Rezension über:

Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; 162), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 658 S., ISBN 978-3-515-07940-2, EUR 110,00
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Rezension von:
Eva Moser
Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München
Empfohlene Zitierweise:
Eva Moser: Rezension von: Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 [15.03.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/03/4023.html


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Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis

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Ähnlich gewichtig wie der deutsche Bundeswirtschaftsminister der Jahre 1949-1963 präsentiert sich die überarbeitete Fassung der Habilitationsschrift von Bernhard Löffler. Unter einer eher trockenen Überschrift verbirgt sich die spannende und gut lesbare Untersuchung einer der zentralen behördlichen Organisationen der jungen Bundesrepublik Deutschland, des Bundeswirtschaftsministeriums unter Ludwig Erhard. Löffler geht der Frage nach, wie das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das auf die Kräfte der Wettbewerbsgesellschaft baute und die gelenkte Wirtschaft vor 1945 ablösen wollte, in der Praxis einer Verwaltungs- und Planungsinstanz wie dem Bundeswirtschaftsministerium umgesetzt wurde. Vier große Linien ziehen sich durch die Untersuchung. Zunächst geht es um die Rahmenbedingungen des politisch-administrativen Systems, also die Kompetenzverteilung in der Regierung, die Akzeptanz und Stellung des Ministers und seiner Mitarbeiter im Kabinett. Der zweite Bereich betrifft das institutionelle Selbstverständnis des Ministeriums und seinen ordnungspolitischen Ansatz. Drittens beschäftigt sich Löffler mit der Frage nach den Zusammenhängen von polit-ökonomischem Programm und wirtschaftspolitischer Praxis, also auch mit den Problemen bei der Umsetzung. Einen vierten Fragestrang bildet die Analyse der im Ministerium getroffenen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, wobei das Schwergewicht vor allem auf der Europapolitik liegt.

Die Kapitel der Untersuchung lassen sich im Wesentlichen in zwei große Gruppen teilen. Die Erste umfasst die formalen Rahmenbedingungen, die organisatorischen, personellen und ideell-normativen Grundlagen sowie die internen Bezugssysteme ministeriellen Handelns. Die Zweite verfolgt die Außenwirkung bestimmter Entscheidungs- und Handlungsabläufe des Ministeriums.

Für die vorliegende Studie konnte Löffler umfangreiches Quellenmaterial vor allem aus vier Archiven nutzen: nämlich die Sach- und Personalakten der Bundesministerien, des Bundeskanzleramts und der zonalen Behörden im Bundesarchiv Koblenz. Außerdem griff er auf die materialreichen Nachlässe im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin zurück. Einen wichtigen Fundus bot auch das Archiv der Ludwig-Erhard-Stiftung. Nicht nur für Fragen des Verhältnisses von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesbank, sondern auch für allgemeine wirtschafts- und währungspolitische Themen waren die Sach- und Personalakten des Historischen Archivs der Deutschen Bundesbank von Interesse.

Ein Schlüssel zum Verständnis der institutionellen Eigenart des Ministeriums liegt in der Beamtenschaft als Träger der Behördentradition. Löffler richtet daher ein besonderes Augenmerk auf das Personal des Wirtschaftsministeriums, das Anfang der Sechzigerjahre knapp 1.500 Mitarbeiter beschäftigte. Er weist nach, dass die "Ministerialen" im Nachkriegsdeutschland größtenteils den Ministerialbeamten zu Beginn des letzten Jahrhunderts ähnelten: männlich, protestantisch, städtisch sozialisiert und juristisch ausgebildet. Mehr als die Hälfte der Ministerialbeamten hatte die berufliche Karriere vor 1945 begonnen. Und dennoch formierte sich eine Beamtenschaft, die sich an einem veränderten demokratischen Staatswesen orientierte. Die flexible "corporate culture" des Ministeriums mit ihrer großen Spannweite von Meinungen und neuen Arbeitsgebieten, wie etwa der Europapolitik, faszinierte und motivierte junge aufstiegsbewusste Mitarbeiter. Das eher unorthodoxe Gesamtklima entsprach allerdings nicht in allen Punkten den strengen bürokratischen Gepflogenheiten in Bonn und sorgte damit gelegentlich auch für Irritationen.

