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H. C. Faußner macht seit Jahren durch Thesen von sich reden, die von der überwiegenden Mehrheit der Mittelalterforschung nicht geteilt werden (vergleiche zum Beispiel die ablehnenden Rezensionen im Deutschen Archiv in den Bänden 47, 49, 51-54 und auch im jüngsten Band von R. Schieffer). In seinem neuen, vierbändigen Werk spinnt er den von ihm aufgenommenen Faden weiter, ohne auch nur im Geringsten auf seine Kritiker, unter ihnen viele renommierte Fachleute, einzugehen.
Grob lassen sich seine Überzeugungen wie folgt zusammenfassen: Nahezu alle früh- und hochmittelalterlichen Kaiser- und Königsurkunden - insgesamt 6087 Stücke (Übersicht in Band 1, 179-190) - seien im Auftrag Abt Wibalds von Stablo und Corvey in seinem persönlichen Umfeld auf der Grundlage echter Vorurkunden im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts gefälscht worden. Daneben lässt Faußner nur 183 Urkunden als echt bestehen. Die originalen Vordiplome habe Wibald vernichtet. Grundlage für diese weit reichende These sind rechtshistorische Erwägungen, denen zufolge es dem König vor dem Wormser Konkordat nicht erlaubt - und damit auch nicht möglich - gewesen sei, Grund und Boden zu vergeben. Alle Urkunden, die solches zum Gegenstand hätten, seien dementsprechend als Fälschungen anzusehen; sie seien als Quellen für ihre angebliche Entstehungszeit irrelevant, gäben aber sehr wohl Einblick in die spezifischen juristischen Probleme kirchlicher Amts- und Würdenträger der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Dies wird im ersten Band dargelegt, die weiteren Bände bieten lediglich Urkundenlisten, die hier und da knapp kommentiert sind.
Die sich durch solche hanebüchenen, gegenüber der Forschungsgeschichte von Diplomatik und Paläografie völlig ignoranten Aussagen ergebenden Probleme inhaltlicher Widersprüche glaubt Faußner mit den unterschiedlichsten Hilfskonstruktionen vom Tisch fegen zu können. Dazu lässt er Wibald nicht nur Urkunden, sondern auch zahlreiche wichtige narrative Quellen fälschen (Einhards Vita Karls des Großen; die Werke Hrothsvits von Gandersheim, Widukinds Sachsengeschichte und viele andere mehr). Weiterhin konstruiert er persönliche Beziehungen und anschließende Zerwürfnisse Wibalds etwa zu Abt Suger von St. Denis, Erzbischof Albero von Trier oder Bischof Embricho von Würzburg, die erklären sollen, wie und warum deren Kirchen sich widersprechende Herrscherdiplome erhalten haben sollten (siehe dazu unten, Zitat Seite 125). Weiterhin will er belegen, dass der cancellarius bei der Abfassung von Urkunden nicht mitgewirkt habe, was durch viele Quellen gut belegt ist. All diese staunenswerten Anstrengungen, die nicht frei von simplen Fehlern sind - so erscheinen die westfränkischen Könige ab 923 ohne Angabe von Gründen nicht mehr - dienen nur dazu, die These von der Wibald'schen Fälscherwerkstatt, die auf Bestellung einzelner Prälaten Urkunden im Dutzend zu liefern imstande war, zu untermauern. Gegen die reichhaltige Forschung hat Faußner in der Regel wenig mehr denn Polemik zu bieten.
Faußner hat sich im Laufe der Jahre offenbar in eine Verschwörungstheorie hineingesteigert, die sich außerwissenschaftlicher Axiome bedient sowie mit zahlreichen Zirkelschlüssen arbeitet und die daher mit wissenschaftlichen Argumenten nicht mehr widerlegt werden kann. Es dürfte der Mühe kaum wert sein, seinem sehr dicht verfassten, aber dabei durchaus sprunghaft angelegten Werk mit seriösen Argumenten entgegen zu treten. Faußner arbeitet mit suggestiv aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten anderer Autoren und mit zum Teil überholter Literatur - so ist einer seiner wichtigsten Gewährsleute Max Manitius -, bedient sich eines bisweilen unglücklichen und grammatikalisch fragwürdigen Stils, und die nicht wenigen Druckfehler passen gut zum auch ansonsten zweifelhaften Charakter seines Opus, das er offenbar als Begründung einer ganzen Publikationsreihe zu Wibald von Stablo verstanden wissen will.
Bezeichnend dürften einige Sätze aus dem ersten Band sein, mit denen er "Wibald von Stablo, das anonyme Phänomen" (so die Überschrift von Kapitel IV., 168-196) glaubt charakterisieren zu können: Ein Diplom sei "typisch für Wibald mit seinem ausgeprägten Faible für Pomp und das Extravagante" (95). "Wohl kaum kann etwas anderes mehr Einblick in die Psyche Wibalds verschaffen als die von ihm verfaßten Heiligen-, Reliquien- und Wunderlegenden. Wie bei so manchem großen Künstler ist der Übergang vom Genialen zum Skurrilen und Abstrusen fließend" (117). "So erweisen die Gesta [S. Servatii] Wibald wiederum als einen nur schwer zu ertragenden Schwadroneur" (120). "Diese hohe Selbsteinschätzung Wibalds machte ihn äußerst empfindlich, wenn er sich nicht gebührend gewürdigt, übergangen oder gar verletzt glaubte. Dann schlug sich dies in förmlich alttestamentarische haßerfüllte Wut und Rachsucht nieder und er setzte alles daran, seinem nunmehrigen Todfeind das wieder zunichte zu machen und möglichst in sein Gegenteil zu wandeln, was er bis dahin für ihn geschaffen und bewirkt hatte" (125). Die Liste dieser Beispiele ließe sich leicht verlängern.
Es scheint dem Rezensenten, als habe hier ein Forscher jede Distanz zu seinem Forschungsobjekt und den Überblick in seinem hingebungsvoll aufgebauten Konstrukt verloren. Jedes dieser Zitate könnte man wohl auch auf seinen Urheber anwenden. Dass sich ein renommierter Verlag wie Olms für den Druck dieses Machwerks bereit gefunden hat, stimmt bedenklich. Oder hatte man etwa die Jünger eines Heribert Illig im Blick, die Faußner schon für sich entdeckt haben? Honi soit, qui mal y pense. Vor dem Kauf dieser fast 300 Euro teuren Bände muss eindringlich gewarnt werden, sie haben in einer wissenschaftlichen Bibliothek keinen Platz!
Jürgen Römer