Rezension über:

Geza von Habsburg (Hg.): Fabergé - Cartier. Rivalen am Zarenhof. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München (28.11.2003 - 12.4.2004), München: Hirmer 2003, 463 S., 630 Farbabb., ISBN 978-3-7774-9830-0, EUR 49,90
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Rezension von:
Golo Maurer
Bibliotheca Hertziana, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Golo Maurer: Rezension von: Geza von Habsburg (Hg.): Fabergé - Cartier. Rivalen am Zarenhof. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München (28.11.2003 - 12.4.2004), München: Hirmer 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/5407.html


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Geza von Habsburg (Hg.): Fabergé - Cartier

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Geschmack, heißt es, kann man nicht kaufen, aber auch geschmacklich Fragwürdiges ist bisweilen unbezahlbar. Nun sind die Creationen der Häuser Cartier und Fabergé ja nicht einfach du mauvais goût, haut goût träfe die Sache schon besser, also jener Stich, der für den Feinschmecker zwischen Fäulnis und Essbarkeit einen kleinen Bereich des absolut Exquisiten übrig lässt. In diesem Grenzbereich sind auch die Sankt Petersburger Jahre zwischen 1900 und 1917 angesiedelt, denen die Ausstellung der Münchner Hypo-Kunsthalle "Cartier - Fabergé: Rivalen am Zarenhof" gewidmet ist. Die Widersprüchlichkeit dieser Zeit zeigt sich schon innerhalb der kaiserlichen Familie: Ihre in Europa singulär gewordene feudale Stellung und ein beispielloser Aufwand der Hofhaltung kontrastieren mit dem gerade einmal großbürgerlichen Ambiente des Alexanderpalast von Zarskoje Selo, der eher an eine Fabrikanten-Villa als an ein kaiserliches Wohnschloss erinnert.

Die Kombination aus westlich aufgeklärter Modernität, asiatischer Prunksucht und extremen Reichtum ließ einen einmaligen Absatzmarkt für Luxusgüter entstehen. Die "Fixierung" auf westliche Vorbilder sorgte dabei für eine gewisse Uniformität der Ansprüche. Europäische Entwürfe mussten für den russischen Markt lediglich noch kostbarer, größer und prunkvoller gestaltet werden.

Als einziges der weltweit führenden Häuser hatte Fabergé seinen Hauptsitz in Sankt Petersburg. Fabergé, der im Jahr 1885 von Zar Alexander III. zum Hofjuwelier ernannt wurde, war in der russischen Aristokratie also bestens eingeführt und wusste um deren Wünsche und Schwächen. Besonderes Geschick bewies Fabergé in der Wahl seiner überwiegend skandinavischen Werkmeister, denen er große Freiheiten einräumte. Einer von diesen, Henrik Wigström, Hauptwerkmeister bis zum Zusammenbruch 1917, erlangte innerhalb der Manufaktur sogar weitgehende Selbstständigkeit.

Cartier hingegen war in Sankt Petersburg nur kurzzeitig präsent und verließ sich weitgehend auf sein Stammhaus in Paris, wo er - den modischen Jugendstil ignorierend - mit spektakulären Kreationen aus Platin und Diamanten im Louis XVI-Stil berühmt wurde. Das war genau das Richtige für die Petersburger Kundschaft, die sich zum Teil ja ohnehin ständig in Paris aufhielt. Wo es um die speziell "russische Note" ging, machte Cartier seine Produkte in kluger Mimikry den Erzeugnissen Fabergés zum Verwechseln ähnlich - oder ließ gleich russische Produkte kaufen, um sie, leicht veredelt, als "Cartier" anzubieten. Die diesbezügliche Aktivität der Agenten Cartiers belegen zahlreiche Dokumente im Anhang des Ausstellungskatalogs (438 - 448). Dessen hervorragenden Abbildungen geben eine Vorstellung davon, was Belle Epoque auf Russisch bedeutet: Neben klassischem Schmuck wie Diademe und Colliers mit Hunderten, wenn nicht Tausenden Diamanten und Smaragden lieferte man alle erdenklichen Objekte, welche für die Konsolen, Sekretärs und Etagères der zeitgenössischen Salons bestimmt waren: Fotorahmen und Dosen, Tischklingeln und -glocken, Briefbeschwerer und Thermometer. Daneben gab es noch echte "Gebrauchsgegenstände" wie Schirm- und Stockgriffe, Kleiderbürsten und, vor allem, Zigarettenetuis - das einzige, was ein asketischer Kettenraucher wie Zar Nikolaus II. wirklich brauchte.

