Christian Mann: Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland (= Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben; Bd. 138), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, 344 S., ISBN 978-3-525-25237-6, EUR 49,00
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In dem hier anzuzeigenden Buch, einer Freiburger Dissertation aus dem Jahre 1999, untersucht der Autor die griechische Agonistik im Kontext der frühen griechischen Staatlichkeit: Spezielles Augenmerk gilt hierbei den Fragen nach der Stellung des Athleten in seiner Heimatpolis und nach den Implikationen des 'Sports' für die Entwicklung der politischen Strukturen. Mann beschränkt sich hierbei auf eine Analyse der Situation bis zum ausgehenden 5. Jahrhundert vor Christus.
In einer Einleitung, in der sich Mann mit der Forschungssituation zum griechischen Athletismus und mit seinen kulturellen Grundlagen befasst, wird auf die "enorme soziale Bedeutung" des Sports und die "in starkem Maße kompetitive Ethik" in der Adelswelt Griechenlands verwiesen (23-4), die ohne Parallele in anderen antiken Kulturen sei. Es folgt eine Übersicht über die Quellen-Gattungen: Neben den Siegesliedern (Epinikien), die Auftragswerke darstellen, welche wohl schon im Vorfeld der Wettkämpfe 'bestellt' werden konnten (42), liefern uns agonistische Siegesmonumente sowie die auf Hippias von Elis (um 400 vor Christus) zurückgehende Olympionikenliste einschlägige Nachrichten. Im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit der Liste des Hippias für die Frühzeit ist Mann betont optimistisch (60-2), indem er es etwa für möglich hält, dass Hippias auf Aufzeichnungen der olympischen Priesterschaft zurückgegriffen habe.
Der Hauptteil des Werkes besteht aus regionalen Untersuchungen: Behandelt werden Athen, Sparta, Kroton, Ägina sowie die Tyrannen Siziliens (63-291). Im Rahmen dieser Besprechung kann aus der Fülle der Beobachtungen Manns nur auf einige wichtige Punkte hingewiesen werden.
Im Fall Athens zeigt sich mit dem olympischen Diaulos-Sieger Kylon ein erster Konnex zwischen Agonistik und Politik. Kylon, ein athenischer Adliger und Schwiegersohn des Tyrannen Theagenes von Megara, versuchte um 640, die Herrschaft über Athen an sich zu reißen, indem er die Akropolis besetzte, scheiterte aber und kam wahrscheinlich hierbei ums Leben. Mann macht deutlich, dass ein Olympiasieg das relative Gleichgewicht zwischen den Adligen einer Polis erheblich stören konnte, indem er einem einzelnen Aristokraten besonderes Prestige verlieh (66). Im Falle der dem Reformer Solon zugeschriebenen Bestimmung über staatliche Prämien für Wettkampfsieger plädiert Mann nicht nur für ihre Authentizität, sondern erkennt in ihr eine Prämienbeschränkung (77), die im Kontext der solonischen Luxusgesetzgebung zu verstehen ist. Im 5. Jahrhundert ist nachzuvollziehen, wie adliger Lebenswandel bei dem athenischen Volk Misstrauen im Hinblick auf die Treue der Betreffenden gegenüber der demokratischen Verfassung hervorrief: Insbesondere die Pferdezucht (und die Beteiligung der Gespanne an Wettkämpfen) wurde als "Engagement aufgefaßt [...], das allein privaten Interessen diene, nicht aber das Wohl der pólis fördere" (100). Mann schließt seine Beobachtungen mit der These, dass eine "Integration des Athletismus in die politische Ordnung Athens" bis zum ausgehenden 5. Jahrhundert nicht nachgewiesen werden könne (118), erst im 4. Jahrhundert komme es aufgrund einer Veränderung der sozialen Herkunft der athenischen Athleten zu einer "Harmonisierung des Verhältnisses zwischen Sieger und pólis" (120).
