Peter Schäfer (ed.): The Bar Kokhba War Reconsidered. New Perspectives on the Second Jewish Revolt against Rome (= Texts and Studies in Ancient Judaism; 100), Tübingen: Mohr Siebeck 2003, XX + 313 S., ISBN 978-3-16-148076-8, EUR 99,00
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Anders als der Erste Jüdische Krieg (66-74 nach Christus), über den wir nicht zuletzt durch den Augenzeugenbericht des jüdischen Historikers Flavius Josephus gut informiert sind, sind die Umstände der zweiten jüdischen Revolte gegen Rom - des so genannten Bar Kokhba-Aufstands (132-135 nach Christus) - mit weitaus mehr offenen Fragen verbunden. Relativ gesichert lässt sich lediglich sagen, dass der Aufstand unter der Führung eines gewissen Simon bar Kosiba stattgefunden hat, über drei Jahre währte und gewiss in Judäa ausgetragen wurde. Die religiöse Prägung und das genaue Schicksal Bar Kokhbas und seiner Anhänger, das militärische und geografische Ausmaß des Aufstands, ja selbst der eigentliche casus belli sind hingegen bis heute nicht eindeutig geklärt. Gewiss haben die sensationellen Funde von Briefen, Dokumenten, Münzen und baulichen Überresten, die vor allem seit Mitte des 20. Jahrhundert in der judäischen Wüste gemacht wurden, dazu beigetragen, dass wir heute ein viel präziseres Bild von der Revolte haben als noch vor einigen Jahrzehnten. Doch in vielen Fragen besteht alles andere als ein Konsens, was auch der anzuzeigende Band vielfältig dokumentiert. Die hier versammelten und von dem seit langen Jahren mit dem Thema befassten Judaisten Peter Schäfer herausgegebenen fünfzehn Beiträge sind aus einer Konferenz über den aktuellen Stand der Bar Kokhba-Forschung hervorgegangen, die im November 2001 an der Universität Princeton abgehalten wurde. Thematisch spannen sie einen weiten Bogen vom ideologisch-religiösen Hintergrund Bar Kokhbas über den Auslöser sowie die zeitliche und geografische Ausweitung der Revolte samt militärstrategischer Fragen bis hin zur Rezeption Bar Kokhbas in der modernen israelischen Gesellschaft.
Peter Schäfer zeigt eingangs anhand zahlreicher Dokumente aus der judäischen Wüste auf, dass Bar Kokhba den Makkabäern, der Qumrangemeinschaft und den Zeloten weitaus näher stand als den Rabbinen ("Bar Kokhba and the Rabbis"; 1-22).
Die folgenden Beiträge beschäftigen sich mit der Frage des Anlasses der Revolte und kommen dabei zu teils sehr kontroversen Einschätzungen: Während Martin Goodman die Gründung der römischen Kolonie Aelia Capitolina als Höhepunkt langjähriger antijüdischer Maßnahmen vonseiten Roms und damit letztlich als wesentlichen Auslöser der Revolte ansieht ("Trajan and the Origins of the Bar Kokhba War"; 23-29), vertritt Yoram Tsafrir aufgrund numismatischer Beobachtungen die gegenteilige Ansicht, dass nämlich die Koloniegründung nicht bereits während des Provinzbesuchs Hadrians in den Jahren 128-130 nach Christus erfolgte, sondern erst im Anschluss und als Reaktion auf die Revolte ("Numismatics and the Foundation of Aelia Capitolina - A Critical Review"; 31-36). Benjamin Isaac ("Roman Religious Policy and the Bar Kokhba War"; 37-54), Aharon Oppenheimer ("The Ban on Circumcision as a Cause of the Revolt: A Reconsideration"; 55-69) und Ra'anan Abusch ("Negotiating the Difference: Genital Mutilation in Roman Slave Law and the History of the Bar Kokhba Revolt"; 71-91) legen ihr Augenmerk hingegen auf die Frage, ob ein allgemeines Verbot der Beschneidung unter Hadrian zu den die Revolte maßgeblich bedingenden Faktoren zählt, lehnen diese Annahme jedoch alle mit unterschiedlichen Begründungen ab.
Hanan Eshel ("The Dates used during the Bar Kokhba Revolt"; 93-105) erstellt aufgrund der Dokumente und Münzen aus der judäischen Wüste eine relative Chronologie des Aufstands und kommt so zu dem (recht vagen) Ergebnis: "Bar Kokhba era started either at the date when Shim'on ben Kosibah came to power in the summer of 132 C.E., or in Thishri (September) 132 C.E." (104 f.).
Die beiden folgenden Beiträge befassen sich mit der geografischen Ausweitung der Revolte. Dabei kommt Menachem Mor ("The Geographical Scope of the Bar-Kokhba Revolt"; 93-105) - in Abgrenzung vor allem von Werner Eck [1] - zu dem Schluss, dass sich der Aufstand ausschließlich auf dem Gebiet Judäas abgespielt und sich nicht auf die Nachbarprovinzen Syrien und Arabien ausgeweitet oder auch Galiläa eingeschlossen hat. Hanna Cotton möchte demgegenüber aufgrund von P. Yadin 52 und Dio Cassius 69,13,2 zeigen, dass die Nabatäer sich auf jüdischer Seite an der Revolte beteiligten ("The Bar Kokhba Revolt and the Documents from the Judaean Desert"; 133-152). Das liege vor allem daran, dass die aramäisch sprechende Bevölkerung des Nahen Ostens ein gemeinsames kulturelles Erbe und Bewusstsein verbunden habe. Darüber hinaus sei denkbar, dass die Überführung der nabatäischen Hauptstadt von Petra nach Bostra analog zur Gründung von Aelia Capitolina in Palästina als Bedrohung der nationalen Identität empfunden wurde.