Während all diese Dinge eine Funktion zumindest symbolisierten, diente eine unübersehbare Herde von überwiegend ins Drollige psychologisierten Tieren alleine der heiteren Erbauung und der Dekoration. Diese Nilpferde und Elefanten, Mäuse, Hunde, Paviane und Enten orientierten sich an fernöstlichen Steinschneidearbeiten. Die "Gebrauchsgegenstände" hingegen sind in einem pikant effeminierten Louis XVI. gehalten, also ausgerechnet jenem Stil, der schon einmal den Weg zum Schafott geschmückt hatte. Eben diese tragische Ahnungslosigkeit, die - mit wenigen Ausnahmen - den russischen Hochadel in seinem letzten Jahrzehnt benebelte, wird durch Material und Farbigkeit der Objekte ins schon beinahe Infantile gekehrt. In präzise gearbeiteten, dezenten Goldfassungen schimmert Guilloché-Email in den Pariser Modefarben weiß, zart-rosa, zart-blau und zart-gelb Daneben finden sich auch die traditionellen, kraftvollen Töne Russlands: Malachit, Lapis, Rhodonit und Pistazie. Erst als es eigentlich schon zu spät war, werden die Produkte ernster: Das kaiserliche Kriegs-Osterei von 1916, von vier Granaten gestützt, präsentiert sich in polierten Stahl. Zu der fröhlichen Welt der Sammeltiere gesellen sich nun - nicht minder exotisch - tapsige Vertreter des Volkes: ein frommer, an Rasputin erinnernder Pilger mit groben Schaufelhänden (Halbedelsteine, Silber, Gold, Email), eine Bauersfrau mit Käse und Milchkannen (Halbedelsteine, Silber, Saphire) oder auch ein braver Reservist im grünen Rock, sich eine Stumpe anzündend (1915, Ophikalzit, Feuerstein (!), Pergamit, Silber, Gold). So mag er zwischen Papageien und Tischglocken gestanden haben, während den echten Soldaten an der Front noch vor den Zigaretten die Munition ausging.

In der Bundesrepublik tat man sich mit solchen Kreationen eher schwer. Es fehlte ja auch an Anschauungsmaterial. Anders als in Amerika, dessen Fleischpacker-Dynastien die legitime Nachfolge der russischen Großgrundbesitzer antraten, und wo man in New York Fabergé-Produkte noch heute im Laden kaufen kann, war man hier zu Lande bestenfalls Zaungast. Géza von Habsburg leistete mit der ersten Fabergé-Ausstellung 1986-87 [1] (ebenfalls in der Hypo-Kunsthalle) jedoch erfolgreiche Entwicklungsarbeit: Der "Fabergé-Bazillus" (Prinz von Hohenzollern, Vorwort zum Katalog von 1986/87) griff auf das heimische Publikum über, indem er nach Ausschaltung des geschmacklichen Immunsystems den inneren Russen des gehobenen Münchners aktivierte. Nur ganz Aufrechte und völlig Ahnungslose konnten dieser Perfektion von Verarbeitung, Formgebung, Material und Sujet auf Dauer widerstehen. In dieser seltenen, die Untiefen des Geschmacks geschickt auslotenden Überredungsgabe liegt wohl einer der Schlüssel zu Fabergés Erfolg.

Neben 14 kurzen Essays, die sich an ein breiteres Publikum wenden, bietet das Buch einen durchgehend farbig bebilderten, sehr sorgfältig gearbeiteten Katalogteil, der zu jedem Objekt Material, Maße, Provenienz und Ausstellungshistorie liefert. Die Einträge stammen mehrheitlich von Géza von Habsburg. Sollte man den Katalog mehr als nur einmal zur Hand nehmen, so ist das vor allem das Verdienst des Katalogteils, der auch eine ausführliche Bibliografie umfasst.

