Erwin Gatz (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches. Von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. Unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb und Helmut Flachenecker, Freiburg: Herder 2003, 935 S., ISBN 978-3-451-28075-7, EUR 108,00
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Ein anderes Werk des Herausgebers, das kurz als Bischofslexikon bezeichnete und seit 1983 in 5 Bänden erschienene "Lexikon der Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches" beziehungsweise der deutschsprachigen Länder von 1198 bis zur Gegenwart, hat sich bereits seinen Platz unter den herausragenden historischen Nachschlagewerken erobert und ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Referenzbestände der Bibliotheken geworden. Viele der Aktivitäten des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, das vom Herausgeber seit fast drei Jahrzehnten geleitet wird, gruppierten sich um das Entstehen dieses Werkes und haben ältere Institutsvorhaben wie die Edition der Kölner Nuntiaturberichte und die Redaktion der renommierten Institutszeitschrift "Römische Quartalschrift" ergänzt und erweitert. Neben der Erarbeitung dieses Personenlexikons reifte dann schließlich der Plan, es durch ein historisches Lexikon der Bistumsgeschichte zu ergänzen.
Von diesem neuen Werk liegt nun ein erster Band vor, der die rund anderthalb Jahrtausende von den Anfängen bis um 1800 umfasst. Ein zweiter Band für die folgenden 200 Jahre bis zur Gegenwart ist angekündigt. Des Weiteren ist ein separater historischer Atlas in Vorbereitung. Eine Darstellung über die Wappen der Diözesanbischöfe soll ein Übriges zur Abrundung des Ganzen tun. Es handelt sich also um ein von langer Hand vorbereitetes Werk, das von einer eingespielten Crew von rund 50 Kirchenhistorikern erarbeitet wurde, die als ausgewiesene Kenner der Materie schon an dem Vorgängerwerk beteiligt waren. Nicht zuletzt dies macht den hohen Qualitätsstandard der Publikation aus.
Hier wird ein Nachschlagewerk zur Kirchengeschichte beziehungsweise kirchlichen Landesgeschichte vorgelegt, das eine Lücke schließt. Bisher war der Informationssuchende auf Werke sehr unterschiedlichen Zuschnitts verwiesen. Hier wären neben dem seit 1912 erscheinenden "Dictionnaire d'histoire et de géographie écclésiastiques" von Baudrillart und Aubert (inzwischen bei Band 27 und beim Buchstaben J) unter anderem der "Territorien-Ploetz" aus den 1960er-Jahren zu nennen sowie das "Lexikon der deutschen Länder" von Gerhard Köbler oder die landesgeschichtlichen Handbücher, in denen auch die Kirchen ihren Platz haben. Das vom Zuschnitt her ähnlichste Werk, "Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung", herausgegeben von Anton Schindling und Walter Ziegler, ist zeitlich auf die Frühe Neuzeit begrenzt. Der Vorzug des neuen Werkes liegt nicht nur in seiner Aktualität und der gleichmäßigen Berücksichtigung der einschlägigen Literatur, sondern auch in seiner Lesbarkeit und der flächendeckenden Bearbeitung aller 77 Bistümer des berücksichtigten Raumes.
Im Unterschied zum Bischofslexikon, das erst im Hochmittelalter einsetzt, geht das Bistumslexikon bis auf die Anfänge zurück. Den geografisch-politischen Rahmen bildet das Heilige Römische Reich in seinem Zustand um 1500, was einen Kompromiss darstellt, denn die Darstellung beginnt lange vor der Gründung des Reiches durch Karl den Großen, und sie führt auch über dessen Untergang in der Säkularisation hinaus. Im Titel des zweiten Bandes wird deshalb die Umschreibung "deutschsprachige[n] Länder" gewählt. Der Aufbau des Werks ist alphabetisch, und es definiert sich so als Lexikon. Denkbar wäre auch eine hierarchische Gliederung nach Kirchenprovinzen gewesen. Dann hätte das Ganze aber eher Handbuchcharakter angenommen und eine andere Darstellungsform verlangt. Die einzelnen Bistumsartikel sind intern chronologisch angelegt und je nach historischem Gewicht in thematische Abschnitte untergliedert. Neben der politischen Geschichte der Sprengel finden die Klöster, das Schulwesen, karitative Einrichtungen in unterschiedlicher Gewichtung Berücksichtigung.
