Elke Reuter / Wladislaw Hedeler / Horst Helas / Klaus Kinner (Hgg.): Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 - Die KPD am Scheideweg (= Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus; Bd. IV), Berlin: Karl Dietz 2003, 296 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-320-02038-5, EUR 19,90
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Hermann Weber / Bernhard Bayerlein (Hgg.): Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin (= Archive des Kommunismus - Pfade des XX. Jahrhunderts; Bd. 2), Berlin: Aufbau-Verlag 2003, 368 S., 25 Abb., ISBN 978-3-351-02549-6, EUR 22,50
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Xosé M. Núñez Seixas: Die bewegte Nation. Der spanische Nationalgedanke 1808-2019. Aus dem Spanischen von Henrike Fesefeldt, Hamburg: Hamburger Edition 2019
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Wladislaw Hedeler: Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Mit einem Essay von Steffen Dietzsch, Berlin: Akademie Verlag 2003
Wladislaw Hedeler / Meinhard Stark: Das Grab in der Steppe. Leben im Gulag. Die Geschichte eines sowjetischen "Besserungsarbeitslagers" 1930-1959, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008
Wladislaw Hedeler / Horst Hennig (Hgg.): Schwarze Pyramiden, rote Sklaven. Der Streik in Workuta im Sommer 1953. Eine dokumentierte Chronik, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2007
Die Geschichte der KPD in der Weimarer Republik war noch bis weit in die achtziger Jahre ein intensiv beackertes Feld. Trotz der Unzugänglichkeit des KPD-Archivs im Ost-Berliner "Institut für Marxismus-Leninismus" wurden in Westdeutschland beachtliche Studien vorgelegt. Doch dann, nach Öffnung der Archive, wurde es merkwürdigerweise ziemlich still. Das ganze Interesse konzentrierte sich auf die staatliche Verfasstheit des deutschen Kommunismus in der DDR. Sicher war diese Verlagerung der Forschung verständlich, aber sinnvoll ist sie nicht. Deshalb ist es besonders zu begrüßen, wenn jetzt eine Reihe von Dokumentationen bisher unbekannter Quellen zu einzelnen entscheidenden Etappen der Parteigeschichte vorgelegt wird.
Bei dem von Hermann Weber und Bernhard Bayerlein herausgegebenen Band geht es um die endgültige Inthronisierung Ernst Thälmanns als unumstrittenen Führer der Partei Ende 1928. Thälmann hatte zuvor die Unterstützung in der Parteiführung verloren, als sein Versuch offenkundig geworden war, eine Unterschlagung durch seinen Freund Wittorf in seinem Parteibezirk Hamburg unter den Teppich zu kehren. Daraufhin wurde er im September 1928 abgelöst und der Fall an die Führung der "Weltpartei" in Moskau verwiesen. Dort sorgte jedoch Stalin für die Rückgängigmachung des Beschlusses. Statt dessen wurden Thälmanns Gegner aus der Parteiführung gedrängt. Zugleich wurde der politische Kurs im Sinne einer stärkeren Abgrenzung von der Sozialdemokratie verschärft. Als Folge davon verfügte Stalin über eine weitere zuverlässige Stütze in der kommunistischen Weltbewegung.
Dieses Manöver gelang nur wegen eines "back channel", der die Verbindung zwischen Moskau und Berlin unter Umgehung der Gremien herstellte. Privatbriefe bewirkten, dass die Leitung der Kommunistischen Internationale bearbeitet werden konnte, um den Mehrheits-Beschluss gegen Thälmann aufzuheben.
