Katharina Bechler: Schloss Oranienbaum. Architektur und Kunstpolitik der Oranierinnen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (= Studien zur Landesgeschichte; Bd. 4), Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2002, 247 S., ISBN 978-3-89812-097-5, EUR 26,00
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Die Verflechtungen des Hauses Nassau-Oranien mit deutschen Fürstenhöfen sind in ihrer Bedeutung in jüngerer Zeit wiederholt angemessen gewürdigt worden. Die Erforschung dieser vielfältigen politischen, dynastischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen beschränkt sich inzwischen bei weitem nicht mehr auf den traditionellen Schwerpunkt des - allerdings nach wie vor stark beachteten - Verhältnisses der Oranier zu den Hohenzollern. Vielmehr tragen inzwischen die verstärkten Bemühungen Früchte, die auf Brandenburg-Preußen fixierte Betrachtungsweise der älteren Forschung abzulösen und auch die oranischen Einflüsse auf die kleineren, politisch weniger bedeutenden Territorien eingehender zu untersuchen. In diesem Kontext ist es besonders erfreulich, dass sich die zu besprechende, als Dissertation an der Technischen Universität Berlin entstandene und für den Druck überarbeitete Untersuchung einem bisher eher vernachlässigten Thema widmet: Schloss Oranienbaum und dessen Funktion im Rahmen der oranischen Kunstpolitik.
Als zentralen inhaltlichen Ausgangspunkt der Untersuchung wird man die Heirat Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau mit Henriette Catharina von Nassau-Oranien, Tochter des berühmten Prinzen Friedrich Heinrich, benennen können. Diese 1659 vollzogene dynastische Verbindung bildete die Initialzündung für die mannigfaltige Aufnahme niederländischer Einflüsse in dem kleinen mitteldeutschen Territorium Anhalt-Dessau. Das Schloss-, Park- und Stadtensemble Oranienbaum, das namentlich auf seine oranische Begründerin verweist, zählt sicherlich zu den beeindruckendsten Zeugnissen dieses Rezeptionsprozesses.
Schon die Tatsache, dass der vorliegenden Untersuchung drei Geleit- beziehungsweise Grußworte niederländischer und deutscher Institutionen vorangestellt sind, verdeutlicht das grenzüberschreitende Interesse an der wissenschaftlichen Vertiefung dieses Aspektes der gemeinsamen Vergangenheit. Ungeachtet dieser institutionellen Unterstützung bleibt es zweifelsohne ein Wagnis, eine Untersuchung zu Schloss Oranienbaum anzugehen, da die Quellenlage außerordentlich schwierig ist. Eingedenk dieser offenkundigen Problematik hat die Verfasserin gut daran getan, sich zum einen nicht auf das spärliche gedruckte und archivalische Quellenmaterial zu beschränken, sondern gleichzeitig auch Forschungen zur Baugeschichte des Schlosses sowie Resultate dendrochronologischer Untersuchungen zu berücksichtigen, die im Auftrag der Kulturstiftung DessauWörlitz erfolgt sind. Zum anderen macht sie aus der Materialnot eine Tugend, indem sie Oranienbaum als Fallbeispiel einbettet in vergleichende Studien zur oranischen Kunstpolitik an anderen Orten.
Ein knapp gehaltenes einleitendes Kapitel führt in die wichtigsten politischen und konfessionellen Hintergründe der Rolle des Hauses Nassau-Oranien im späten 16. und im 17. Jahrhundert ein und skizziert den Lebenslauf Henriette Catharinas. Dann rücken Schloss und Park Oranienbaum selbst in das Zentrum der Darstellung. Detailgenau wird all das vor dem Auge des Lesers rekonstruiert, was sich zu dem Schlossgebäude, seinen Innenräumen und dem dazugehörigen Park ermitteln lässt. Überzeugend werden die ersten Bauphasen des Schlosses (1681 bis etwa 1685 sowie 1698 bis etwa 1702) differenziert und zuverlässig die Informationen zusammengetragen, die sich über die beiden Baumeister, Cornelis Ryckwaert und Johann Tobias Schuchart, gewinnen lassen. Als Vergleichsobjekte werden dann die Bautätigkeit der Eltern Henriette Catharinas und die auf ihre Schwestern zurückgehenden Schlösser herangezogen (insbesondere der Sael van Orange, Oranienburg und Oranienstein).
