Lorraine Daston / Katharine Park (Hgg.): Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. Aus dem Englischen von Sebastian Wohlfeil sowie Christa Krüger, Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2002, 557 S., ISBN 978-3-8218-1633-3, EUR 29,00
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Erzählte heute jemand, in Argentinien regne es beizeiten Frösche - wer wollte das glauben? Das Herabregnen wundersamer Dinge aber, von Pech, Schwefel oder anderen Plagen, war lange Zeit fester Bestandteil im Kanon abendländischer Wunder. Dieser Kanon hat sich mit der Moderne in alle Winde verstreut. Vorbei die Zeit, als man mit staunenden Augen vor Einhornhörnern, Karfunkeln, Missgeburten oder Kometen kniete. Vom Wandel der Wunder und der Leidenschaft des Staunens handelt das neue Buch von Katherine Park und Lorraine Daston.
Die breit angelegte, reich bebilderte und in vorzüglicher Wissenschaftsprosa geschriebene Studie bietet eine Geschichte des Studiums der Natur von der Warte des Wunders aus. Dabei zeigen die Autorinnen, dass eine Geschichte der Wunder als Gegenstände der Naturforschung eng verwoben ist mit einer Geschichte des Staunens als Leidenschaft des Naturstudiums. Für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theoretiker "war das Staunen eine kognitive Leidenschaft, bei der es ebenso sehr um Wissen wie um Fühlen ging. Ein Wunder zu bemerken bedeutete, das Durchbrechen einer Grenze zu bemerken, den Umsturz einer Klassifizierung" (15). Im Zuge der Aufklärung jedoch wurde das Staunen zunehmend unschicklich. Eine solche Bewertung ist dem Umstand geschuldet, dass Daston und Park Wunder und Staunen allein als Ausdruck einer elitären Tradition verfolgen mit dem Argument, dass "vom zwölften bis zum späten siebzehnten Jahrhundert [...] das Staunen und die Wunder - weit davon entfernt, in erster Linie Bestandteil einer 'Populärkultur' zu sein, geschweige denn ein Hort volkstümlichen Widerstands gegen die Elitekultur - einen Beitrag zur Konstituierung dessen [leisteten], was es hieß, in Europa einer kulturellen Elite anzugehören" (21). Vor diesem Hintergrund konstatieren die Autorinnen einen scharfen Bruch im 18. Jahrhundert, als nämlich Staunen und Wunder die Gunst der europäischen Hochkultur verloren. "Als die Wunder selbst vulgär wurden, war eine Epoche zu Ende" (21), und sich zu wundern war fortan nicht mehr notwendiger Bestandteil des Betreibens von Wissenschaft.
Das Ende der Wunder als angesehene Studienobjekte hat nach Ansicht der Autorinnen weniger mit der Durchsetzung wissenschaftlicher Rationalität zu tun als mit einem tief greifenden Wandel im Selbstverständnis von Intellektuellen. Waren Wunder und Staunen einst ein unverzichtbares Merkmal für den gebildeten Menschen, speiste sich nun die aufgeklärte Zurückweisung aus einer Mischung von Metaphysik und Snobismus. Wunder und Staunen wurden Teil eines Ausschlussverfahrens, nach dem die Aufklärung sich selbst und die 'natürliche Ordnung' definierte. Dabei galten Naturwunder zunächst weiterhin durchaus als möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich. Schwerer hingegen wog, dass sie vulgär waren. Frösche mochten zwar in Argentinien oder andernorts vom Himmel regnen, aber solche Vorgänge verstießen gegen die Schicklichkeit.
Daston und Park weichen in ihrer Historie der Ordnung der Natur deutlich ab vom klassischen Narrativ einer linearen Fortschrittsgeschichte, nach der die Wunder entzaubert und schließlich abgeschafft wurden. Stattdessen werden detailreich die sonderbaren Wege nachgezeichnet, die das Naturstudium über die Jahrhunderte genommen hat. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Naturforscher beriefen sich auf eine Ordnung der Gewohnheiten der Natur, und ihre Naturwunder drängten sich am Rand der bekannten Welt und bildeten eine eigene ontologische Kategorie des Außernatürlichen. Naturforscher und Philosophen wie Robert Boyle, René Descartes oder Francis Bacon rückten dann für eine kurze, historisch einmalige Zeit das Staunen und die Wunder ins Zentrum ihrer wissenschaftlichen Aufmerksamkeit und betrachteten Naturwunder als "ein[en] Fehdehandschuh, der philosophische Erklärungen herausforderte" (414). Die Moderne schließlich lebt in einer Naturordnung von eherner Regelmäßigkeit, die kein außerhalb und keine Einbruchstellen kennt und auf einer Ontologie basiert, nach der alle Wunder prinzipiell erklärbar sind.