Hier sind nun neunzig Dokumente, zu einem Gutteil aus dem Russischen und in geringerem Maße aus dem Französischen übersetzt, zusammengetragen worden, die die Vorgeschichte und den Verlauf des ganzen Manövers bis März 1929 darstellen. Sie stammen von allen Beteiligten: von Thälmann und seinen Freunden in der KPD, von Stalin und seinen Mitarbeitern, von Gegnern Thälmanns in der KPD auf seiten der "Rechten" und der "Versöhnler", nicht zuletzt von der aus Gesundheitsgründen zur kritischen Beobachterin verurteilten Clara Zetkin. Da es sich zumeist um kurze Texte handelt, sind sie fast immer vollständig abgedruckt. Sie stammen zum größten Teil aus dem ehemaligen Parteiarchiv der KPdSU, zu einem kleineren aus dem ehemaligen SED-Archiv und waren bis auf ganz wenige Ausnahmen bisher nicht publiziert. Ergänzt wird dies durch einige bereits auf französisch veröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass des Schweizer Kommunisten Jules Humbert-Droz sowie einige wenige zeitgenössische Zeitungsveröffentlichungen.
Die Herausgeber haben darauf verzichtet, die einzelnen Dokumente ausführlich zu kommentieren. Zwar sprechen viele der in den Briefen erwähnten Einzelheiten für sich, vor allem wenn es um die Vorgehensweise im innerparteilichen Kampf geht. Doch ob das für ein nicht-spezialisiertes Publikum ausreicht, muss bei den wenige Zeilen umfassenden Erklärungen für die Anspielungen in den Briefen aus dem politisch-sozialen Hintergrund bezweifelt werden. Was den zeitgenössischen Adressaten bekannt war und keiner weiteren Erklärung bedurfte, kann beim heutigen Leser eben nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden. Die Herausgeber verzichteten zudem mit dem Verweis auf existierende biographische Enzyklopädien auf Kurzbiographien und ergänzten das Personenregister nur um die beschränkt aussagekräftigen Lebensdaten. Für Stalin oder Clara Zetkin mag so etwas noch ausreichen, doch wer hat die Gelegenheit, die vielen anderen erwähnten Personen nachzuschlagen? So wird das Ganze zur Materialsammlung für den Spezialisten, während auf der anderen Seite durch Fotos und zwischen den Dokumenten eingestreute zeitgenössische "kernige" Zitate zum Zustand der kommunistischen Weltbewegung der Charakter einer für ein breiteres Publikum bestimmten Leseausgabe herausgestrichen wird.
Den Dokumenten sind zwei Einleitungen der Herausgeber vorangestellt. Hermann Weber umreißt die Rolle Thälmanns in der KPD. Er zeigt, wie Thälmann, der im Grunde genommen nicht mehr als ein zum Gefühlsradikalismus neigender Provinzpolitiker war, Mitte der zwanziger Jahre durch eine von Moskau betriebene Negativauslese zu seiner Position als "Führer des revolutionären Proletariats" kam. Ein massiver Propagandaaufwand musste übertönen, dass er damit eigentlich überfordert war. Dass er an die Spitze gelangte, und das zeigen die hier versammelten Briefe an Stalin nachdrücklich, lag nicht zuletzt an dem von ihm gesuchten persönlichen Verhältnis zum Kremlchef. Er diente sich ihm als getreuer Exekutor der Generallinie an.
Bayerlein skizziert dann den "Fall Thälmann", wie sich Thälmanns Ab- und Neueinsetzung vollzog und wie sich das in den Akten niederschlug und erst heute, nach jahrzehntelanger Fehldarstellung durch die parteioffizielle Historiographie, genau rekonstruiert werden kann.
Beide Herausgeber machen klar, dass an der politischen Bewertung Thälmanns, am "Thälmann-Bild", auch sein zu Recht hervorgehobener Leidensweg und seine Standhaftigkeit im KZ nichts ändert. Dabei wird auch auf die durch die neuere Forschung zusammengetragenen Indizien verwiesen, wonach Thälmann nach seiner Verhaftung von Stalin regelrecht fallengelassen wurde, der sich dadurch einer in der internationalen kommunistischen Bewegung äußerst populären Person entledigen konnte.
