Rezension über:

Kurt Möser: Geschichte des Autos, Frankfurt/M.: Campus 2002, 380 S., 203 Abb., ISBN 978-3-593-36575-6, EUR 51,00
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Rezension von:
Wolfgang Ruppert
Universität der Künste, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Martina Heßler
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Ruppert: Rezension von: Kurt Möser: Geschichte des Autos, Frankfurt/M.: Campus 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/1871.html


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Kurt Möser: Geschichte des Autos

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Die Entstehung dieses großformatigen Buches wurde von zwei Arbeitsperspektiven strukturiert, die die Art des Textes bestimmten. Der Autor ist Konservator am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim und betreut die dortige Sammlung für Automobile. In dieser Tätigkeit hat er eigene Erfahrungen mit den Herausforderungen beim Fahren früher Automobile gesammelt, worüber nur wenige Historiker verfügen. Er hielt ferner eine Vorlesung im Studium Generale der Fachhochschule Mannheim zu diesem Thema. Diese Veranstaltungsform legt Verständlichkeit nahe, eine Qualität, die in das ausgearbeitete Werk eingegangen ist.

Vorgelegt wird ein breit angelegter Überblick zur Geschichte des Autos seit 1886. Eine visuelle Leseebene, bestehend aus Fotografien und Werbeanzeigen, gibt dem Buch hinreichende Anschaulichkeit. Es ist in 19 Kapitel gegliedert, die in knappen Texten den Wissensstand zusammenfassen. So entsteht Schicht für Schicht ein Einblick in grundlegende Entwicklungen. Der Autor benennt es als sein Ziel, damit "lange Trends zu identifizieren" (18) sowie die Balance zwischen dem Fokus Fahrzeug und dessen Bindung an die Technik einerseits und dem Blick auf die entstehende Autogesellschaft andererseits zu halten. Trotz der klaren Gliederung bekennt er sich zu einem "eklektischen" Ansatz, was immer das sein mag.

Deutlich umrissen werden die drei zunächst konkurrierenden technischen Möglichkeiten des Antriebs in der Frühphase des Automobils. Der Transfer von den bereits ausgereiften Bauteilen des Fahrrades sowie die Kutschenform, in die der neuartige Verbrennungsmotor eingebaut wurde, ermöglichten die Konstruktion des Fahrgestells. Uns erstaunt heute die bis über den Ersten Weltkrieg hinaus andauernde, zunächst unentschiedene Konkurrenz mit dem Dampfwagen, zumal dieser zudem den Vorzug eines eleganteren und angenehmeren Fahrens bot. In unserer kollektiven Vorstellung ist dessen Geschichte, eben auch im Individualverkehr, zugunsten der bildhafteren Dramaturgie der Dampflokomotive als Schienenfahrzeug ausretouchiert. Darüber hinaus bestand ebenso lange eine Konkurrenz mit dem Elektrowagen, der in der Logik der gleichzeitig expandierenden elektrotechnischen Industrie für seine Energieversorgung im städtischen Raum teilweise auf elektrische Leitungen zurückgreifen konnte, aber im Überlandverkehr wegen der notwendigen Batterie unterlag - ein Problem, das auch langfristig nicht gelöst werden konnte. Lediglich der Krieger-Elektrowagen verfügte über das Potenzial, eine Strecke von 300 km ohne "Support" zurückzulegen.

Gestützt auf seine eigenen Erfahrungen mit den frühen Automobilen, verweist der Autor auf die außerordentlichen kombinatorischen Fähigkeiten, die dem "Wagenführer" abverlangt wurden, da es Jahrzehnte an Entwicklungsarbeit dauerte, bis eine Steuerungstechnik das Ineinandergreifen der verschiedenen Teilvorgänge zwischen Vergaser, Zündung und Getriebe automatisierte. In diesem Sinne hatte es seinen guten Grund, dass die Fahrer von vermögenderen Autobesitzern zugleich Mechaniker waren.

Der Leser findet zusammenfassende Einführungen in die verschiedenen Themen und weitreichenden Folgeprobleme des schließlich weltweiten Siegeszuges des benzinbetriebenen Autos (gegenwärtig ist von etwa 600 Millionen Fahrzeugen auszugehen): die Veränderung des Straßenraums von einem unbeherrschten öffentlichen Raum hin zu Rollbahnen für den schnellen Verkehr, den Bau von Autobahnen durch die Landschaften, die Infrastruktur zum Betrieb des Autos und schließlich die Vorstellung der autogerechten Stadt, die die Stadt- beziehungsweise Verkehrsplanung zu prägen begann. Ferner beschäftigt sich der Autor mit der Industrialisierung des Autobaus, der Motorisierung der Landwirtschaft sowie der Autokultur, in der Form des Bedarfs der Autofahrer, sich mit angemessener Kleidung zu schützen.

