John F. Richards: The Unending Frontier. An Environmental History of the Early Modern World, Oakland: University of California Press 2003, XIV + 682 S., ISBN 978-0-520-23075-0, GBP 49,95
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Die Umweltgeschichtsschreibung deutscher Prägung widmete sich zeitlich bislang hauptsächlich dem 19. und 20. Jahrhundert. Im Blickfeld stand damit also die industrielle Moderne, die nicht selten als Sündenfall und Verlust harmonischer Mensch-Umwelt-Beziehungen beschrieben wurde. In Kontrast hierzu schienen die Argrargesellschaften der Frühen Neuzeit weitgehend auf intakten natürlichen Lebensgrundlagen zu basieren. Ein weiteres Merkmal der deutschen Umweltgeschichte: Während sie sich im nationalen Horizont akribisch signifikanten Einzelfallstudien widmete, wurden synthetisierende Gesamtdarstellungen bis vor einiger Zeit weitgehend unversucht gelassen - von Ausnahmen wie Rolf Peter Sieferles "Rückblick auf die Natur" (1997) und Joachim Radkaus "Natur und Macht" (2000) abgesehen.
Vor diesem Hintergrund verschreibt sich John F. Richards mit "The Unending Frontier" einer doppelten Verpflichtung, die freilich in der US-amerikanischen Umweltgeschichte eine Selbstverständlichkeit sein mag. Er sondiert mit dem Zeitraum zwischen Mittelalter und Moderne eine zuweilen vernachlässigte Epoche, und er überprüft "Umwelt" durch Studien, die rund um den Globus angesiedelt sind, als eine universelle Kategorie - Richards schreibt also "Weltgeschichte" im besten Sinne. Um vorweg zu greifen: Das Ergebnis ist beeindruckend im Detailreichtum und in der Facettenvielfalt einzelner Befunde. Die Arbeit setzt Standards, weil sie auf der Basis solider historischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse mit mancherlei Mythen der Umweltgeschichte aufräumt. Wiewohl: Mitunter verliert sich bei der Lektüre auch die Gewissheit des Gemeinsamen, das all die regionalen Prozesse und Umweltveränderungen zwischen 1500 und 1800 zusammenhält.
Richards entfaltet sein Thema durch den globalen Zugriff, indem er zunächst das wirklich Neue der Epoche der Frühen Neuzeit benennt: "During the early modern centuries, for the first time in human history, a truly global, interconnected society rapidly knit together" (17). Die demografische Basis dieser Globalisierungsprozesse: Die Zahl der Weltbevölkerung verdoppelte sich von 400-500 Millionen im Jahre 1500 auf fast eine Milliarde um 1800. Neben diesen wachsenden Interdependenzen und Beziehungen einzelner Regionen waren es natürliche Einflussgrößen, welche die Epoche wesentlich bestimmten. Dem warmen Mittelalter folgte der Klimawechsel in eine "kleine Eiszeit", die das Leben der Menschen bis in den Alltag und die Strategien der Lebensbewältigung prägte. Nach diesen Ausführungen zu ersten Globalisierungsprozessen und der Geschichtsmächtigkeit des Klimas startet Richards zu einer historiografischen Reise rund um den Erdball, die kaum einen Landstrich in Asien, Afrika, Europa und Amerika auslässt. Allerorten rekonstruiert er, wie wachsende Bevölkerungszahlen globale Märkte und moderne Methoden der Naturaneignung entstehen lassen.
Vier Schlüsselprozesse charakterisieren für ihn die Mensch-Umwelt-Beziehungen vor der Entfaltung des modernen Lebens: die Intensivierung der menschlichen Landaneignung durch permanente Ausweitung der Siedlungsgrenzen, biologische Invasionen, die Kommerzialisierung der Jagd und wachsende Probleme der Energieknappheit. Man kann freilich darüber streiten, ob diese vier Aspekte tatsächlich gleichgewichtig zu betrachten sind. Zumindest stellt sich die Frage, ob etwa Jagd und Fischerei die Umweltbedingungen ähnlich elementar und nachhaltig zu beeinflussen vermochten wie die Energieversorgung sich dynamisch wandelnder Gesellschaften. Angesichts der generellen Befunde der Studien, nach denen durch menschliche Interventionen sich bereits in der Frühen Neuzeit die Umweltverhältnisse im globalen Maßstab nachhaltig veränderten, erweisen sich solche Fragen allerdings als zweitrangig. Jedenfalls: Dieses Buch ist nicht nur als Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit zu lesen. Es zwingt auch zu einem anderen umwelthistorischen Blick auf die Moderne, die eben nicht von heute auf morgen in die Welt kam, sondern sich über Jahrhunderte hinweg anbahnte.
Richards schreibt eine Umweltgeschichte, die einerseits vom Bekenntnis zu einer vom Menschen gemachten Geschichte und andererseits vom tiefen ethischen Respekt vor der Sphäre des Natürlichen geprägt ist. So münden denn seine Studien auch konsequent in das Credo eines verantwortlichen Umgangs mit der natürlichen Basis menschlicher Existenz, erst recht, weil die Zeiten der "Unending Frontier", so Richards, zu Beginn des 21. Jahrhunderts endgültig passé seien: "We have moved into a postfrontier phase in which resources are no longer abundant, but are limited and scarce. Humans are now the stewards and managers of the world's lands and ecosystems. Wise and responsible management from local scale to the global scale is the only possible strategy. The ultimate test of our emergent global society is how we shape the domesticated landscape that human action has created over the past half millennium" (622).
Friedemann Schmoll