Peter Stephan: "Im Glanz der Majestät des Reiches" - Tiepolo und die Würzburger Residenz. Die Reichsidee der Schönborn und die politische Ikonologie des Barock, Weißenhorn: Anton H. Konrad 2003, 2 Bde., 406 S. + 24 S., 352 Tafelabb., ISBN 978-3-87437-404-0, EUR 99,00
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Dieses Buch ist kein Erzeugnis einer Schule. Ohne Netz setzt der Verfasser sich über etablierte Ansätze, Lehrmeinungen, Fächergrenzen hinweg. Sein Gegenstand, die Tiepolo-Fresken der Würzburger Residenz, gehören zu den bedeutendsten Kunstwerken des 18. Jahrhunderts. Indem er sich rückhaltlos darauf einlässt, gelangt Stephan zu einer neuen Methode (einem eigenwilligen Begriff von "Ikonologie") und einer neuen Sicht der Epoche ("Rokoko"); letztlich sucht er die gesamte politische und geistige Umwelt des Kunstwerks in eine umfassende Neudeutung einzuholen ("Reichsidee"). In der Geniezeit, von der die Epoche, über die Stephan handelt, nicht weit entfernt ist, hätte man so etwas als "inkommensurabel" bezeichnet. Mit gewöhnlichen Maßstäben wird man diesem Werk jedenfalls nicht gerecht.
Wie weit Stephan sich über seinen Schreibanlass emporschwingt, zeigt schon die Buchausstattung. 1995 in Freiburg als kunsthistorische Dissertation eingereicht und zunächst auf Mikrofiche vervielfältigt, haben Autor und Verlag sieben Jahre darauf verwendet, eine Qualifikationsarbeit in ein Kunstbuch zu verwandeln. Bereits der Textband ist typografisch so sorgfältig gestaltet, wie man es heute kaum mehr kennt; der Tafelband ist eine Augenweide. In mehr als dreihundertfünfzig Abbildungen, viele nach Neuaufnahmen durchweg vorzüglich reproduziert, eröffnet Stephan im Wortsinne neue Blicke auf die Tiepolo-Fresken, auf die Architektur der Würzburger Residenz sowie auf zahlreiche Werke, die für Vergleiche herangezogen werden. Über alles bislang Erschienene geht er durch Umfang, Qualität und Anspruch hinaus.
Seinen Ausgang nimmt er von einem Befund, der viele Interpreten irritiert hat: Form und Inhalt der Tiepolo-Fresken scheinen eklatant auseinander zu fallen. Selbst Laien bemerken die Meisterschaft dieser Arbeiten, Kenner begeistert der Reichtum der Komposition, die Kühnheit der Perspektiven und ein Raffinement der Farbgebung, das in der Kunstgeschichte seinesgleichen sucht. Und dieser ganze artistische Aufwand soll nichts anderem dienen, als einem Fürstbischof zu huldigen, dessen Regierung keine Spuren hinterlassen hat, und eine Kleinherrschaft zu legitimieren, die bald darauf unterging? Als Missverhältnis kam dies vielen Kunsthistorikern vor, so unerträglich, dass sie den Inhalt der Fresken kurzerhand für marginal erklärten, für einen bloßen Anlass, der den Tiepolos Gelegenheit bot, ironisch distanziert ihre Könnerschaft darzutun. Von Theodor Hetzer bis Svetlana Alpers und Michael Baxandall hat diese Haltung die einflussreichsten Interpretationen bestimmt. [1] Dagegen läuft Stephan Sturm. Die Empörung treibt ihn ins andere Extrem: Radikal beschränkt er seine Betrachtung auf die Inhalte. Natürlich bemerkt er die Theatralik der dargestellten Szenen, ihre (Über-)Inszenierung, doch möchte er sie in genauer Umkehrung vieler bisheriger Deutungen "als rhetorische bzw. didaktische Mittel verstehen, um dem Betrachter staatsphilosophische oder moralische Wahrheiten nahezubringen" (20). Die barocke Bildzeichensprache nicht als selbstbezügliche Rhetorik, sondern als Illustration (26) einer politischen Doktrin zu entziffern, das ist die Mission, mit der Stephan antritt. Bei aller Einseitigkeit - dass er damit etwas riskiert, will anerkannt sein.
