Gunnar Brands / Hans-Georg Severin (Hgg.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 11), Wiesbaden: Reichert Verlag 2003, VIII + 310 S., 125 Tafeln, ISBN 978-3-89500-296-0, EUR 89,00
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"Veränderungsprozesse von Städten zwischen dem 3. und 7. Jhd." und dabei vor allem die "Auswirkungen des religiösen Wandels seit dem 4. Jhd." (VII) sind die Themen des vorliegenden Bandes. Er enthält die Mehrzahl der Beiträge eines gleichnamigen Kolloquiums, das mit Unterstützung der Thyssen Stiftung 2002 in Halle an der Saale durchgeführt wurde.
"Die - weitgehend ungeschriebene - Geschichte der spätantiken Stadt ist vorerst eine Geschichte einzelner Bauten oder - bestenfalls - Baugattungen, ohne dass größere Zusammenhänge greifbar geworden wären" (3), konstatiert G. Brands in seinem einführenden Aufsatz (1-26). Im Sinne der ausrichtenden Fachbereiche soll der vorliegende Band daher eine Synthese aus archäologischer und bauhistorischer Sicht bieten und damit den Anschluss der deutschen Forschung an die internationale Fachwelt gewährleisten. Der schwierigen Aufgabe, die 23 größtenteils ungemein spannenden Beiträge in Themengebiete zu ordnen, entziehen sich die Herausgeber elegant durch eine alphabetisch nach Autoren geordnete Reihung.
Die Lektüre des Bandes lässt dann jedoch ein homogenes Bild der Christianisierung der Stadt in der Spätantike entstehen. F. A. Bauer kann in seinem Beitrag zu Ostia (43-62) nachweisen, dass sich die Christianisierung der Stadt zunächst nicht architektonisch, sondern mental durch die Belegung bestimmter Orte mit Martyrien und Heiligenlegenden vollzog. Ähnliches kann H. Thür im Beitrag zu Ephesos (259-274) festhalten: "Die Christianisierung des spätantiken Ephesos ist nicht so sehr durch monumentale christliche Kirchen [...] charakterisiert, sondern durch eine gewachsene Bedeutung der Straßenräume, die als topographischer Ort der Prozessionen aufwendig und prunkvoll hergerichtet wurden" (273).
Bewusst vorangetriebene bauliche Veränderung scheint dann erst als ein zweiter Schritt eingesetzt zu haben. Dies lässt sich beispielsweise an Aquilea verfolgen: H.-R. Meier zeigt in seinem Beitrag zu Zentrumsverlagerung und Desurbanisierung (165-178), wie hier die 'Doppelkirche' Bischof Theodors im zweiten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts die umgebende Architektur zunächst respektierte. Doch diese wird schon eine Generation später über eine zuvor bestehende Straße vergrößert und gegen Ende des Jahrhunderts durch einen monumentalen Neubau ersetzt (168-169). Selbst Konstantinopel erhält erst ab 532 monumentale, im Stadtbild gewollt herausgehobene Kirchenbauten (A. Berger zu Konstantinopel als christliche Metropole, 63-72).
Diese architektonische Neugestaltung scheint dabei nur in den wenigsten Fällen gravierende stadtplanerische Veränderungen mit sich gebracht zu haben. Beispielen wie die vollständige Umgestaltung von Aizanoi (K. Rheidt zu Anatolien, 239-248) stehen dabei weit mehr Belege für Umgestaltung und Umnutzung vorhandener Architektur gegenüber (vergleiche O. Dally zu 'Pflege' und Umnutzung heidnischer Tempel, 97-114; K. S. Freyberger zu Kanatha, 115-124; A. Oepen zu Theaterbauten in Hispanien, 199-218). Dem entspricht der Befund der von K. L. Noethlichs zusammengetragenen Quellen zu Baurecht und Religionspolitik (179-198), die zunächst den Erhalt der Tempel und erst 435 ihre Zerstörung fordern.
Immer wieder kommt auch die Frage nach der Bedeutung der Lage einer Kirche in der Stadt auf. B. Ward-Perkins geht in seinem Beitrag "Reconfiguring Sacred Space" (285-290) von einer zunächst bewussten Vermeidung der Innenstädte durch die Christen aus. W. Hoepfner (Das Ende der Agora, 145-150) hält fest: "Generell waren die Standorte von Kirchen sicher nur ausnahmsweise zufällig" (149). Dem kann H.-G. Severin in seinem Aufsatz zur Positionierung von Kirchen (249-258) mit vollem Recht entgegenhalten: "[...] zum größten Teil wurden Immobilien durch Kauf, Schenkung oder Vererbung Baugrundstücke für Kirchen, und in diesen Fällen spielte die Verfügbarkeit wie auch der Zufall eine entscheidende Rolle" (257). Dies gilt sicher auch für die Lage der Bischofsresidenzen, denen U. Real seinen Beitrag widmet (219-238).
