Julie Kipp: Romanticism, maternity, and the body politic (= Cambridge Studies in Romanticism), Cambridge: Cambridge University Press 2003, XIII + 237 S., ISBN 978-0-521-81455-3, GBP 40,00
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Julie Kipps faszinierende Studie über Repräsentationen der Vorstellungen von Mütterlichkeit in romantischen Texten von Rousseau bis Scott geht von der Annahme aus, dass Mütter immer auf dem Prüfstand stehen, on trial sind, wie sie es in ihrer Einleitung in legalistischen Termini beschreibt. Nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in den Texten der Romantik findet sie dabei eine Vielzahl von Positionen, die vermuten lassen, dass Mütterlichkeit immer ganz besonders komplexen Reglements unterworfen ist und dass die Repräsentationen des mütterlichen Körpers und der Mutter-Kind-Verbindung als Bildvorlage für eine Vielzahl von kulturellen bondings herhalten müssen. Dass sich dabei gerade angesichts der in diesem Bild angelegten Verschränkung von 'Natur' und 'Kultur' Bedeutungsambivalenzen ergeben, ist unvermeidlich, und es geht Kipp gerade darum, das homogene und idealisierende Bild von der innigen Mutter-Kind-Beziehung der Romantik einer neuen Betrachtung zu unterziehen. In fünf ausführlichen Kapiteln stellt sie dar, dass diese Darstellungen des Verhältnisses von Selbst und Anderen mit Vorstellungen der Loyalität zu Staat und Nation überblendet werden. Hier dient das Mutter-Bild der Naturalisierung von artifiziellen Bindungen, es kann aber umgekehrt auch im Sinne einer naturwüchsigen und damit den Regeln der Vernunft entzogenen Bindung diskreditiert werden.
Kapitel 1 beschäftigt sich mit den Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Mütterlichkeit im 18. Jahrhundert, mit Neuerungen auf den Gebieten der geburtshilflichen Betrachtung der Mutter-Kind-Verbindung, aber auch den Repräsentationen dieser Beziehung in den philosophischen und staatstheoretischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Hier werde das neu entdeckte mothering wechselweise als Bild für eine natürliche Loyalität über die artifiziellen gesellschaftlichen Bindungen hinaus und als gefährliche 'Natur'-Verbindung, die die Weisungen der Vernunft unterminiere, dargestellt. Die Ambivalenzen, die sich dadurch im kulturellen Imaginären ergeben, untersucht Kipp dann in Kapitel 2 am Beispiel der gothic mothers in den Texten von Horace Walpole und Matthew Lewis. Mutterschaft wird hier als hochgradig irrationale Kraft gesehen, die die Ideale vom vernünftigen Bürger unterlaufe. Im Gegensatz dazu bedienen sich weibliche Autorinnen der Zeit gerade des Beispiels der 'privatisierten Innerlichkeit' der Mütter, um zu zeigen, dass diese schon allein aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation leicht zum Sündenbock für gesellschaftliche Missstände würden. Der Schrecknisse des Horrors bedürfe es gar nicht, es reiche die 'ganz normale' Situation von Frauen in einer patriarchalisch dominierten Gesellschaft, die dem Diskurs der Mütterlichkeit immer schon eine radikale Duplizität oder Selbstspaltung eingeschrieben habe.
Kapitel 3 untersucht am Beispiel von Maria Edgeworths Roman Ennui die Gefahren des wet-nursing, der Praxis des Stillen-Lassens der - vorwiegend aristokratischen - Kinder durch eine fremde Amme. Auch hier steht die Mutter beziehungsweise die Amme-Kind-Bindung für ein politisches Band, denn es geht um die kulturellen Hybriditäten die sich ergeben, wenn zum Beispiel eine irische Amme ein englisches Kind stillt. Das Verhältnis der Amme aus der irischen Bauernschicht zum (schwächlichen) englischen Aristokraten, den sie aufzupäppeln hat, ist damit doppelt ambivalent, denn hier überkreuzen sich die Macht der Amme mit den Standeshierarchien zwischen Amme und Stillkind. Vollends destabilisierend wird diese Darstellung, als die Amme ihren eigenen Sohn gegen den schwächlichen Adelszögling austauscht, der dann als Sohn eines Schmieds aufgezogen wird, während ihr eigener Sohn den Adelstitel erbt. Hier trifft die erwartete Loyalität gegen die Arbeitgeberfamilie auf einen subversiven irischen Lokalpatriotismus und die irische Unter- auf die englische Oberschicht. Kipp kontextualisiert diesen Roman durch Bezugnahme auf neue diätetische Reglements, die die Sorge um die Nahrung des eigenen Körpers als Selbst-Management auf individueller wie nationaler Ebene betrachten. Die Milch der irischen Amme mag gesund sein, so die zu Grunde liegende Frage, aber ist die physische Vermischung des englischen mit dem irischen Körper tatsächlich dem Gemeinwesen zuträglich?
Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Thema des Kindsmords, das literarische Beispiel ist hier Walter Scotts Roman The Heart of Midlothian. Wenn die Mutter-Kind-Bindung als Vorbild einer natürlichen Bindung gelten soll, dann stellt der Infantizid die 'monströse' Tat schlechthin dar. Kipp zeigt auf, dass in den juristischen Behandlungen des Kindsmords der Kontext unweigerlich der einer verheimlichten Schwangerschaft ist, wobei nicht nur die Kindsväter im Verfahren keine Rolle spielen, sondern auch die Mütter selbst in den seltensten Fällen zu Wort kommen. Begründet wird die Tat in den moralisierenden Kommentaren der Zeitgenossen vielfach mit der physiologisch definierten weiblichen Instabilität, die dann zur Basis eines moralischen Defekts stilisiert wird. Vom illegitimen Sex führt in dieser Logik ein direkter Weg zuerst zur Schwangerschaft, dann zum Mord. Kipps Untersuchung der Schriften von Jean-Jacques Rousseau, David Hume, William Godwin und Thomas Malthus (unter anderen) zeigt aber auch auf, dass die Diatriben über die Perversion der Mütterlichkeit eine doppelte Stoßrichtung haben: auch die aristokratische Mutter, die ihre Kinder einer Amme aus der Unterschicht überlässt, gilt ihnen als Mörderin. Die mörderische Mutter erscheint damit als dunkle Rückseite einer bürgerlichen Ideologie von den Müttern als Hüterinnen britischer Tugend. Allein Godwin deutet an, dass es angesichts schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse barmherziger (und damit 'natürlicher') sein könnte, ein Kind zu töten, statt es aufzuziehen.
Das letzte Kapitel ist den Repräsentationen der Mütterlichkeit in den Texten von Percy Shelley gewidmet. Anders als in den vorhergehenden Kapiteln geht es dabei weniger um die Repräsentation tatsächlicher Mütter als um die Darstellung einer poetischen Kraft in Bildern des mütterlichen Leibes. Natürlich handelt es sich dabei um seit der Antike eingeführte Topoi, die auch als männliche Aneignungsstrategien weiblicher kreativer Energien lesbar sind. Gleichzeitig muss aber bedacht werden, dass jede Änderung in den kulturell akzeptablen Vorstellungen vom mütterlichen Körper auf den metaphorischen Gebrauch des Bildes zurückwirkt. So lässt sich zeigen, dass Shelley in The Cenci von den überkommenen Konturen des Topos abweicht und Mutterschaft - im Rahmen einer Inzest-Geschichte - als Fluch und Sklaverei darstellt und damit auf der generischen Ebene auch seine dichterische Fähigkeit einer kritischen Betrachtung unterzieht: Wenn Mutterschaft ein Fluch ist, dann wirkt das auf den metaphorischen Gebrauch des Mutterbildes zurück und stilisiert auch diese Form der Kreativität zum Zwang.
In einem sehr persönlichen Postscript problematisiert Kipp die Verbindungen ihres kulturellen Moments mit den Gegenständen ihrer Analyse. Ohne direkte Kontinuitäten proklamieren zu wollen, verweist sie darauf, dass sich auch heute in der Figur der Mutter kulturelle Problemkomplexe verdichteten, die den Frauen ein guiltless mothering unmöglich machten. Ihre Studie ist ein gelungener Versuch, die historischen Entwicklungen der Ambivalenzen der Mütterlichkeit zu beleuchten, um damit auch zu einem neuen Blick auf die Mütter in der Gegenwart zu kommen.
Susanne Scholz