Ana Lucia Sabadell da Silva: Tormenta juris permissione. Folter und Strafverfahren auf der iberischen Halbinsel - dargestellt am Beispiel Kastilliens und Kataloniens (16.-18. Jahrhundert) (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; Bd. 39), Berlin: Duncker & Humblot 2002, 299 S., ISBN 978-3-428-10284-6, EUR 74,00
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Die vorliegende Arbeit von Ana Lucia Sabadell da Silva - die Druckfassung der Dissertation der Autorin an der Universität des Saarlandes - zum Thema "Folter und Strafverfahren in Kastilien und Katalonien in der Frühen Neuzeit" ist eine wertvolle Ergänzung der momentan betriebenen rechtshistorischen Forschungen auf dem Gebiet der Strafrechts- und Strafprozessgeschichte. Ist der Fokus der deutschen Forschung vornehmlich auf die Erklärung der Entwicklung des öffentlichen Strafrechts im deutschsprachigen Bereich gerichtet, so vermag die vorliegende Studie unsere Kenntnisse durch eine Darstellung der Vorgänge auf der spanischen Halbinsel zu erweitern und ist damit ein wichtiger Baustein zu künftigen vergleichenden Studien.
Die strafprozessuale Folter - definiert als eine "rechtlich geregelte Beweismethode, die durch Gewaltanwendung und Erzeugung von physischen Schmerzen den Befragten dazu bewegen soll, ein Geständnis abzulegen oder dem Gericht Informationen über die Begehungsumstände einer Tat zu liefern" (19) - wird meist als grausames und ungerechtes Element eines längst überkommenen Strafrechtssystems gewertet und damit stark negativ konnotiert. Sie sei dem "finsteren Mittelalter" entsprungen und erst durch die Fortschritte der Aufklärung überwunden worden. Dagegen stehen aber Ansichten, welche die Folter als Element der Verrechtlichung und als Ausdruck rationalerer Beweiskriterien werten. War zuvor ein streng formalistisches Beweissystem vorherrschend, so ermöglichte die Folter, die nur beim Vorliegen ganz bestimmter Voraussetzungen herangezogen werden durfte, einen Schwenk zu einem rationaleren Verfahren, welches die materielle Wahrheit in den Vordergrund schob und in der Entwicklung schließlich von der Indizienlehre zur freien Beweiswürdigung führte, in der die Folter keinen Platz mehr hatte. Dies erkennt aber nur, wer das Instrument der Folter nicht losgelöst vom gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund und deren steten Wandel betrachtet. Andererseits sind die von der modernen Forschung immer genauer herausgestellten symbolischen Funktionen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Strafjustiz sowie deren Rückbindung auf ein religiöses Weltbild genau zu beachten. Träger der Gerechtigkeit war der König, der als "strenger Vater" wie auch als "gnädiger Herr" fungierte, damit Strenge oder Gnade walten lassen konnte. Es ging - gesamt betrachtet - nicht darum, jedes einzelne Verbrechen zu bestrafen, was bei den Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten jener Zeit auch unmöglich war, sondern letztlich um obrigkeitliche Präsenz und Darstellung der Macht, die sich auch symbolisch durch einige wenige exemplarisch durchgeführte Verfahren manifestieren konnte, deren Urteile öffentlichkeitswirksam vollzogen wurden. Auch die Folter war in dieser Hinsicht ein "wichtiges Moment der Konkretisierung der Strafdrohung" (280), weil ihr selbst bei seltener Anwendung eine "symbolisch-präventive" Funktion innewohnte. Weiter stellt die Folter in jener Zeit, in der soziale "Ordnung" durch religiöse Überzeugung gelebt wurde, ein Mittel zum Schutz der Gesellschaft vor den Strafen Gottes dar, die bei Verstoß gegen das (religiös bestimmte) Weltbild drohten. Verbrechen waren eben nicht nur eine Straftat im modernen Sinn, sondern zugleich eine Sünde, die nach Sühne und Bekehrung der Täter verlangte. Nur ein Geständnis - und sei es durch die Folter herbeigeführt - konnte hier die volle reinigende Wirkung entfalten. In diesem Sinn ist die Folter auch nicht als das "barbarische" strafprozessuale Instrument zu verstehen, als das es heute erscheint, sondern vielmehr im religiösen Weltbild des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit zu Grunde gelegt und hat als ein Element des Strafprozesses, das eben zu dem zentral geforderten Geständnis führen sollte, theologische Implikationen (vergleiche 196f.).