Auch wenn manche Formulierungen der Herausgeber den Eindruck erwecken, der "Thälmann-Skandal" sei der eigentliche Umschlagpunkt und nicht der Schlusspunkt einer sich schon seit Jahren abzeichnenden Entwicklung gewesen, ist die Situation der Partei ein Jahr vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eindeutig: Immer stärkere Korruption durch unkontrollierte Moskauer Gelder, Abstrafung von Kritikern durch organisatorische Machtpolitik, die Blindheit der Thälmannschen Führungsgruppe, wesentliche politische Rückschläge - z. B. das gerade in dieser Zeit scheiternde Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau - nur als das Ergebnis "innerer Sabotage" von Abweichlern zu deuten. Damit wird der Eindruck einer sich schon ganz durch Selbstabschottung auszeichnenden Partei bestätigt, die die Entwicklung außerhalb des eigenen Milieus nicht mehr zur Kenntnis nahm. Als wichtiger Beitrag zur Klärung interner Funktionsweisen lässt diese Dokumentation auch deutlich werden, warum Thälmann die Partei ab 1929 - trotz, oberflächlich gesehen, eigentlich "erfolgversprechender" Momente wie Massenradikalisierung und Zustrom neuer Mitglieder und Sympathisanten - in eine katastrophale Niederlage führen musste.
Dass die KPD zur Zeit editorische Konjunktur hat, zeigt eine parallel erschienene Dokumentensammlung, die sich ebenfalls diesem Zeitraum widmet. Die Herausgeber, allesamt Historiker unterschiedlicher Generationen aus der ehemaligen DDR, verfolgen mit ihrem Vorhaben nicht zuletzt ein Ziel: ausgebliebene alternative Entwicklungsmöglichkeiten des deutschen Kommunismus aufzuzeigen.
Dem zeitlichen Ablauf folgend sind die Texte in fünf Kapiteln zusammengefasst: Die Dokumentation beginnt mit den schnell gescheiterten Versuchen zur Überwindung der endemischen Fraktionskämpfe in der Führungsspitze im Jahre 1927 (unter der Überschrift "Auf der Suche nach einer revolutionären Politik in einer nichtrevolutionären Zeit"). Darauf folgt die Einleitung der ultralinken Wende in der ersten Hälfte des Jahres 1928. Die "Thälmann-Affäre" in der Mitte jenes Jahres stellte den Versuch dar, diese Änderung in der politischen Linie aufzuhalten. Den längsten Abschnitt macht dann, nach dem Scheitern, die Durchsetzung der politischen Wende aus, wobei auch die Abrechnung mit Thälmanns innerparteilichen Gegnern thematisiert wird. Schließlich liefert ein Schlusskapitel über den KPD-Parteitag im Juni 1929 den Abgesang des "eigenständigen deutschen Parteikommunismus".
Auf einen speziellen Anmerkungsapparat haben die Herausgeber verzichtet. Erläuterungen finden sich jedoch in den Kapiteleinleitungen sowie den Überleitungen zwischen den einzelnen Texten. Zudem schließt sich an die Dokumente ein fast die Hälfte des Bandes umfassender Anhang an, der neben den Fundorten der Texte und Übersichten zu den Führungsstrukturen der Partei ein umfangreiches Glossar enthält. Dort sind wichtige Organisationsstrukturen, Tagungen der KPD, Vorkommnisse aus der Parteigeschichte und ähnliches erläutert. Zudem enthält das Personenregister Kurzbiographien, in denen aber zumeist nur die Funktionen innerhalb des für diesen Band relevanten Zeitraums angegeben sind.
Das Material der Edition stammt bis auf einige wenige bereits veröffentlichte Dokumente aus dem ehemaligen SED-Parteiarchiv. Fast ausschließlich handelt es sich um Korrespondenzen zwischen führenden Parteikadern, Diskussionsbeiträge in Sitzungen verschiedener Gremien oder interne Resolutionen. Als nicht zur öffentlichen Verbreitung bestimmte (oftmals auch vor dem jeweiligen Fraktionsgegner geheimgehaltene) Dokumente geben sie einen tiefen Einblick in die Mentalität der Beteiligten und die internen Entscheidungsprozesse.