Die Beiträge von Werner Eck ("Hadrian, the Bar Kokhba Revolt, and the Epigraphic Transmission"; 153-170) und Glen W. Bowersock ("The Tel Shalem Arch and P. Nahal Hever / Seiyal 8"; 171-180) veranschaulichen die Offenheit des gegenwärtigen Forschungsstandes, indem sie völlig gegenläufige Interpretationen des im Tal von Beth Shean / Skytopolis bei Tel Shalem für Hadrian errichteten Triumphbogens vorlegen. Werner Eck liest in der dritten Zeile der Ehreninschrift auf dem Bogen "imp II" und setzt diese Ehrung Hadrians in unmittelbare Beziehung zum Aufstand: "There is an inescapable correlation between the end of the revolt, Hadrian's acclamation as imperator II, and the erection of the arch at Tel Shalem - all three events are inextricably connected; each of them presupposes and assumes the other two" (159). Glen W. Bowersock weist nicht nur - meines Ermessens zu Recht - auf den der Argumentation Werner Ecks zu Grunde liegenden Zirkelschluss hin, sondern mahnt auch zur Vorsicht hinsichtlich des unmittelbaren Rückschlusses von Ehrungen des Kaisers auf historische Ereignisse: "Not all imperatorial acclamations can be correlated with strenuous or even worthy achievements" (171). Da er außerdem die fragliche Inschriftenstelle anders ergänzt als Werner Eck, datiert Glen W. Bowersock den Bogen in die Zeit des Provinzbesuches Hadrians um 130 nach Christus. Während damit Beth Shean / Skytopolis als Kampfschauplatz des Aufstandes ausfällt, geht er nicht nur von einer Beteiligung einzelner Nabatäer an der Revolte aus, sondern nimmt - über Hanna Cotton hinausgehend - an, dass auch der nordwestliche Teil der Provinz Arabien in den Aufstand involviert war.
Die beiden folgenden Beiträge werten den aktuellen archäologischen Befund zu unterirdischen Verstecken in Judäa und Galiläa aus. Amos Kloner und Boaz Zissu ("Hiding Complexes in Judaea: An Archaeological and Geographical Update on the Area of the Bar Kokhba Revolt"; 180-216) kommen im Blick auf Judäa zu dem Schluss, dass die Stätten zwar teilweise bis in die hellenistische Zeit zurückreichen und auch im ersten Jüdischen Krieg von Bedeutung waren, doch "the peak of sophistication and geographical range" (189) sei erst zwischen den beiden Aufständen und während der Bar Kokhba-Revolte erreicht worden. Yuval Shahar kann zwar für Galiläa eine ähnliche Typologie der Verstecke bestimmen, doch lasse sich keinerlei Nutzung während des Bar Kokhba-Aufstands nachweisen ("The Underground Hideouts in Galilee and Their Historical Meaning"; 217-240). Er lehnt daher die (pauschalisierende) Annahme eines fundamentalen Gegensatzes zwischen dem galiläischen am ha'aretz und den pharisäisch geprägten Juden Judäas ab, und betont vielmehr: die Gründung der Aelia Capitolina "united all Jews of Palestine in a rare consensus and led to a national revolt" (230). Daher hätten sich auch die Galiläer an der Vorbereitung und zumindest teilweise wohl auch am Kampf beteiligt, dessen Schauplatz aber wegen des spezifischen casus belli in Gestalt der Koloniegründung auf die Provinz Judäa beschränkt blieb beziehungsweise sich vornehmlich gegen Jerusalem und die legio X Fretensis richtete.
Yaron Z. Eliav ("The Urban Layout of Aelia Capitolina: A New View from the Perspective of the Temple Mount"; 241-277) arbeitet - trotz der spärlichen archäologischen wie literarischen Zeugnisse - umsichtig heraus, dass die Römer bei der Errichtung der Kolonie Aelia Capitolina die alten Strukturen der in Trümmern liegenden Stadt ignorierten und auf dem Gebiet des heutigen christlichen Stadtviertels eine völlig neue Siedlung gründeten: "They reconfigured the spatial organization and designed their colony in an innovative setting [...] Aelia was a relatively small, unwalled colony with monumental, triumphal-style, entrance structures marking its limits" (274).
Den Abschluss bildet der Beitrag von Yael Zerubavel über "Bar Kokhba's Image in Modern Israeli Culture" (279-297), in dem der produktive Charakter des kollektiven Gedächtnisses des Volkes Israel nachgezeichnet wird. Der Aufstand und sein Anführer wurden lange Zeit sehr ambivalent beurteilt, durch den Zionismus dann zum nationalen Symbol idealisiert. Gegenwärtig lässt sich hingegen wieder eine kontroverse Rezeption innerhalb der israelischen Gesellschaft wahrnehmen.
Der Band wird abgerundet durch Register der Quellen, modernen Autoren sowie Namen und Sachen. Leider finden sich keine Kurzbiografien der einzelnen Verfasser oder eine Gesamtbibliografie (wenigen Beiträgen ist eine Einzelbiografie nachgestellt). Zahlreiche Karten und Abbildungen bereichern die Lektüre.
Der Sammelband vermittelt einen guten Einblick in die gegenwärtige Forschung zur Bar Kokhba-Revolte. Gerade bei den kontroversen Fragen wie Anlass und Ausmaß des Aufstands wären jedoch stärkere Querverbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen wünschenswert.
Anmerkung:
[1] Vgl. bes. Werner Eck: The Bar Kokhba Revolt. The Roman Point of View, in: Journal of Roman Studies 89 (1999), 76-89.
Heike Omerzu