Seine im Bischofslexikon liegenden Wurzeln kann das Bistumslexikon nicht verleugnen, und wahrscheinlich will es das auch gar nicht. Die Bischofsliste bildet oft den roten Faden der Darstellung, die besonders in den Abschnitten zur Neuzeit gelegentlich zu personenlastig wird. Dies wird aber durch umfangreiche Quellen- und Literaturangaben und durch den Kartenanhang ausbalanciert. Der Umfang der Beiträge ist naturgemäß recht unterschiedlich. Er bewegt sich zwischen 27 Seiten für das Erzbistum Mainz, 24 für Salzburg, 22 für Trier und je 2 Seiten für die Bistümer Leitmeritz, Brünn und Budweis. Mit der Zuordnung zur Gattung Lexikon werden einige bereits kurz angesprochene definitorische Schwierigkeiten elegant umschifft. Ein Übriges tut die Einleitung des Herausgebers, die nichts weniger als eine Synthese zentraleuropäischer Kirchengeschichte bis zur Säkularisation darstellt und als äußerst komprimierte Überblicksdarstellung ihren Platz in der universitären Lehre finden sollte. Im von Jahrhundert zu Jahrhundert fortschreitenden Werden der kirchlichen Strukturen wird deutlich, dass etwas vermeintlich Monolithisches oder Statisches wie die deutsche Bistumslandschaft überaus komplex und vielgestaltig ist.
Nur wenige Bistümer im Gebiet des späteren Reiches wie Köln, Trier, Augsburg und einige andere sind seit dem Ende des 3. Jahrhunderts nachweisbar, und ihre Kontinuität während der Völkerwanderung ist mit der Ausnahme von Trier ungewiss. Doch seit Gründung der germanischen Reiche lebten die meisten der römerzeitlichen Bistümer wieder auf. Nach frühen Neugründungen wie Konstanz und Lausanne erfolgte ein Gründungsschub in fränkischer Zeit im Zusammenhang mit der angelsächsischen Mission (Freising, Passau, Regensburg und andere), wobei erstmals ein Zusammenspiel von Papsttum und weltlichen Herrschern zu beobachten ist. Weitere Gründungen erfolgten im 8. und 9. Jahrhundert durch Karl den Großen im Zuge der Sachsenmission (Bremen, Halberstadt, Hildesheim, Minden und andere) und im Gefolge der ottonischen Expansion nach Norden und Osten sowie der Ostsiedlung und der Mission unter den Westslawen im 12. und 13. Jahrhundert. Seit Otto dem Großen wuchs der Einfluss des Herrschers auf die Reichskirche, verbunden mit Bestrebungen, den Episkopat für Zwecke des Reiches zu instrumentalisieren.
Hier liegen die Wurzeln zur Entstehung der geistlichen Fürstentümer, jener Besonderheit des Heiligen Römischen Reiches, die dadurch charakterisiert ist, dass die Reichskirche in ihrer hierarchischen Spitze bis zu ihrem Ende in der Säkularisation Adelskirche gewesen ist und 55 von insgesamt 66 der um 1500 residierenden Diözesanbischöfe zugleich über ein weltliches Territorium regierende, reichsunmittelbare Fürsten gewesen sind. Diese Territorien machten etwa 1/7 bis 1/6 der Fläche des Reichsgebietes aus. Ihre größte Herausforderung erlebte dieses Gefüge seit 1517 durch die reformatorische Bewegung, in deren Folge 19 der 66 Fürstbistümer verloren gingen. Aus römischer Sicht blieb die Diözesanverfassung im Reich allerdings erhalten, die verlorenen Bistümer waren aus dieser Sicht lediglich vakant und wurden durch apostolische Administratoren oder durch die Nuntien betreut. Nach den Diözesanregulierungen der 1780er-Jahre durch Kaiser Joseph II. und nach dem Untergang der Reichskirche in der Säkularisation kam es Anfang des 19. Jahrhunderts dann zu der umfassenden Neuumschreibung der Bistümer, die im Wesentlichen bis heute gilt und die Gegenstand des angekündigten zweiten Bandes sein soll.
Angesichts des durchweg hohen Standards der Beiträge verbietet es sich eigentlich, auf einzelne Bistümer einzugehen. Doch vielleicht liegt ein besonderer Reiz des Werkes in den Beiträgen zu Bistümern, über die man weniger weiß, wie etwa Brünn, Budweis, Havelberg, Kulm, Kurland, Lebus, Lübeck, Pedena, Ratzeburg, Reval, Schwerin, Semgallen, Sitten, Triest, Utrecht. Hier finden sich Schmuckstücke wie die Artikel über die bereits früh bedeutenden und später unter französischer Lehenshoheit stehenden Bistümer Metz, Toul und Verdun, deren Zugehörigkeit zum Reichsverband schon im 16. Jahrhundert nur noch formal gewesen ist. So formal, dass sich Giovanni Delfino, der päpstliche Nuntius am Kaiserhof in Prag, schlicht überfordert zeigte, als es in den Jahren 1577/78 um die Neubesetzung des Bischofsstuhls von Verdun ging, wie sich aus seiner soeben edierten Nuntiaturkorrespondenz ersehen lässt.
Hervorzuheben ist der mit eigenen Legenden und Quellennachweisen versehene Kartenanhang, der zur raschen Orientierung über Bistumsgrenzen, Gebiete der Bistümer und Hochstifte, Kathedralorte sowie bischöfliche Residenzen und Burgen sehr hilfreich ist. Es handelt sich bei dem neuen Werk des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft um eine gelungene Ergänzung zum Bischofslexikon, das seinen Platz als herausragendes Nachschlagewerk ebenso wie dieses verdient.
Peter Schmidt