Die Herausgeber haben sich darauf beschränkt, aus den Dokumenten besonders prägnante Passagen auszuwählen. Die vollständige Fassung der Texte findet sich auf einer beigelegten CD-ROM. Dort sind noch einmal fast doppelt so viele weitere Quellen (zur einfacheren Lektüre ebenfalls mit dem Glossar und den Kurzbiographien versehen) veröffentlicht. Diese Form der Verbindung einer "klassischen" und einer elektronischen Edition ist eine in jeder Hinsicht vernünftige und zukunftsweisende Lösung. Nicht jeder will sich durch die bisweilen ermüdenden Details der innerorganisatorischen Streitereien kämpfen. Zudem dürfte eine solche Publikationsform den Band erschwinglicher gemacht haben - auch dies ein nicht unbedeutender Vorteil.
In einer kurzen Einleitung ist, aufbauend auf einer Skizze der Entwicklung nach dem gescheiterten "deutschen Oktober" 1923, umrissen, was diese zweieinhalb Jahre für die KPD so entscheidend machten. Dabei geht es um die Gemengelage der verschiedenen Strömungen an der Spitze, von "Rechten", "Versöhnlern", Linken und Ultralinken, aus der heraus Thälmann kam, bis er 1928 zum alleinigen Führer der Partei wurde. Diese Fraktionskämpfe erscheinen hier vor allem als Ausdruck von Radikalisierungsprozessen oder gegenläufigen Tendenzen. Dabei kommt aber ihre Funktion in der innersowjetischen Entwicklung, dem Führungskampf zwischen Stalin, Bucharin, Sinowjew und Trotzki, eher zu kurz. Die verschiedenen KPD-Strömungen suchten in Moskau Rückendeckung und boten im Gegenzug Unterstützung in der Kommunistischen Internationale an.
Dies verlief oft genug vielschichtiger als in einem einfachen Links-Rechts-Schema. So lässt sich die Einleitung der Linkswende ab Frühjahr 1928 nicht nur einseitig an Thälmann bzw. Stalin festmachen. Das diese Entwicklung begründende Geheimabkommen von KPD und KPdSU vom Februar 1928 (56f.) trägt eben nicht umsonst auch die Unterschriften der "rechten" KPdSU-Führer Bucharin und Tomski einerseits und der führenden "Versöhnler" Ewert und Eisler andererseits, die sich nur wenige Monate später, auf dem sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale, dann erfolglos gegen die Konsequenzen dieser von ihnen miteingeleiteten Politik stemmten. In einem wenig beachteten Aufsatz hat schon 1972 Theodore Draper auf diese zwei Etappen in der Linkswendung des internationalen Kommunismus ab 1927 - die Bucharinsche und die Stalinsche - hingewiesen.[1]
Solche Entwicklungen relativieren die von den Herausgebern im Titel postulierte Alternative "Luxemburg oder Stalin" für das Jahr 1928. Für die "Wandlung des deutschen Kommunismus", seine Stalinisierung, bedurfte es nur noch weniger Anstöße. Dieser Prozess hatte sich schon seit 1924 angebahnt, das Potential für einen "demokratischen Sozialismus in der Folge Rosa Luxemburgs" (Einleitung, 7f.) war so gering, dass sich die Thälmann-Gruppe ohne größere Widerstände durchsetzen konnte.
Doch damit sollen die Verdienste der Herausgeber nicht geschmälert werden. Im Vergleich mit Weber/Bayerlein ist diese Dokumentation breiter angelegt, da sie neben dem organisatorischen Machtkampf ausführlich die politischen Positionen der verschiedenen Strömungen und die Folgen für die Partei behandelt. Dagegen tauchen die dazu gehörenden Beschlussfassungen und Diskussionsprozesse in Moskau (wie sie der andere Band z. B. anhand von Stalins vertraulichem Briefwechsel darstellen konnte) hier nur insoweit auf, wie sie in den Dokumenten erwähnt werden. Insgesamt kann man festhalten: Für die Wende an der KPD-Spitze, die die kommunistische Politik für die Endjahre der Weimarer Republik festlegte, haben die Herausgeber eine umfassende Dokumentation vorgelegt, die materialreich deren Durchsetzung und wesentliche Zusammenhänge aufzeigt und sie sachkundig und umsichtig erläutert.
Anmerkung:
[1] Theodore Draper, "The Strange Case of the Comintern", in: Survey, 1972, Nr. 3, 91 - 137.
Reiner Tosstorff