Sabadell da Silva, die vor "moralisierenden Verurteilungen" der Folter warnt, ist sich dieser Zusammenhänge wohl bewusst. Die Verfasserin gliedert ihre Arbeit in vier Teile, wobei zwischen einer Einleitung am Anfang und einem sehr kurz gehaltenen Ausblick am Ende des Bandes zwei Hauptteile als geradezu monolithische Blöcke stehen. Der erste widmet sich der Darstellung der strafprozessualen Folter im Königreich Kastilien (34-179), der zweite dem Fürstentum Katalonien (180-278). Beide sind gleich aufgebaut: Nach einem kurzen Überblick über die jeweiligen politischen Organisationen, Rechtssysteme sowie die Gerichtsbarkeit der Territorien folgt eine Darstellung der normativen Regelung der Folter - wobei hier genauestens den rechtlichen Regelungen im territorialen Gesetzesrecht und den Gewohnheitsrechten, aber auch dem zunehmenden Einfluss des ius commune auf diese sowie dem komplexen Zusammenspiel aller Quellen nachgegangen wird. Anschließend wird der Folter in der gelehrten Strafprozessdoktrin, das heißt in den Werken der kastilischen beziehungsweise katalanischen Juristen nachgegangen. Schließlich gelangt noch die Praxis ansatzweise in das Blickfeld, indem die Verfasserin auch die Rechtsprechung der Gerichte, sofern diese in der spanischen juristischen Literatur jener Zeit berücksichtigt wurde, sowie indirekte Hinweise heranzieht. Ein Studium von Gerichtsakten erfolgte nicht, sodass - wie die Autorin selbst bekennt - "Aussagen über die 'Wirklichkeit der Folter' [...] nur mit äußerstem Vorbehalt getroffen werden" können (32). Eindeutig belegt ist aber die Nutzung der Folter in der Rechtspraxis.
Die territoriale Auswahl ist sinnvoll. Das kastilische Recht entwickelte sich zum Leitsystem des spanischen Rechts, Kataloniens Recht blieb davon weitgehend unberührt und behielt dagegen lange eine autonome Stellung, sodass der Vergleich beider Systeme sehr reizvoll erscheint. Kastilien weist zudem mit den "Siete Partidas" eine umfangreiche Gesetzessammlung sowie eine Fülle juristischer Literatur auf, wozu es in Katalonien kein Gegenstück gibt. Die Literatur setzt später ein, die Übernahmen aus dem ius commune gehen geringfügig andere Wege. Insgesamt eröffnet sich so ein spannendes Untersuchungsfeld. Die jeweiligen Rechtsquellenhierarchien und der Vorgang der Rezeption (wie auch der partielle Versuch der Abwehr) des römisch-kanonischen Rechts in der Form des ius commune werden anhand der spanischen rechtshistorischen Literatur nachgezeichnet; eine Art "zweite Rezeption" zeigt sich anhand des Einflusses des ius commune auf die zeitgenössische Rechtsliteratur. Einprägsam ist das Strafverfahren in den "Siete Partidas" sowie in den anderen Rechten geschildert. Besonders interessant erweist sich der Einfluss der italienischen Traktatliteratur auf die spanischen Juristen. Die teilweise spannenden Argumentationen der spanischen gelehrten Juristen zu Fragen der Tortur verfolgt man geradezu gebannt.
Der Rezensent ist nun kein Spezialist der spanischen Rechtsgeschichte, sodass ein Eingehen auf Details sich hier erübrigt. Vereinzelt darf aber leise Kritik geübt werden: So ist das Auslandsstudienverbot Philips II. von 1599 wohl nicht mit der Ablehnung der humanistischen Jurisprudenz zu begründen (so 45) - dies war bloß ein Effekt davon -, sondern steht im Zeitalter der Gegenreformation vielmehr im Einklang mit der Religionspolitik der spanischen (und österreichischen) Habsburger, die katholische "Rechtgläubigkeit" in ihren Ländern zu bewahren beziehungsweise wiederzuerlangen. Daneben bezieht sich die Ausnahme, die den Besuch der Universitäten von Rom, Neapel, Coimbra und des spanischen Kollegs in Bologna erlaubt, nicht auf alle Untertanen, sondern allein auf die der Krone Aragon. Gesamt betrachtet, vermisst man inhaltlich leider einen ausgiebigeren Vergleich der beiden dargestellten Territorien. Der "Ausblick" am Ende des Bandes kann einen solchen wie auch eine Zusammenfassung nicht ersetzen. Hier wurde sicherlich eine Chance vertan, den Band im Vergleich zuzuspitzen und Ergebnisse transparenter zu machen. Sprachlich fallen bisweilen Eindeutschungen von Fremdworten aus dem Spanischen auf, so etwa "Lokalismus", "Paktismus", "Absentismus", "garantistische" Regelungen et cetera, die gleich besser mit deutschen Begriffen umschrieben worden wären, zumal der Duden sie auch nicht kennt.
Die Studie bestätigt vergleichbare Ergebnisse, welche die Rechts- und Kriminalitätsgeschichte in Deutschland in den letzten Jahren erbracht hat. Trotzdem ist es ein wenig schade, dass die neuesten deutschen Studien zum Thema nicht mehr für die Druckfassung (Stand 2001, Druck 2002) berücksichtigt wurden. So wäre es sehr reizvoll gewesen, die Ergebnisse der Habilitationsschriften von Mathias Schmoeckel (Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln / Wien / Graz 2000), von Lorenz Schulz (Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im Strafverfahren, Frankfurt am Main 2001) oder von Alexander Ignor (Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn 2002) [1] noch vergleichend mit einzubeziehen. Diese erschienen aber fast parallel, sodass eine Berücksichtung faktisch unmöglich war.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die vorliegende Studie höchst interessante Einblicke in das Strafrechtssystem Spaniens in der Frühen Neuzeit gewährt. Sie wird gewinnbringend zur Hand nehmen, wer an der Rechtsgeschichte Spaniens oder an vergleichender Strafprozessrechtsgeschichte interessiert ist.
Anmerkung:
[1] Dazu Peter Oestmann: Rezension von: Alexander Ignor: Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn: Schöningh 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: <http://www.sehepunkte.de/2002/09/3413.html>
Josef Pauser