Michael Matheus / Walter G. Rödel (Hgg.): Bausteine zur Mainzer Stadtgeschichte. Mainzer Kolloquium 2000 (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 55), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 238 S., 5 Abb., 36 Graphiken, 9 Karten, 28 Tabellen, ISBN 978-3-515-08176-4, EUR 34,00
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Der vorliegende Sammelband fasst die Ergebnisse eines Kolloquiums zusammen, das im Jahr 2000 stattfand. Es sollte Nachwuchswissenschaftlern die Chance bieten, Ergebnisse ihrer von den beiden Herausgebern betreuten Staatsexamens- und Magisterarbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch einigen Doktoranden wurde ermöglicht, Fragestellungen und erste Thesen ihrer Projekte zur Diskussion zu stellen. Die nun gedruckten Beiträge dokumentieren am Mainzer Beispiel die eher unspektakuläre, "alltägliche" Nachwuchsarbeit landesgeschichtlicher Professuren und Institute in Deutschland: Alle Aufsätze sind überzeugende "Gesellenstücke", handwerklich solide, zumeist von "klassischen" Fragestellungen ausgehend. Einige der Aufsätze bieten zudem Thesen an, welche der vergleichenden Städtegeschichte Anregungen für weitere Untersuchungen geben.
Nicht jeder der Artikel kann ausführlich referiert werden; Themen sind die kirchlichen Einrichtungen in der Stadt (Brigitte Flug und Karin Emmrich), die städtische Sozialgeschichte (Patriziat im Spätmittelalter - Heidrun Kreutzer, ein Kaufmannshandbuch - Volker Wenzheimer, Juden im Vormärz - Matthias Rohde), Zäsuren der Stadtgeschichte (Die Festung 1793-97 - Elmar Heinz) sowie Stadt und Umland (Burgen um Mainz im 14. Jahrhundert - Stefan Grathoff). Als Schwerpunkt des Bandes aber lassen sich Untersuchungen zum Typus der geistlichen Residenzstadt festmachen, wobei vor allem die Sozialstruktur und der von der Residenz ausgehende soziale Wandel thematisiert werden.
Cornelia Buschbaum geht der Frage nach, ob sich nach dem Verlust der Stadtfreiheit 1462 die Mainzer Stadttopografie markant in Bezug auf den Grundstücksbesitz von Adel und Geistlichkeit verschob. Ihre Quellen sind die Stadtaufnahmen ab 1568. Es zeigt sich, so ihre methodisch überzeugende Auswertung, die "stetige Zunahme des geistlichen und adligen Vermögens innerhalb der Stadt während ihrer Entwicklung zur kurfürstlichen Residenz". Auch die städtische Amortisationspolitik konnte die geistlichen Einrichtungen nicht bremsen. Schon die Aufnahme von 1568 zeigt, dass die geistlichen Eigentümer die bedeutenden Flächen im Stadtgebiet inne hatten, und dass ihre Gebäude den bürgerlichen Häusern auch an Größe überlegen waren. Im Folgenden finden sich interessante Beobachtungen entlang der Zeitachse, so etwa der Hausbesitzverlust im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges und der relative Zugewinn des Kurfürsten, dessen Eigentum in der Stadt konstant blieb, während Geistlichkeit und Adel ihre Verluste nicht kompensieren konnten. Fazit ist, so Buschbaum, dass 5% der Bevölkerung (Adel, Geistlichkeit und Kurfürst) im Jahre 1747 318.080 qm Fläche einnahmen (zum Vergleich: das gesamte Stadtbürgertum 528.920 qm)! Die Bürger verblieben in den engen Gassen einzelner Pfarreien, während Adel, Geistlichkeit und Kurfürst mit Palais und Garten der Residenzstadt ihren Stempel aufdrückten.
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch der Aufsatz von Christiane Reves über die Präsenz von Italienern in Mainz (368 Personen und 729 Nachkommen 1648-1802). Die Autorin geht mit dem Instrumentarium der Deskriptivstatistik den Motiven und den Auswirkungen der Einwanderung, vor allem der aus dem Gebiet um den Comer See stammenden Italiener, nach. Die Attraktivität von Mainz für den Zuzug beruhte darauf, dass der Stadt nach 1462 die wirtschaftliche und soziale Führungsschicht fehlte und dass der erzbischöfliche Hof Personal bis hin zum Perückenmacher benötigte. Aufgrund der katholischen Konfession hatten die Italiener keine Schwierigkeiten mit dem Erwerb des Bürgerrechts. Erleichtert wurde ihr Zuzug durch eine gezielte Einwanderungspolitik des Kurfürsten. Ergebnis war, dass es den Zuwanderern gelang, den Lokal- und Fernhandel zu beleben. Im Kontrast zu dieser "Erfolgsgeschichte" beschäftigt sich Stefan Rheingans mit dem "alten" Handwerk und dem Kleinhandel in der Residenzstadt und zeigt ein statisches Bild - für diese Bereiche ist wenig von den Impulsen der Residenzstadt zu spüren.
Mit ihrer Darstellung der Mainzer Großhändler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht Ricarda Matheus auf aktuelle Themenfelder der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch der Bürgertumsforschung ein. Die Übergänge vom städtischen Fernhändler zum Handelsbürgertum werden mittels eines prosopografischen Ansatzes überzeugend nachgezeichnet. Es bildete sich in Mainz "ein relativ geschlossenes und sich seiner innerstädtischen Position als wirtschaftliche Elite bewusstes Handelsbürgertum heraus", das katholisch blieb. Befruchtend ist ihre Überlegung, dass dieser Wandel seine Ursachen nicht in einem wie auch immer gearteten Engagement in der Stadt hatte - hier fehlte es an Möglichkeiten für die Ansiedlung von Manufakturen oder für verlegerisches Engagement -, sondern dass das Mainzer Umland und weiter entfernt liegende Regionen des Erzstifts die Basis der Aktivitäten (und der Kapitalakkumulation) abgaben.
So weit einige der Ergebnisse des Sammelbandes, der zeigt, dass Heuristik und Verfahren der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nach wie vor für die Stadtgeschichte von großem Nutzen sind. Insbesondere die Überlegungen zu Sozialstruktur und -topografie der geistlichen Residenzstadt machen diese "Bausteine" zu einem nachahmenswerten Beispiel für die gelungene Verknüpfung von Nachwuchsförderung und geschichtlicher Landeskunde.
Werner Freitag