Von großer Bedeutung war die Beamtenschaft auch für das Zusammenspiel von Ressort und Parteien beziehungsweise Parlamentsfraktionen. Gerade Erhards Verhältnis zu den Parteien gestaltete sich nicht einfach, sagte er doch von sich selbst: "Wer zu unabhängig denkt, gilt nicht als parteifromm. Ich galt immer als Mann, der für die Partei wenig Interesse hatte." Durch die sich immer stärker ausbildenden Gruppen- und Parteiinteressen sah er die "allgemeine Wohlfahrt" der neuen Demokratie gefährdet. Seine eigene Rolle definierte er auch nicht über eine politische Hausmacht, er trat lieber als professoral-wissenschaftlicher Fachmann auf. Trotz seiner "bayerischen Herkunft" hielt er zur CSU Distanz. Das lag wohl auch an CSU-Politikern wie dem bayerischen Landtagspräsidenten und Bundestagsabgeordneten Michael Horlacher, der aus der Tradition des Christlichen Bauernverbands kam und mit Erhards marktwirtschaftlichem Kurs nicht einverstanden war. Der "Vater des Wirtschaftswunders" trat erst 1963 in die CDU ein. Gerade weil der Wirtschaftsminister kein Mann des pragmatischen und flexiblen Interessenausgleichs war, waren seine Beamten umso wichtiger für die Verständigung mit den Parteien oder als Ansprechpartner für Kompromisslösungen.

Als zentrales Ergebnis seiner Studie stellt Bernard Löffler eine deutliche "Europäisierung" der deutschen Wirtschaftspolitik fest. Europapolitisch profilierte Persönlichkeiten wie Hans von der Groeben, Alfred Müller-Armack und Ulrich Meyer-Cording kamen aus dem Bundeswirtschaftsministerium und leisteten einen wichtigen Beitrag zur Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im westeuropäisch-atlantischen System. Wie Löffler konstatiert, entstand nach 1945 weder ein stärkerer noch schwächerer, sondern ein anderer Nationalstaat, dessen Außen-, Außenwirtschafts-, Handels- und Zoll- sowie Sicherheitspolitik in die der westeuropäischen Staatengemeinschaft integriert war. Zu dieser Tendenz trug auch die über die Europapolitik hinausreichende Ausrichtung des deutschen Wirtschaftsministers und seines Ressorts bei.

Die Publikation von Bernhard Löffler besticht durch ihre breit angelegte und vielseitige Analyse, die weit über den Rahmen einer trockenen Behördengeschichte hinausreicht. So beschäftigt sich der Autor unter anderem auch mit der Öffentlichkeitsarbeit des Bundeswirtschaftsministeriums, die trotz knapper "Bordmittel" sehr wirkungsvoll war und auf private Eigeninitiative setzte. Wichtiger Aktivposten dabei war der Minister selbst, der als "begnadeter Propagandist der Marktwirtschaft" galt. Große Schützenhilfe für seine Politik leistete unter anderem die "Brigade Erhard", ein Kreis mit rund 15 bis 25 Journalisten, die seit 1956/57 zu regelmäßigen Gesprächen im Wirtschaftsministerium zusammenkamen. Angesichts der Fülle von handelnden Personen bietet ein ausführliches und sorgfältiges Register wertvolle Orientierungshilfe. "Einen Kühlschrank in jeden Haushalt" forderte Ludwig Erhard 1953 in der DGB-Zeitung "Welt der Arbeit". Die Arbeit von Löffler in jedem Bücherschrank - das möchte man auch diesem Buch wünschen, allein der Preis steht dem entgegen.

Eva Moser