W. Hoepfner und Y. Tsafrir (zu Bet Shean / Scythopolis, 275-284) können zeigen, wie die Funktionen von Forum und Basilika als soziales, ökonomisches und administratives Zentrum der Stadt langsam verloren gehen und von den Kirchen absorbiert werden. Für H.-R. Meier ist dabei die Lage der Kirchen an der städtischen Peripherie Indiz der eigentlichen "Entstädterung" spätantiker Städte (177). Die Stadt verliert durch die Auflösung der administrativen Strukturen oder auch religiöse Spaltung (zum Beispiel Hippo Regius: A. Gutsfeld, 135-144) zudem ihre zentrale Rolle innerhalb des Territoriums. Sie ist zwar als Sitz des Bischofs weiterhin bedeutend, aber die Dörfer werden mehr und mehr Mittelpunkt des Landlebens - und erhalten eine entsprechende architektonische Ausstattung (zum Beispiel K. Rheidt zu Anatolien, 239-248; U. Wulf zu Akören, 299-308).
Trotzdem bleibt die Stadt "Leitbild und Lebensform" (Aufsatz von R. Warland, 291-298), verweisen Literatur und vor allem bildliche Darstellungen der 'Stadt im Mauerkranz' auf die Rolle der Stadt als "geschützten Raum sozialen Lebens" (293). Dem entsprechen architektonisch die für das Stadtbild immer bestimmender werdenden Befestigungsanlagen der fortschreitenden Spätantike (vergleiche K. S. Freyberger, R. Born zur Scythia Minor, 73-84).
Zwei weitere, offenbar zusammengehörige Aspekte ziehen sich durch den Band: Die gewandelte Praxis privater Bauspenden und die wachsende Rolle des Bischofs in der städtischen Bauverwaltung. Y. Tsafrir kann festhalten: "From the 4th century onward, financing of civic buildings was almost completely in the hands of governors, while private donations were made to religious buildings [...]" (282). O. Dally, K. S. Freyberger und A. Gutsfeld begründen dies mit der Tatsache, dass gesellschaftliche Anerkennung nicht mehr durch öffentliche Bauten, sondern durch religiöse Akte erworben wurde. Vielleicht wurde diese gesellschaftliche Anerkennung auch gar nicht mehr gesucht, da man sich auf die Suche nach persönlichem Heil (und dem seiner - im weitesten Sinn - familia) gemacht hatte. Dies könnte auch ein Grund für die von O. Dally erwähnte gewandelte Anbringungspraxis der Bauinschriften nunmehr innerhalb der Kirchen und nicht mehr außen an den Bauwerken sein (114).
Die seit dem 5. Jahrhundert stetig wachsende Bedeutung des Bischofs findet ihren Ausdruck auch in seiner Einbindung in das städtische Bauwesen: "In fast allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung fungierte der Bischof zumindest als Kontrollinstanz, insbesondere auch bei allen Bauvorhaben" (K. L. Noethlichs, 194; vergleiche auch B. Brenk). Der Bischof übernimmt hier nicht nur Pflichten der staatlichen Zentralverwaltung, sondern auch die sozialen Aufgaben der Oberschicht in der Bereitstellung von Gebäuden für die Öffentlichkeit. Während er das finanzielle Potenzial der Oberschicht an sich und seine Kirche bindet, kann er selbst so zum "permanent patron of the city poor" avancieren. [1]
Insgesamt gesehen kann der Band eine überzeugende Zusammenstellung des baulichen Aspekts der Christianisierung der spätantiken Stadt bieten. Eine Weiterführung aus althistorischer Sicht - wie in der im Vorwort als Vorbild gepriesenen angloamerikanischen Forschung - ist sicher begrüßenswert. Der Band schließt mit einem umfangreichen Anhang mit Orts- und Länderregister sowie zahlreichen nach Beiträgen gegliederten Plänen, Zeichnungen und Schwarzweiß-Fotografien von hervorragender Qualität.
Anmerkung:
[1] J. Harris, in: The City in Late Antiquity, hg. von J. Rich, London 1992, 90
Julia Hoffmann-Salz