Bernhard Strebel: Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes. Mit einem Geleitwort von Germaine Tillion, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, 615 S., ISBN 978-3-506-70123-7, EUR 50,00
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In den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen über das KZ Ravensbrück erschienen. Das hier vorzustellende Buch von Bernhard Strebel stellt den Versuch dar, eine Gesamtdarstellung des KZ Ravensbrück zu schreiben, eines Konzentrationslagers, dessen Geschichte erst spät ein angemessenes wissenschaftliches Interesse erfuhr. Strebels Arbeit unterscheidet sich damit von anderen Veröffentlichungen, die in der Regel, meist in Kenntnis der Desiderata, einzelne Aspekte der KZ-Geschichte eingehend behandeln.
Der Autor hat seine im Jahr 2001 als Dissertation in Hannover eingereichte Arbeit in zehn Kapitel eingeteilt. Sein Erkenntnisinteresse konzentriert sich vor allem auf die Frage, welche Ähnlichkeiten beziehungsweise Unterschiede in der Geschichte eines Konzentrationslagers für Frauen im Vergleich zu einem Männerlager sichtbar werden. Dies arbeitet er anhand einer genauen Beschäftigung mit den Tätern und Täterinnen, mit den Gruppen der Häftlinge und ihren Existenzbedingungen, die insbesondere von Zwangsarbeit und der Vernichtungsdrohung geprägt waren, und den weiteren, zum Lagerkomplex gehörenden Lagern heraus.
Im ersten Kapitel behandelt Strebel knapp die allgemeine Situation von weiblichen Häftlingen bis 1939 und erläutert die Gründe, die zur Verhängung von Schutzhaft führten. Er zeichnet im zweiten Kapitel nach, unter welchen Umständen es zur Errichtung des KZ Ravensbrück kam, wobei auf Grund der lückenhaften Quellenlage offen bleibt, welche Überlegungen letztlich der Entscheidung zu Grunde lagen, ein KZ an jenem Ort zu errichten. Am Beispiel der am Bau beteiligten Firmen Fürstenbergs wird deutlich, in welchem Ausmaß die Umgebung Beziehungen zum Konzentrationslager knüpfte. Strebel hat sich dieser Frage zwar nicht explizit gewidmet, gleichwohl finden sich auch an anderen Stellen Hinweise auf die Verflechtungen zwischen dem Lager und dem Ort.
Im dritten Kapitel über die Bewachungs- und Personalstruktur hat der Autor eine beeindruckende Menge an Detailinformationen zusammengetragen. Längere biografische Ausführungen widmet er den beiden Kommandanten Koegel und Suhren. Knappe Skizzen über das männliche Führungspersonal finden sich im Anhang. Hier setzt sich der Autor auch mit der seit langem diskutierten Frage der Freiwilligkeit der Tätigkeit der SS-Aufseherinnen auseinander und kommt zu einem Schluss, der wie so häufig in Bezug auf das KZ Ravensbrück von der eingeschränkten Quellenlage bestimmt ist: Demzufolge kann von einem freiwilligen Diensteintritt höchstens bis 1941 gesprochen werden; der Dienstverpflichtung konnte man sich kaum entziehen und die Tätigkeit im KZ bot darüber hinaus auch materielle Anreize. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen offiziellen Anweisungen über die Behandlung der Häftlinge Erinnerungen Überlebender gegenübergestellt werden.
Das Kapitel über das Frauenlager mit seinen 185 Seiten stellt das Kernstück der Arbeit dar. Darin befasst sich der Autor überwiegend quantitativ mit der Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft, wobei er nach Verfolgungsgründen und Nationalitäten unterscheidet. Er präsentiert umfangreiche Detailinformationen und zahlreiche Einzelschicksale. Bei der Beschreibung der Existenzbedingungen tritt eine weitere Schwierigkeit der Ravensbrück-Forschung zu tage. Auf Grund des Fehlens von Täterdokumenten beschränkt sich der Autor auf allgemeine Angaben über die stetige Verschlechterung der Überlebensbedingungen der Häftlinge, welche generell von der rassistischen Werteordnung der SS geprägt waren. Den zum Teil drastischen Unterschieden in den Erfahrungen der Häftlinge würde man wohl eher gerecht, wenn die Beschreibung ihrer Existenzbedingungen mit den Erläuterungen über die Zusammensetzung der Häftlingsgruppen verknüpft wäre.
In welchem Maße antisemitische und rassistische Einstellungen des Lagerpersonals Einfluss auf die Lebensbedingungen der Häftlinge hatten, ist besonders eindrucksvoll an der Beschreibung des insgesamt 20.000 Häftlinge umfassenden Männerlagers ablesbar, die auf erhalten gebliebenen Lagerdokumenten und Aussagen überlebender Häftlinge basiert. Unter den jüdischen und den als asozial bezeichneten Männern sind die höchsten Sterbezahlen zu verzeichnen.
