Daniel Schönpflug / Jürgen Voss: Révolutionnaires et Émigrés. Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789-1806 (= Francia; 56), Ostfildern: Thorbecke 2002, 272 S., 9 Abb., ISBN 978-3-7995-7450-1, EUR 40,00
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Die Geschichte des Transfers und der kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland in der Frühneuzeit und im frühen 19. Jahrhundert hat sich in den vergangenen Jahren als ein besonders fruchtbares Arbeitsfeld für die Historiker beider Länder erwiesen. [1] In diese Forschung ordnet sich auch der vorliegende Sammelband zum Thema Migration von Menschen und Gedanken im Kontext der französischen Revolution ein, der die Beiträge eines Workshops am Pariser Deutschen Historischen Institut vom September 1999 zusammenfasst. Damit wird ein Aspekt des französisch-deutschen Kulturtransfers behandelt, dem ebenfalls an anderer Stelle in der jüngeren Forschung eine größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. [2] Vor diesem Hintergrund bietet der vorliegende Band einige wichtige Ergänzungen und Weiterungen, vor allem durch den Überblick über verschiedene Forschungsvorhaben deutscher und französischer Historiker, die hier teilweise in längeren Texten veröffentlicht wurden. Die Beiträge werden sowohl in Deutsch wie Französisch präsentiert, zusammen mit einem Resümee in der anderen Sprache, was angesichts der unter deutschen und französischen Historikern leider immer noch mangelnden Sprachkenntnisse sicherlich hilfreich ist.
Inhaltlich ist der Band locker um drei Themenschwerpunkte gruppiert: erstens die Rolle des Jakobinismus in Deutschland; zweitens die Bedeutung des deutsch-französischen Grenzraums in der Revolutionszeit; drittens schließlich die französische Emigration. Wie glücklicherweise zunehmend in der Transferforschung üblich, verlässt der Band dabei den engeren Rahmen des deutsch-französischen Austausches, indem mit dem Beitrag von Serguey Korotkov über die französische Kolonie in Sankt-Petersburg auch eine nicht-deutsche Hochburg der Emigranten betrachtet wird. Dieser Text ist auch deshalb besonders hervorzuheben, da er mehr noch als die anderen Aufsätze des Bandes den deutschen Fall in den breiten Horizont einer europäischen Geschichte einbettet, in der Deutschland und Preußen für viele Emigranten "nur" die Rolle eines Zwischenraums beziehungsweise Transitlandes auf dem Weg in ihre endgültigen Zufluchtsorte zukam. Insofern verweist er auf die zentrale Bedeutung der Chronologie des betrachteten Zeitraums, der sowohl die eigentliche Phase der Revolution und der Revolutionskriege als auch die Zeit der napoleonischen Eroberung Europas beinhaltet. Die sich daraus ergebenden Kontextveränderungen werden leider in vielen Beiträgen nicht ausdrücklich thematisiert, da sie sich ganz auf ihr jeweiliges Spezialthema konzentrieren. Eine breitere Einbettung bleibt damit aus, sodass der Leser genügend Vorkenntnisse mitbringen muss, um die vorgestellten Einzelstudien sowohl in den breiteren historischen Rahmen als auch in die jeweiligen Forschungsdiskussionen einordnen zu können.
So erweist sich beispielsweise Koblenz, dessen 'reale' wie auch 'diskursive' Bedeutung die Aufsätze von Christian Henke und Karine Rance auf anschauliche Weise beleuchten, trotz seiner vorübergehenden Stellung als "Emigrantenzentrum par excellence" aus einer übergreifenden Perspektive lediglich als einer von mehreren Orte, an denen sich die französischen Konterrevolutionäre in einer ersten Phase nach 1789 niederließen, bevor die politischen und militärischen Entwicklungen sie noch weiter auf dem Kontinent verstreuten. Auch die von Peter Veddler für den Zeitraum zwischen 1792 und 1802 behandelten französischen Emigranten in Westfalen müssten in diesem Sinne noch deutlicher mit der Geschichte des späteren westfälischen Modellstaates verknüpft werden, da - wie der Autor selbst hervorhebt - "Westfalen" in dem von ihm betrachteten Zeitraum noch keine staatliche Einheit darstellte. Stattdessen lenkt Veddler seinen Blick vor allem auf die Emigrantenpolitik im Fürstbistum Münster und in den westfälischen Gebieten Preußens, ohne dass jedoch die angeführten Beispiele breiter in die Forschungsdiskussion über die Auswirkungen der von der Revolution ausgelösten Migrationsbewegungen eingebettet werden. Demgegenüber kann Thomas Höpel in seinem breit angelegten, systematischen Vergleich der Emigrantenkolonien in Kursachsen und Preußen überzeugend demonstrieren, welche Rolle im jeweiligen Fall die staatliche Herrschaftspraxis für die kulturelle Integration der Flüchtlinge, aber auch für die Reaktion der Bevölkerung besaß. In Ansätzen zeigten sich dabei schon die modernen Problemstellungen und Kategorien der Fremdheit, die stärker, als dies zuvor der Fall gewesen war, in der Behandlung der Flüchtlinge zwischen Staatsbürgern und "Ausländern" unterschieden.
