Gabriele Wimböck: Guido Reni (1575-1642). Funktion und Wirkung des religiösen Bildes (= Studien zur christlichen Kunst; 3), Regensburg: Schnell & Steiner 2002, 377 S., 16 Farb-Abb., 83 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-1408-5, EUR 76,00
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Conte Cesare Malvasia hat Guido Reni in der Felsina Pittrice (1678) als einen wahrhaften pictor christianus von engelsgleichem Aussehen festgeschrieben, der keusch und der Hl. Maria ergeben gelebt habe, und dem letztere auch erschienen sein müsse, da kein anderer Maler es je verstanden hätte, die Muttergottes più bella insieme e modesta darzustellen. Die Reaktionen der Reni-Forschung bis herauf in die Gegenwart waren und sind zwiespältig. Richard Spear (1992 und 1997) sieht in der persönlichen Frömmigkeit Renis eine unabdingbare Voraussetzung für dessen Erfindung des perfekten religiösen Bildes; Viktoria Schmidt-Linsenhoff hingegen betont in ihrer literarischen Rezeptionsgeschichte Renis (1974), dass die schriftlichen Bewertungen von Renis Werk durch dessen Zeitgenossen diesen Zusammenhang kaum betont hätten und viel mehr auf rein künstlerische Kriterien konzentriert gewesen wären. Damit sind auch die beiden Hauptmotive genannt, an denen Gabriele Wimböck ihre Untersuchung entwickelt hat, am Problemfeld des nachtridentinischen religiösen Bildes und an der annähernd zur gleichen Zeit einsetzenden Diskussion des Bildes als Gegenstand der Kunst mit ästhetischem Eigenwert. Und es waren gerade die Bildlösungen des Bolognesen, die zur Erprobung der Modelle zeitgenössischer Kunsttheoretiker und Bildertheologen in besonderem Maß geeignet erschienen. Dieser inhaltliche Zuschnitt erklärt es auch, dass die Autorin sich auf wenig mehr als zehn Gemälde von Reni beschränkt, die sie exemplarisch mit den in Quellen dokumentierten Reflexionen meist römischer, bolognesischer oder mailändischer Gelehrter des späten cinquecento und des seicento in Verbindung setzt. Im Mittelpunkt stehen Werke aus den Jahren zwischen 1615 und etwa 1630, der Blick konzentriert sich also auf lediglich 15 Jahre im langen Schaffen von Reni. Die Reni-Forscher machen nur einen Teil, wahrscheinlich nicht einmal den größten, jener Bildhistoriker aus, denen das Buch Wimböcks zugute und zu Hilfe kommen wird, auf der Ebene der konkreten Informationen über den reformorientierten Bildgebrauch in Italien, aber auch auf der arbeitstechnischen, methodischen Ebene.
Eigene Kapitel sind der Pietà dei Mendicanti, der Strage degli Innocenti, der so genannten Kapuzinerkreuzigung sowie den Varianten der Himmelfahrt Marias und der Immaculata Conceptio gewidmet, allesamt großformatige Altargemälde, die sich heute mit zwei Ausnahmen nicht mehr in situ, sondern in wichtigen Gemäldesammlungen befinden.
In bemerkenswerter Weise gelingt es Gabriele Wimböck in diesen Einzelstudien aufzuzeigen, wie unmittelbar Reni auf den rezenten bildtheoretischen Diskurs zu reagieren verstand und vice versa sich der Diskurs Renis Gemälde zu Eigen machte. Und es sind nicht wenige Themen, die sich in den Gemälden wieder finden. In einer Zeit, in der auf Grund der Kritik der Reformatoren am Heiligenkult die katholische Kirche vorsichtiger geworden war und ihr hagiographisches Quellenmaterial kritisch sichtete, war ein besonders sensibler Umgang mit dem ikonografischen Repertoire festzustellen - besonders wenn sie auf apokryphen Erzählungen basierten wie der Tod und die Himmelfahrt Mariens. Gerade die inhaltliche Neubewertung vieler Typen konnte erst zu jenen neuen und bleibenden Bilderfindungen führen, die Reni zum Leitbild des religiösen Malers werden ließ.
Ein wichtiger, wiederkehrender Punkt ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff der historia, vornehmlich in der Analyse der Pietà dei Mendicanti, lehnten doch - ausgehend vom Gebot des versosimile (des historisch Wahrscheinlichen) - die Theoretiker der Zeit (vor allem Gabriele Paleotti, Raffaele Borghini und Federico Borromeo) die Vermischung einer historia mit Heiligen unterschiedlicher Epochen ab. Auch die Bildlösung des Bethlehemitischen Kindermordes (Strage degli Innocenti) sieht die Autorin als unmittelbare Folge von diesbezüglichen römischen Diskussionen, die der Maler während seines ersten, 1612 beendeten Aufenthalts in der Stadt verinnerlicht haben dürfte.
Die Bildpräsenz der affetti (ein Schlüsselbegriff der jüngeren Barockforschung) und deren psychagogische Instrumentalisierung ist gerade bei Reni ein durchgehender Motivstrang und von Wimböck auch entsprechend dingfest gemacht. Der Vergleich und vielleicht auch die Konkurrenz mit der literarischen Behandlung der Themen (vor allem der strage!), weiters der für die Passionsverehrung so wichtige Typus des christo vivo, den Reni zum anatomisch präzise dargestellten (und von Wimböck akribisch beschriebenen) Ereignis macht, die Frage nach der Legitimität der weitgehenden Identität der Darstellung der Himmelfahrt Marias und der Immaculata Conceptio, bis hin zur naturalistischen Leichen- und Körperfarbe: Alles wird nahezu unerschöpfbar mit Dokumenten als Ergebnis bildtheoretischer Diskussionen abgesichert.
