Peter Stadler (Hg.): Cavour. Italiens liberaler Reichsgründer (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 30), München: Oldenbourg 2001, 182 S., ISBN 978-3-486-64430-2, EUR 29,80
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Frappierende äußere Parallelen der Prozesse nationalstaatlicher Einigung in Deutschland und Italien haben deutsche Historiker immer wieder zu vergleichenden Betrachtungen inspiriert. Das bekannte Wort von den beiden "verspäteten Nationalstaaten" Italien und Deutschland verweist auf die augenfällige Tatsache, dass sich der Prozess der staatlichen Einigung in beiden Ländern mit einer gewissen Gleichläufigkeit und auch unter in mancherlei Hinsicht vergleichbaren Umständen und Formen vollzogen hat. Spezifische Problemlagen, mit denen die deutsche und die italienische Einigungsbewegung zu ringen hatten, zeigten strukturelle Übereinstimmungen: In erster Linie ist dabei natürlich an die historisch tief verwurzelte partikularstaatliche Organisation und die polyzentrische Machtgeografie der nationalstaatlich zu einigenden Räume zu denken. Den Zeitgenossen einer Epoche, in der der Weltgeist national geworden war, mochte es in der Tat geradezu providentiell erscheinen, wenn nun die letzten beiden Großvölker Europas in schöner Synchronie und Parallelität zu staatlicher Einheit gelangt waren. Populär waren mehr oder weniger gewagte Analogiebildungen: Piemont-Sardinien das "Preußen Italiens"? König Vittorio Emanuele II. und Kaiser Wilhelm I. als patres Patriae? Bismarck der "deutsche Cavour"?
Peter Stadler, der Autor des hier vorzustellenden Buches, nimmt eher spielerisch seinen Ausgang von solchen Überlegungen, um dann sogleich - und sehr zu Recht - die nur begrenzte Tragfähigkeit solcher Parallelitätskonstruktionen hervorzuheben. Auffällig aber bleibt es allemal, dass Camillo Cavour, in dem man bei allen offenkundigen Unterschieden ja nun in der Tat wenigstens das italienische Pendant zum deutschen Reichsgründer Bismarck sehen kann (unter dem Aspekt chronologischer Priorität freilich müsste man die Formulierung eher umkehren), seit der zeitgenössischen biografischen Skizze Heinrich von Treitschkes bis zuletzt keinen deutschsprachigen Biografen mehr gefunden hat. Diese Lücke hat nun Stadler mit einem bescheiden auftretenden, kompakten und gehaltvollen Buch von 180 Seiten geschlossen. Es ist, wie Stadler selbst - mit einem Anflug von Koketterie - anmerkt, das Werk eines Ruheständlers: "ohne Assistenz oder Sekretariat geschrieben". Das mag dem Verfasser gelegentlich beschwerlich gewesen sein, dem Buch aber sind davon keine Mängel anzumerken, im Gegenteil: Dem Rezensenten erscheint es nahe liegend, gerade seine charakteristischen Stärken auf seinen Status als 'Alterswerk' zurückzuführen: Die ebenso unprätentiöse wie prägnante Darstellungsweise verrät narratorische Routine. Differenziertheit im Urteil und Aspektereichtum in der historischen Einbettung des Protagonisten verdanken sich dem reifen Können eines erfahrenen Historikers, der sich und anderen nichts mehr beweisen muss. In einem angemessen dimensionierten Fußnotenapparat findet der Text jederzeit seine empirische Fundierung und der Leser die Belege für viele glücklich gewählte Zitate. Stadlers Buch ist unzweifelhaft eine Bereicherung der (leider insgesamt immer noch eher dürftigen) deutschsprachigen Literatur zum italienischen Risorgimento. Der größeren Verbreitung, die man ihm wünschen möchte, steht wohl nur sein hoher Preis entgegen.
Franz J. Bauer