Samuel Schüpbach-Guggenbühl: Schlüssel zur Macht. Verflechtungen und informelles Verhalten im Kleinen Rat zu Basel, 1570-1600. Band 1: Analysen. Band 2: Forschungsmaterialien (= Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft; Bd. 173), Basel: Schwabe 2002, 2 Bde., 440 S. + 258 S., ISBN 978-3-7965-1514-9, EUR 47,50
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Die Hintergründe von politischer Macht sind seit eh und je Gegenstand von Faszination. Häufig und bevorzugt fokussieren Wissenschaft und Forschung die Vordergründe der politischen Macht und deren Hauptträger. Hintergründe, sprich Verflechtungen und informelle Verhaltensweisen, kommen meist weniger zum Tragen, da sie in den Quellen nur schwer nachweisbar sind. In diese Lücke springt Samuel Schüpbach-Guggenbühl und unternimmt in seiner Dissertation den dialektischen Versuch, das abweichende Verhalten von Einzelnen und das jeweilige Gegenverhalten einer relativ anonym bleibenden Elite möglichst detailliert zu beschreiben.
Samuel Schüpbach-Guggenbühl bezeichnet seine Dissertation im Vorwort offen als "mitunter 'selbstgewählte Lebenskrise'". Das Ergebnis dieser Krise ist formal gesehen beachtlich: zwei Bände - ein erster Band mit Analysen und ein zweiter Band mit Forschungsmaterialien, die entlang der Hauptmerkmale und Eckdaten eines jeden politischen Akteurs strukturiert werden. Die "Schlüssel zur Macht - Verflechtungen und informelles Verhalten im Kleinen Rat zu Basel, 1570-1600" beginnen im Sinne eines historischen Epos mit einer über "Schimpf und Schande" reflektierenden Ouvertüre. Anhand der Beschimpfung eines Bürgermeisters durch einen Dreizehnerherren (dieses Führungsgremium war eine Art Geheimer Rat und analog zum Kleinen Rat mit allen politischen Gewalten befugt) ebnet Schüpbach-Guggenbühl den Einstieg in die verworrenen Macht- und Herrschaftsstrukturen des frühneuzeitlichen Basel. Die Schlüsselbegriffe der Dissertation werden vorgestellt und in einem Überblick über Forschungsstrategie und Approach bereits auch ansatzweise reflektiert.
In einem zweiten Teil tastet sich Schüpbach-Guggenbühl an "Selbstverständliches und Gewöhnliches" heran. Im Zentrum stehen hier implizite Paradigmen, wie die innenpolitischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft im Rat, die außenpolitische Lage Basels im 16. Jahrhundert sowie die Herkunft der Ratsmitglieder. Im Sinne eines Exkurses wird über die Bedingtheit von wenig Schriftkenntnissen, das obrigkeitliche Selbstverständnis des Kleinen Rates zu Basel und dessen Herrschaftsausübung reflektiert. Somit ist der Kontext für die Entfaltung der politischen Machtspiele gegeben. In seinem dritten Teil widmet sich Schüpbach-Guggenbühl ausführlich dem Zustandekommen der Machtschlüssel. Zuerst werden eher traditionell verlaufende Karrierelaufbahnen aufgezeigt, wobei politische Aufstiegsmöglichkeiten über die Zünfte, über eher geheime Ratsstrukturen und auch über hohe Beamtenstellen thematisiert werden. Am Rande wird dabei auch die Möglichkeit des politischen Abstiegs gestreift.
Zu den "Schlüsselrollen", sprich politischen Verflechtungen im und um den Kleinen Rat, welche im Zentrum der Dissertation stehen, kommt Schüpbach-Guggenbühl in seinem vierten Teil. Die Verflechtung wird als ein selbstverständliches Charakteristikum verstanden, das als eigentliches Paradigma der Epoche fungiert. Interessant ist, dass Schüpbach-Guggenbühl hier mit dem Netzbegriff operiert. Clans von namhaften Familien werden als so genannte Schlüssel-Figuren an den Schalthebeln der Macht eingeführt. Der Clan-Begriff könnte sich vor tagespolitischer Kontrastfolie problematisch lesen, denn clanisch anmutend sind für westliche Begriffe zurzeit derart viele aktuelle politische Strukturen. Schüpbach-Guggenbühl bricht das Clankonzept jedoch methodisch differenziert auf einzelne politische Gruppen herunter und passt es dem jeweiligen Stand der Clans im öffentlichen Leben an. Dabei versucht er in einem ersten Schritt aufzudecken, wie sich die verschiedenen Gruppen in ihrer Außenpolitik entlang von bestimmten räumlichen Präferenzen formierten. In einem zweiten Schritt widmet er sich den innerstädtischen Clans, welche er in drei Gruppen gliedert: die Altgläubigen, die Konfessionellen sowie die Handwerksgruppen. Diese Aufteilung liest sich wie eine konfessionalistisch geprägte Typologisierung, innerhalb welcher nicht alle Gruppen mit denselben Kriterien betrachtet werden. Die dritte und letzte Gruppe wird von den clanischen Landvögten gestellt, welche über die Untertanengebiete in denen sie wirkten, nur noch relativ kurz zum Zug kommen.