Der historischen Dimensionierung der Bild-Leistungen Renis wäre es ohne Zweifel dienlich gewesen, sie - wenn auch nur skizzenhaft - mit anderen Leitfiguren der Kunst der 1. Hälfte des seicento kurz zu schließen. So hätte ein komparatistischer Exkurs zu Peter Paul Rubens die Bezüge auf eine breitere Basis stellen können. Hat sich Rubens doch in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts annähernd gleichzeitig mit Reni in Rom aufgehalten und war damit wohl in Kenntnis derselben aktuellen Diskussion gewesen, die sich auch in dem erst kürzlich (leider zu spät, um von Wimböck berücksichtigt werden zu können) entdeckten Bethlehemitischen Kindermord von 1611/12 zu dokumentieren scheint. Oder ein anderes Beispiel: Für die Kapuzinerkreuzigung von 1619 konstruiert die Autorin einen Zusammenhang zwischen der realen Fenstersituation in der (im 19. Jahrhundert abgetragenen) Ordenskirche, der Licht/Wolkenkomposition am Altarblatt und den ultimi respiri von Christus. Wenn dem tatsächlich so war, dann ist hier eine erstaunliche protobernineske Konzeption des Transitiven ans Tageslicht befördert, die eine ausführliche historische Einordnung verdient hätte.
Die eingangs angesprochene Bandbreite und Widersprüchlichkeit der Ergebnisse der Reni-Forschung war entscheidendes Movens für Gabriele Wimböck, selbst in die Quellen zu gehen und deren Fundus auf unermüdliche, akribische Weise zu erweitern. Mit diesem Fundus versucht sie zu den einzelnen Bildern den verbindlichen kontextuellen Rahmen zu entwickeln. Vieles ist daraus zu lernen, am nachdrücklichsten vielleicht, wie neue formale Bildlösungen und ikonographische Typen gemeinsam aus einer Konfrontation von theologischem Desiderat und Autonomisierung des Künstlerischen (unter den klimatischen Bedingungen der katholischen Reform) entwickelt wurden. "Weniger ein generalisierender Überblick als vielmehr die Rückbettung der Einzelwerke wie auch des Gesamtschaffens in den zeitgenössischen Kontext" (13) war das Anliegen des Buches. Auch im Bewusstsein, dass der Versuch einer "Rückbettung" in den Kontext immer nur eine Annäherung an die tatsächlich existiert habende Vernetzung des Kunstwerkes sein kann, ist das Ergebnis von Gabriele Wimböck beeindruckend und richtungsweisend.
Eine dieser Leistung etwas abträgliche Nebenwirkung soll allerdings nicht verschwiegen werden: Vermittelt wird - überspitzt gesagt - der Eindruck, als wären die Gemälde Renis in der Hauptsache "auf die Leinwand gebrachte" Reflexionen über Bildfunktion und bildtheologische Rezeptur. Zu sehr sind die untersuchten Objekte auf das Reißbrett der Quellentexte genagelt. Jeder Quadratzentimeter des Bildes scheint von einem Traktat oder einer Lehrmeinung motiviert zu sein. Das Ergebnis hat den Charakter einer streng topografischen Erfassung der Bilder, eine im Versuch exakte Vermessung und Ordnung aller ihrer Teile. Man möchte hier einen anatomischen Ansatz erkennen, der jeden Strang, jedes Element (ob Attribut, Körperhaltung, Blickrichtung, Farbe) herauspräpariert und theologisch wie kunsttheoretisch abgedichtet. Eine Dokumentation des individuellen, künstlerisch autonomen Bestandteils der Kunst Renis kommt über weite Strecken zu kurz. Wenngleich eine gewisse Sterilität der Betrachtung die unvermeidbare Folge ist, ist die Vorgangsweise wegen ihres permanenten Rekurses auf Quellen doch unangreifbar.
Jeder, der an Themen zur barocken Kunst arbeitet, weiß, dass (spätestens seit Werner Weisbach) die Funktion der Sinne und deren Affizierbarkeit, der Einfluss der Rhetorik und die posttridentinische theologische Kunstreflexion Fixsterne in der Deutung der Kunst des 17. Jahrhunderts sind. Häufig und auf unbefriedigende Weise wird dieses Wissen gleichsam als "Stille Post" von einer Publikation an die nächste weitergegeben, ohne über die Oberfläche des Gemeinten hinauszukommen. Die Untersuchung Wimböcks schwimmt gegen diesen Strom und geht in die Tiefe des Bergwerks. Die Grundfrage, der das Buch verpflichtet ist, ist jene nach dem Zusammenhang der tief greifenden religionspolitischen Veränderungen und der Kunstausübung (Nutzung, Funktion, Wirkung des religiösen Bildes) nach dem Tridentinum. Wimböcks umfangreiche Antwort verwehrt sich expressis verbis gegen die allgemeinen Modelle, die eine unmittelbare Kausalität etwa zwischen der Entwicklung eines "Stiles" und kirchenpolitischen Vorgängen sehen wollen, und bemüht sich erfolgreich um die Herstellung des konkreten, unmittelbaren Kontextes, der einzelne Gemälde von Guido Reni bestimmt. In diesem Sinn handelt es sich (wie gesagt) nicht so ohne weiteres um eine Untersuchung, die in die Reni-Forschung einzureihen und als deren Fortschreibung abzuhaken wäre. Die Autorin geht weit darüber hinaus und befindet sich (gemeinsam mit anderen) auf einem Erfolg versprechenden Weg künftiger Barockforschung.
Herbert Karner