Von der Ermordung der Häftlinge in der "Euthanasie"-Aktion unter dem Aktenzeichen 14 f 13 waren Frauen wie Männer des KZ Ravensbrück gleichermaßen betroffen. Wurden die Häftlinge zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Bernburg transportiert und dort ermordet, stellte die Lagerleitung ab Januar 1943 so genannte schwarze Transporte in die Heil- und Pflegeanstalt Hartheim bei Linz und ins KZ Majdanek zusammen. Die Opferzahl, die Strebel mit 1.600 angibt, basiert vor allem auf Angaben von überlebenden Häftlingen, da Täterdokumente fehlen.
Da das KZ Ravensbrück in den ersten Monaten für die Verwaltung der Frauenabteilung von Auschwitz-Birkenau zuständig war, setzt sich Strebel mit der organisatorischen Verflechtung beider Lager auseinander. Es ist offensichtlich, dass Ravensbrück nur formal zuständig war. Dass sich die Verhältnisse in der Frauenabteilung massiv von denen in Ravensbrück unterschieden, ist hinlänglich bekannt, da Auschwitz-Birkenau ein Vernichtungslager war, das Ravensbrück nie gewesen ist.
Die Beziehungen zwischen Ravensbrück und dem 1942 in der unmittelbaren Nachbarschaft eröffneten "Jugendschutzlager" Uckermark waren hingegen wesentlich enger. So hatte der Kommandant des KZ Ravensbrück diese Stellung auch im Jugendschutzlager, wenngleich die faktische Leitung Kriminalkommissarin Lotte Toberentz innehatte. Das Reichskriminalpolizeiamt war für Einweisung und Entlassung der Mädchen und jungen Frauen im Alter von 14 bis 21 Jahren zuständig, die in der Regel als asozial galten oder sich des "Verkehrs mit Fremdvölkischen", meist mit Zwangsarbeitern, schuldig gemacht hatten. Junge Frauen, die aus politischen Gründen nach Uckermark eingeliefert wurden, wie eine kleine Gruppe junger Sloweninnen aus der Widerstandsbewegung, stellten die Minderheit dar.
Auf den Einsatz von Frauen als Arbeitskräfte geht Strebel in den Kapiteln über die Firma Siemens in Ravensbrück und über die Ravensbrücker Außenlager ein. Im Vordergrund stehen hier jeweils die Vorgeschichte der Verhandlungen über Bedarf, Verwendung und Bewachung von weiblichen Häftlingen, die Arbeitsorganisation und die Existenzbedingungen der Häftlinge, die von der Art der Arbeit und von dem in der Regel eigennützigen Verhalten der Betriebe abhingen. Strebel liefert eine detaillierte Auflistung der Ravensbrücker Außenlager und ihrer Betreiber und kommt zu dem vorsichtigen Schluss, dass die Todesrate weiblicher Häftlinge in Außenlagern niedriger war, weil sie im Gegensatz zu männlichen Häftlingen überwiegend als Produktions- und nicht als Bauhäftlinge eingesetzt wurden.
Eindringlich schildert Strebel die letzten Monate vor der Befreiung, die für die Häftlinge von extrem gesteigerter Todesdrohung geprägt waren, da sich das maßlos überfüllte KZ nun zu einem Auffang- und Evakuierungslager entwickelte. Gleichzeitig kam es zur Entlassung von Häftlingen, zur forcierten Verlegung von Häftlingen in andere Konzentrations- und Außenlager und zur Ermordung von Häftlingen im Stammlager als auch im geräumten und zur "Todeszone" umgewandelten Jugendschutzlager Uckermark.
Daran schließt sich eine ausführliche Neuberechnung der Todeszahlen unter Verwendung aller verfügbaren Quellen und Schätzungen an. Diese Berechnung birgt die Unsicherheit, dass entsprechende Lagerdokumente, aus denen die Sterblichkeit unter den Häftlingen hervorgeht, nur in Bruchstücken erhalten sind. Strebel kommt in einer Gesamtbilanz zu dem Schluss, dass in Ravensbrück etwa 28.000 Häftlinge, davon etwa 25.000 bis 26.000 Frauen zu Tode gekommen sind. Dabei klammert er die Opfer der Todesmärsche und diejenigen, die unmittelbar nach der Befreiung ums Leben kamen, ausdrücklich aus.
Strebels Arbeit ist material- und detailreich und enthält erfreulich viele Zitate. Es ist zu hoffen, dass auch Leserinnen und Leser, die nicht dem Fachpublikum zuzurechnen sind, sich vom Umfang des Werkes nicht abschrecken lassen, stellt doch das zwar streckenweise stark quantitativ orientierte Werk eine lohneswerte Lektüre dar.
Linde Apel