Am Ende dieses Teils fragt sich Schüpbach-Guggenbühl, ob er nun in seinen Ausführungen die Verflechtungen auch wirklich entschlüsselt habe? Dies führt ihn quasi nahtlos zu den sichtbaren und in den Quellen auch sinnvoll fassbaren "Schlüsselstellen". In diesem fünften Teil eröffnet sich dem Lesenden ein neuer Schlüssel, die so genannte "Exponierung", was ich mit "Exponiert-Sein" übersetzen würde. So werden beispielsweise die "Außen-Affären" geschildert, welche sich als familiäre Vertuschungsgeschichten entpuppen. Darauf folgt die Schilderung von Unruhezuständen im Rat selber, die letztlich einzelnen Ratsmitgliedern zugeschrieben werden müssen: dem Wollweber und Zunftmeister Christoph Erzberger etwa, der auf die Anklage der politischen Verleumdung mit einem effektvollen Widerruf reagiert und sich letztlich dadurch rehabilitieren und sogar einen Aufstieg innerhalb seiner eigenen Klasse realisieren kann. "Regieren oder Lavieren" lautet hier die Schlüsselfrage? Der Kleine Rat bleibt auf alle Fälle nicht unantastbar, obwohl hier Schüpbach-Guggenbühl mit vielen Fragezeichen operiert. Die Bestrafung und der Ausschluss des Müller und Rebmanns Hieronymus Sessler beispielsweise scheint den Rat als Gesamtkorpus sogar deutlich verwundbar gemacht zu haben.
Im zweitletzten Teil werden im Sinne einer Idealtypologisierung à la Kant verschiedene Machtschlüssel aufgezeigt. Man hält diese aber auch nach der Lektüre noch nicht wirklich in der Hand, denn die Typologie bleibt notgedrungen ideal. Mitunter lesen sich die Vorgaben zu Elite und Macht in der damaligen Zeit, wie eine Art Rezeptbuch zur Mischung des eigenen Machttrunkes. Im siebten und letzten Teil des ersten Bandes erreicht Schüpbach-Guggenbühl die Verzeichnisse, die eigentlich einen Übergang zum zweiten Band seiner Dissertation darstellen. In diesen eröffnet sich ein beachtlicher Apparat an durchforsteten Quellen. Gefolgt von Literaturangaben, Abbildungsnachweisen und Personen- und Ortregistern werden wertvolle Schlüssel zu den Quellen geliefert. Es bietet sich an, gleich im zweiten Band weiter zu blättern und so der Karriere des einen oder anderen Mitglieds des Kleinen Rats zu Basel auch noch in den Forschungsmaterialien nachzugehen.
Die zweibändige Dissertation könnte mit ihren insgesamt 698 Seiten leicht reichlich voluminös erscheinen, ist aber in sich gut abgeschlossen und konzeptionell sinnvoll aufgebaut. Ein richtiges Lehrbuch, also? Nein, nicht wirklich, denn ganz so einfach erschließen sich einem die Schlüssel zur Macht im frühneuzeitlichen Basel nicht. Es braucht schon eine sorgfältige Lektüre und einen gewissen Einblick in die Forschungsmaterialien, um die Fülle des hier analysierten und dargelegten Materials auch zu überblicken. Schüpbach-Guggenbühl bleibt in seiner Beschreibung jeweils recht nah an den Quellen. So wirken einzelne aufgeworfene Schlüsselfragen zwar anregend, aber doch wohl eher wie rhetorische Einwürfe.
Dies ändert nichts an der Tatsache, dass ich die "Schlüssel zur Macht" zur Lektüre und Durchforstung empfehlen möchte. Schüpbach-Guggenbühl liefert ein interessantes historisches Bild von Machthintergründen, politischen Karrierewegen und Verfilzungen, das von einer langwierigen Arbeit an einem beachtlichen Quellenkorpus und dem gewieften Einsatz von Datenbanken zeugt.
Anne Yammine