontexten noch beweisen kann, wenn man sie in kreativer Weise für unterschiedliche Themen variiert und operationalisiert. Dies bedeutet nicht, das Profil des Paradigmas aufzuweichen. Aber mit einer Orthodoxie ist uns ebenso wenig gedient wie mit einer Heterodoxie, die sich erst vor deren Hintergrund profiliert.
Matthias Pohlig