Im Hinblick auf Sparta ist anhand der Olympionikenliste eine Dominanz dieser Polis bis in die 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts nachzuweisen, danach aber gingen die athletischen Erfolge Spartas zurück. Mann versucht diesen Befund - zumeist in Anlehnung an M. Nafissi (144) - mit politischen Veränderungen im archaischen Sparta zu erklären, besonders mit der Einrichtung des Ephorats um die Mitte des 6. Jahrhunderts, das eine Sitten- und Luxuskontrolle ausübte (150-4). Insgesamt "scheinen die Reformen der Mitte des 6. Jahrhunderts das athletische Klima nachhaltig bestimmt zu haben" (153), indem sich in Sparta eine Ablehnung der traditionellen Adelskultur durchgesetzt habe. Der Sparta-Abschnitt dieses Buches ist indes nicht unproblematisch, denn einerseits ist nicht zweifelsfrei zu belegen, dass das Ephorat in seiner klassischen Ausprägung eine Schöpfung des 6. Jahrhunderts ist. Andererseits sind in den vergangenen Jahren vermehrt Zweifel hinsichtlich der von Mann in der Nachfolge anderer Forscher postulierten Selbstbeschränkung der Spartaner im 6. Jahrhundert geäußert worden, die zum Beispiel mit einem Rückgang des Kunstschaffens einhergegangen sei. Zudem sind - wie Mann selbst weiß (123) - vereinzelt Belege für spartanische Siege im 5. Jahrhundert vorhanden, die zwar für das Ende einer athletischen Dominanz Spartas, aber gegen die These einer allgemeinen Ablehnung des Athletismus in Sparta sprechen. Das Abbrechen der Serie agonistischer Erfolge in Sparta können diese Argumente demnach nicht ohne weiteres erklären.
Die spartanische Vorherrschaft bei den Olympiasiegen wird in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts durch eine Vorherrschaft Krotons abgelöst. Als Grund für den agonistischen Aufstieg dieser süditalischen Polis bis in die 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts kann Mann die Verbindung von "Pythagoreismus, Medizin und Athletismus" (171-91) plausibel machen. So habe die Staatsvorstellung der Pythagoreer athletische Übungen gefördert (186), und Mann vermag Indizien dafür zu sammeln, dass krotoniatische Athleten tatsächlich dem Kreis der Pythagoreer zuzuordnen seien. Liegt möglicherweise der Grund für das Ende der spartanischen Dominanz gerade in der massierten Förderung des Athletismus in Kroton, mit der andere Poleis nicht mithalten konnten? Die athletische Kultur der Polis Ägina ist wiederum hauptsächlich durch die Epinikien Pindars und Bakchylides' greifbar. Mann hebt die "Integrationsfunktion" (235) der Siegeslieder für die Polis hervor, die Siegesfeiern zielten auf eine "Steigerung der Solidarität innerhalb der Bürgerschaft" ab. Im Falle der Tyrannen Siziliens konstatiert Mann hingegen eine "Verbindung zwischen agonistischem Engagement und politischer Herrschaft" (237). Er kommt zu dem Schluss, dass die Polis in den Epinikien auf die Herrscher Hieron und Theron nur eine untergeordnete Rolle spiele, die Lieder zielten vielmehr darauf ab, herrschaftsstabilisierend zu wirken (282-288).
In einer abschließenden Betrachtung macht Mann die Unterschiede deutlich, die im Hinblick auf den Athletismus in den einzelnen Poleis festzustellen sind: Zu Recht vermerkt Mann, dass die Rolle der Athleten völlig "durch die Spezifika der jeweiligen politisch-sozialen Ordnung, insbesondere durch die Rolle der Aristokratie in der betreffenden pólis, bedingt" sei. Aufschlussreich ist insbesondere die Beobachtung, dass der Wert sportlicher Erfolge in solchen Poleis abnahm, in denen sich "Demokratisierungstendenzen" abzeichneten (293), doch wird dies vorrangig für Athen gelten können. Mann hat in seiner ebenso differenzierten wie behutsamen Darstellung ein insgesamt wohl durchdachtes (und durch seine gute Lesbarkeit ansprechendes) Buch vorgelegt.
Andreas Luther