Auch in den anderen Teilen des Buches mischen sich in ähnlicher Weise Beiträge von sehr unterschiedlichem Umfang und gedanklicher Dichte. Herausragen dabei die Beiträge von Erich Pelzer, der in seinem Beitrag die Entstehung und Zirkulation der antirevolutionären Stereotypen in den Flugschriften, Pamphleten und anderen Presseerzeugnissen der deutschen und französischen Konterrevolutionäre eindrücklich am Beispiel des imaginären Bildes vom "Club de la Propagande" herausarbeitet, und von Daniel Schönpflug, der anhand des Jakobinerklubs in Straßburg die lokalen Ursprünge für den Aufstieg der antideutschen Ressentiments aufweist. Damit wendet er sich ausdrücklich gegen eine vor allem von François Furet repräsentierte Revolutionsgeschichtsschreibung, die derartige xenophobe Tendenzen in erster Linie der Radikalisierung der Pariser Revolution zuschreibt. Man kann es nur bedauern, dass Schönpflug seine Ergebnisse nicht weitergehend auf die in der Kulturtransferforschung geführte Diskussion über die Formierung des Nationalbewusstseins, von Fremdstereotypen und Feindschaft in der Revolution bezieht, ebenso wie dies auch in dem ansonsten sehr differenzierten Aufsatz von Susanne Lachtenich über die politischen Konzeptionen der deutschen Emigrantenpresse in Straßburg in den Jahren 1795 bis 1797 unterbleibt. Methodisch anregend ist auch die ikonografische Analyse der Briefköpfe der französischen Verwaltung im Rheinland und ihrer revolutionären Symbolik, die Wolfgang Stein in seinem Beitrag liefert. Allerdings bleibt auch hier der Transferaspekt unterbelichtet, sodass etwa der regionale Kontext, in dem Stein seine Untersuchung platziert, kaum diskutiert wird.
Insgesamt ist ein Band entstanden, dem man eine deutlichere herausgeberische Hand gewünscht hätte, um die zum Teil durchaus spannenden Einzelstudien am Ende zu einem sinnvollen Ganzen zu verknüpfen. Die etwas kurz geratene Einleitung (etwas mehr als 5 Druckseiten) leistet dies zumindest nicht. Selbst das von Pierre-André Bois geschriebene Resümee zum Abschluss des Buches bietet keine, im Titel des Beitrags jedoch angekündigte "Synthese", da sich der Autor darauf beschränkt, die verschiedenen Arbeiten noch einmal inhaltlich Revue passieren zu lassen. Der übergreifende Blick und die methodische Reflexion bleiben dadurch jedoch, wie leider an einigen Stellen des Buches, auch hier auf der Strecke.
Anmerkungen:
[1] Siehe unter anderem Michel Espagne: Les transferts culturels franco-allemands, Paris 1999; Michel Espagne / Michael Werner (Hg.): Transferts. Les relations interculturelles dans l'espace franco-allemand (XVIIIe-XIXe siècle), Paris 1988; Etienne François u.a. (Hg.): Marianne - Germania. Deutsch- französischer Kulturtransfer im europäischen Kontext 1789-1914, Leipzig 1998; Thomas Höpel (Hg.): Deutschlandbilder - Frankreichbilder 1700 - 1850: Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, Leipzig 2001; Mareike König (Hrsg.): Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert. Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris, München 2003.
[2] Neben den genannten Werken und den verschiedenen Arbeiten der Autoren des Bandes siehe vor allem Thomas Höpel / Katharina Middell (Hg.): Réfugiés und Emigrés. Migration zwischen Frankreich und Deutschland, Comparativ 5/6 (1997).
Jakob Vogel