Die Autorinnen gliedern die "Geschichte der Naturwunder" in neun Schwerpunkte. Den Auftakt bildet ein Kapitel über die frühe Wunderliteratur des Mittelalters, vorzugsweise Reisebeschreibungen, Chroniken und Enzyklopädien, in denen sich in der Reflektion auf außergewöhnliche Naturerscheinungen eine Kerntradition mittelalterlicher Kontemplation über Wunder herausbildete. Darauf folgt eine Darstellung der häufigsten mittelalterlichen Wundergegenstände, wie sie zur Meditation genutzt wurden oder bei kirchlichen Festen und höfischen Ritualen zum Einsatz kamen. Wunder waren in eine vielschichtige Repräsentationskultur eingebunden, und ihr Besitz sowie ihre Kontrolle waren Garanten von Macht und Herrschaft. Doch während für das Hochmittelalter dieser Zusammenhang von Wundern und den einzelnen Feldern des Gesellschaftlichen noch im Zentrum steht, gerät die Verbindung von Wunder und Macht zunehmend an den Rand der Betrachtung. Vor dem Hintergrund der von Daston und Park vertretenen These aber, dass der Niedergang der naturwissenschaftlichen Wunderkultur keinem Rationalisierungsprozess in einem geschlossenen Wissenschaftssystem geschuldet sei, sondern sich im Wechselspiel mit den Veränderungen im politischen und religiösen Raum der Gesellschaft abspielte, erscheint diese Aufmerksamkeitsverschiebung als Versäumnis.
Die einzelnen Kapitel demonstrieren sehr anschaulich die Wellenbewegung, in der Wunder und Staunen die europäische Geistesgeschichte prägten. In Kapitel 3 wird die Zurückweisung von Wunder und Verwunderung als integralem Bestandteil des Naturstudiums im 13. und 14. Jahrhundert geschildert; Kapitel 4 zeigt, wie ein Verbund von Intellektuellen, vorzugsweise Mediziner, Apotheker und Naturforscher, Wunder für naturphilosophische Betrachtung und empirische Untersuchungen prädestinierte. Kapitel 5 ist eine Fallstudie zur Faszination des Monströsen vom späten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein, und Kapitel 6 befasst sich mit dem Außernatürlichen als zentralem Reformelement der Naturgeschichte und Naturphilosophie der wissenschaftlichen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts. In Kapitel 7 werden Wunderkammern als große Inspirationsquelle für die Naturphilosophie von Bacon und Descartes vorgestellt; Kapitel 9 hingegen beschreibt das Ende der Wunder als Elitetradition der Naturforschung und die Aufklärung als das Fundament der Moderne in ihrer Bedeutung als das Anti-Wunderbare.
Im Epilog heißt es, Wundern hänge bis heute "ein Ruch des Populären" (434) an; sie erfreuten zwar die Menschen, "wie sie das seit dem zwölften Jahrhundert getan haben, aber sie stützen keine Regimes mehr, unterwandern keine Religionen mehr, erneuern die Gelehrsamkeit nicht mehr" (434). Zweifellos hat diese fulminante Studie über sechs Jahrhunderte weit mehr zu bieten, als es dieses relativ konventionelle Fazit vermuten lässt. Davon abgesehen bleibt die Frage offen, ob sich die seither verstrichenen 250 Jahre so resümieren lassen. Man denkt an die Wunder der Naturkundemuseen, die Technikwunder der Weltausstellungen und all die anderen Wunder des Fortschritts und fragt sich, welchen weiteren Transformationen das Wunder seit 1750 wohl noch erlegen ist.
Natascha Adamowsky