Das Autorenteam setzt sich aus dem für dieses Genre typischen Geflecht aus Hochadel, Kunsthandel und Museum zusammen. Dagegen ist, solange die wissenschaftliche Distanz zum historischen Gegenstand gewahrt bleibt, nichts einzuwenden. Etwas problematisch ist vielleicht der einführende Essay von Johann Georg Prinz von Hohenzollern über die letzten Jahre der Romanow-Dynastie, eine farben- und detailreiche Schilderung der Petersburger Bälle und Hochzeiten und der hierbei getragenen Schmuckstücke. Der legendäre Maskenball von 1903 markierte dabei den letzten gesellschaftlichen Höhepunkt, "bevor sich die Wolken am Horizont zusehends verdüsterten" (25). Die Oktoberrevolution wird im Folgenden auch eher wie ein meteorologisches Phänomen behandelt - etwa wie ein das Gartenfest ruinierender Hagelsturm - was ein wenig an das restaurative Geschichtsbild erinnert, das im heutigen Russland immer größere Verbreitung findet.

Sachlich, informativ und faktenbezogen sind die drei Beiträge Géza von Habsburgs - ein langjähriger Kenner und diskreter Händler von Fabergé-Produkten - welche Stellung, Politik und Produktion der drei großen Hersteller Fabergé, Cartier und Boucheron beschreiben. Für den allgemeinen Leser interessanter ist vielleicht der Beitrag Alexander von Solodkoffs, ein lebendiges Portrait von Marie Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin, Ehefrau des Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch, eine der großen Damen der europäischen Gesellschaft und dem Schmuck verfallen. Dabei wird deutlich, wie sehr die Ausstellungsobjekte der Persönlichkeit ihrer ehemaligen Besitzer bedürfen, um dem etwas faden "Schatzkammerambiente" der Vitrinen und Katalogfotografien zu entkommen.

Besonders schön ist hierbei der Beitrag von Evelyne Possémé (Paris, Musée des Arts Décoratifs): die Geschichte einer wahrhaft großen Liebe und der 28 Zigarettenetuis des Charles Luzarche d'Azay. Dieser Weltmann, Soldat, Großwildjäger, Spion und Frauenheld, besaß ein mäßiges Vermögen, speiste aber auch zu Hause im Smoking. Die Etuis bekam er nach und nach von seiner Geliebten, Prinzessin Cécile Murat, als Neujahrsgeschenke. Die eigensinnigen Entwürfe der Prinzessin lassen die imperiale Uniformität der russischen Erzeugnisse weit hinter sich. Ihre ausgefallenen Bestellungen, deren Ausführung meist das ganze Jahr in Anspruch nahm, ließ den Werkmeistern von Fabergé den Angstschweiß auf die Stirn treten. Während äußere Ereignisse im bewegten Leben des meist getrennt lebenden Paares mit Landkarten und ähnlichem wiedergegeben werden, bleiben die Anspielungen auf die gemeinsame Beziehung eher verschlüsselt. Arabische Schriftzeichen und Halbmonde ("C" für "Cécile") spielen dabei eine besondere Rolle: Auf einem Etui aus dem Jahr 1920 leuchten - neben der enigmatischen Gravur: "Souscrivez à l'emprunt..." ("Zeichnen Sie die Anleihe...") auf der ansonsten makellos polierten Goldoberfläche einige Blutspritzer - aus tiefroten Rubinen.

Diese Geschichte, die auch Marcel Proust hätte erfinden können, ist paradigmatisch für die Welt, die mit Fabergé untergegangen ist. Geblieben sind Firmen wie Cartier und Boucheron - oder deren Namen, inzwischen eher Statussymbole des mittleren Angestellten und IT-Aufsteigers. Doch das Alte Russland kommt wieder: So hören wir aus New York, dass der russische "Geschäftsmann" Victor Vekselberg die kaiserlichen Ostereier aus der Sammlung Forbes für den Gegenwert von ca. 250 Dörfern erworben hat. Sie können so nach über achtzig Jahren im amerikanischen Exil in die Heimat zurückkehren.


Anmerkung:

[1] Géza von Habsburg: Fabergé - Hofjuwelier der Zaren. Ausstellungskatalog München, Hypo-Kulturstiftung, veranst. vom Bayer. Nationalmuseum, 1986-87. München 1986.

Golo Maurer