All dies erfolgt vor dem Hintergrund des Bemühens, Oranienbaum - in Anlehnung an den hochmittelalterlichen Kirchen- und Klosterbau - als Filiation zu kennzeichnen, als Ausdruck einer von Henriette Catharinas Mutter Amalia ausgehenden politisch-architektonischen Programmatik. Verkürzt gesagt, handelte es sich hierbei um den planvollen Versuch der Oranierinnen, den Aufstieg des eigenen Hauses zu einer der führenden europäischen Dynastien mittels einer gezielten Architekturpolitik zu festigen. Gerade in der schwierigen politischen Situation, in der sich die Oranier nach dem Tod Friedrich Heinrichs beziehungsweise Wilhelms II. (1647/1650) befanden, sollte das Bild einer lebendigen Dynastie aufrechterhalten werden, die keinesfalls bereit war, ihre hohen politischen Ansprüche aufzugeben.
Insgesamt gesehen gelingt der Arbeit der Spagat zwischen Politik- und Kunstgeschichte. Sie basiert auf breiter Literaturgrundlage und ist vorzüglich - zum Teil farbig - bebildert. Nützliche Anhänge (Quellentexte und genealogische Informationen) dienen insbesondere der Orientierung im Hinblick auf die beschriebenen politisch-dynastischen Verflechtungen. Allerdings ist das Personenregister nicht vollständig, da es nur Künstler und so genannte historische Persönlichkeiten berücksichtigt (zu denen beispielsweise der Hofprediger Isaac de Beausobre offenbar nicht gezählt wird); zudem fehlen die angekündigten Lebensdaten der aufgenommenen Personen. In inhaltlicher Hinsicht machen sich leider bisweilen unnötige Wiederholungen bemerkbar, die sich zum Teil auf ein und derselben Seite befinden (vergleiche etwa 77: Schulung Ryckwaerts durch Pieter Post). Auch wäre vor dem Hintergrund der jüngsten Forschungsdiskussion eine reflektierte Verwendung des Absolutismus-Begriffs, der im Kontext der Deutung der Oranienbaumer Dreiflügelanlage angeführt wird, wünschenswert gewesen. Denn gerade an diesem Punkt stößt man auf einen für die Frage nach dem Selbstverständnis und möglichen Intentionen der Statthalterdynastie wichtigen Aspekt. Zu bedenken ist ferner, ob im Hinblick auf die politischen Intentionen der Oranierinnen im Rahmen ihrer Architektur und Kunstpolitik explizit von einem "Frauen-Programm" gesprochen werden kann oder ob man es nicht besser - ungeachtet der Tatsache, dass Amalia und ihren Töchtern in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zukommt - bei der Feststellung eines dynastisch geprägten Programms belassen sollte. Somit wäre nämlich die Gefahr gebannt, die Rolle Wilhelms III., der ja zunächst Objekt und später dann gestaltendes Subjekt im Rahmen der oranischen Kunstpolitik war, begrifflich auszuklammern.
Vielleicht bieten die beiden letztgenannten kritischen Bemerkungen Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen, die dann auch das noch immer zu erforschende landesherrliche Wirken Henriette Catharinas umfassen könnten. Im Hinblick auf Oranienbaum kann die Forschung nun jedenfalls auf eine gelungene Untersuchung zurückgreifen, der eine grenzübergreifende breite Rezeption sehr zu wünschen ist.
Michael Rohrschneider