Schon um 1900 gewann die Ästhetisierung des Wagens mit seinen unterschiedlichen Teilen, des Fahrersitzes, des Innenraums, vor allem der Form des Wagens im Kontext der jeweiligen Fortschritts-, Prestige- und Eleganzvorstellungen an Bedeutung. Sie werden ebenso wie die experimentellen Formungen, beispielsweise die Raketenautos, vorgestellt. Sonst wenig beachtet, enthält das Buch ferner Kapitel zur revolutionierenden Bedeutung des Autos für die Kriegsführung des 20. Jahrhunderts, im Ersten Weltkrieg zuerst als Transporter für schnelle Truppenbewegungen, für den Nachschub und zur Verwundetenversorgung. Erst im Versuchsstadium befand sich das Auto als Panzer - ein Schrecken verbreitender Koloss im Schritttempo -, der aufgrund seiner Schwerfälligkeit öfter wegen technischer Probleme ausfiel als durch feindliche Einwirkung. Im Zweiten Weltkrieg bot die beschleunigte Fahrgeschwindigkeit dann die strategische Möglichkeit der schnellen Vorstöße von Panzerarmeen. Dazwischen, in den 30er-Jahren, hatte die Ästhetisierung der Beziehung zwischen dem faschistischen Führer im offenen, repräsentativen Luxuswagen und seinem Volk Gewicht, das von begeisterten Menschenmassen repräsentiert wurde, die am Straßenrand allzu oft ein jubelndes Spalier bildeten. Der Zeithorizont der Kapitelfolge des Buches reicht schließlich über die Massenmotorisierung im Verlauf des "Wirtschaftswunders", die Ölkrise von 1973 und die nachfolgende ökologische Diskussion bis in die Gegenwart. Ein Vorzug des Werkes sind die Hinweise auf weiterführende Literatur, die an den Schluss jedes Kapitels gestellt sind.

Als fruchtbar erweist sich auch hier, im Falle von Möser allerdings lediglich implizit geschehen, von der Mensch-Maschine-Beziehung auszugehen. Denn das Auto erklärt sich in vielem aus den kulturellen Haltungen der Menschen zu diesem technischen Potenzial. Mit diesem Denkansatz erschließt sich beispielsweise das Image des Abenteurertums der frühen Automobilisten. Aber auch die Ausstrahlung von Gewalt in der militärischen Nutzung des Lastwagens, wie beispielsweise nach 1918/19 durch die bürgerkriegsbereiten Freikorps mit ihren dicht gedrängten Kämpfern auf der Ladefläche. Die fotografische Reproduktion dieses Gruppenhabitus hat sich in unserem Bildgedächtnis mit dieser Symbolik der Militanz bei der Beherrschung des öffentlichen Raumes festgesetzt. Zudem erklärt dieser Ansatz das Auto als ein Medium der stilisierenden Gestaltungsarbeit, seien es beispielsweise die eleganten Autos von Moever in den 20er-Jahren oder der berühmte Kühlerentwurf eines Adler-Wagens von Walter Gropius aus dem Jahr 1931.

Kurt Möser hat viele Aspekte, begrenzt auf die deutsche Entwicklung, anhand von interessantem, teilweise neuem Material zusammengetragen und in einer beschreibenden Erzählhaltung dargestellt. Als Wissenschaftler fragt man sich jedoch irritiert, ob es ein Vorzug ist, dass der Autor glaubt, sich von "methodischem Ballast und prinzipiellen Debatten" (12) frei halten zu können. Herausgekommen ist so ein Werk, das zwar für ein breites Publikum einen leichten Zugang zur Komplexität des Autos bietet. Doch letztlich begrenzt diese Zentrierung um das Fahrzeug weitergehende Einsichten in die Natur dieses Objektes und seine Bedingtheit durch die Gebrauchs- und Repräsentationswerte in den lebensweltlichen Kontexten seiner Nutzung, eben als eine Hervorbringung der Moderne in ihren widersprüchlichen Potenzialen. Diese weiterreichende Perspektive, das Auto als symbolische Form der Zivilisationsgeschichte zu analysieren, ist mit dem vorliegenden Werk nicht eingelöst. Doch dies bedürfte erkenntnisöffnender Leitfragen aus dem Kontext einer neuen Kulturgeschichte, die die Zusammenhänge der menschlichen Lebensentwürfe und die kollektiven kulturellen Gestaltungsleistungen erschließt. Ein Vorhaben, das der Autor sich erklärtermaßen nicht zu Eigen machen wollte.

Wolfgang Ruppert