Methodisch mutet Stephan seinen Lesern einiges zu. Statt von den Bildern auszugehen und zu zeigen, auf welche Kontexte sie von sich aus verweisen, stellt Stephan voran, was er in den Fresken auffinden will: die Reichsidee der Würzburger Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn. Dabei war es doch ein Greiffenclau, der die Tiepolos nach Würzburg holte und ihren Auftrag formulierte. Das ändert nichts, argumentiert Stephan, die Familien waren durch Heiraten und Patenschaften assoziiert; auch hätten die Schönborn die Stellung der Fürstbistümer im Reich so ein für alle Mal gültig formuliert, dass ein Fürstbischof wie Carl Philipp von Greiffenclau gar nichts anders konnte, als ihrer Doktrin zu folgen. Einen Nachweis dafür erbringt Stephan nicht. Quellen zu Prägung und Denken von Greiffenclau werden nicht angeführt, überhaupt scheint Stephan um die Archive einen großen Bogen gemacht zu haben: Die dichte Überlieferung zur Ausstattungsgeschichte der Residenz und zum Aufenthalt der Tiepolo-Werkstatt in Würzburg bleibt unberücksichtigt; selbst die Reichsidee der Schönborn wird aus älteren Darstellungen referiert.
Gleichwohl ist, was er dazu schreibt, ganz vorzüglich. Das Reich, verstanden als Gemeinschaft freier Reichsstände, gegenüber Kaiser und Papst handlungsfähig zu halten und es gegen das Souveränitätsstreben der großen Reichsstände zu bewahren, das sei das Programm gewesen, für das der Name Schönborn stand. So prägnant und differenziert wie bei Stephan, unter kluger Einbeziehung der Schönborn'schen Berater Johann Adam Ickstatt und Johann Caspar Barthels, hat man das lange nicht gelesen. Auch verschiebt es erheblich das Koordinatensystem, vor dem die Fresken zu interpretieren sind. Es geht darin ja wirklich keineswegs nur um das kleine Würzburger Fürstbistum, auch nicht nur um sein Verhältnis zu Kaiser und Reich als zwei verschiedenen und, wie Stephan in der ikonologischen Analyse zeigt, in den Fresken wirklich unterschiedenen Größen. Vielmehr geht es durchaus noch einmal um den Reichsgedanken insgesamt, vielleicht gerade weil dieser durch den preußisch-österreichischen Dualismus und das Marionettenkaisertum Karls VII. so rapide in Verfall geraten war. Der theresianischen Konzentration auf die Erblande etwas entgegenzustellen, das Reich fern von Wien auch baupolitisch lebendig zu halten sei der Leitgedanke des Würzburger Residenzbaus und seiner Ausstattung gewesen. Darauf wieder mit großem Nachdruck hingewiesen, Ausstattung und Architektur der Residenz unter einem übergreifenden Prinzip interpretiert zu haben ist ein Verdienst, das nicht dadurch geschmälert wird, dass Stephan die Konkurrenz und Richtungsstreitigkeiten im fränkischen Stiftsadel unterschätzt.
Die größte Zumutung des Buchs liegt sicher in der Annahme, Künstler vom Range der Tiepolos hätten sich zu Propagandisten einer Reichsidee gemacht, die sie als Venezianer weder kennen konnten noch teilten. Stephan führt hier die Instruktionen durch den Auftraggeber ins Feld, kann jedoch keinen anderen Beleg beibringen als die Fresken selbst. Seine Beweisführung droht zirkulär zu werden: Den Fresken entnimmt er wieder eben jene Inhalte, die er zuvor als vorausgesetzte Reichsidee in sie hineingesteckt hat. Dabei treibt ihn dazu ein berechtigtes Anliegen. Stephan streitet gegen Interpretationen, die in der Ironie der Fresken, ihrer Theatralität und Komik eine Distanzierung von den politischen Aussagen sehen oder sie auf bloße Prachtentfaltung reduzieren. Dass sie mehr waren als dies, dass sie die politische Ohnmacht der Würzburger Fürstbischöfe nicht ästhetisch überspielten, dass sie vielmehr als Fortsetzung der Politik mit ästhetischen Mitteln begriffen werden müssen, darin ist Stephan unbedingt zuzustimmen. Allerdings wäre dafür nach Meinung des Rezensenten gerade von der vielfachen Gebrochenheit der Fresken auszugehen, von ihrer künstlerischen Faktur also, die Stephan bewusst beiseite lässt, obwohl sie den längst kontrafaktisch, durchaus ebenfalls (selbst-)ironisch gewordenen politischen Leitbildern der Reichspartei vielleicht genauer entspricht, als eine direkte Propagandierung es je könnte.
Stephans Buch provoziert. Aber eine Erwiderung, die sich an ihm messen könnte, an seiner Leidenschaft, Geschliffenheit und seinem Niveau, soll erst einmal geschrieben werden.
Anmerkung:
[1] Theodor Hetzer: Die Fresken Tiepolos in der Würzburger Residenz, Frankfurt am Main 1943; Svetlana Alpers / Michael Baxandall: Tiepolo and the Pictorial Intelligence, New Haven 1994 (deutsch: Tiepolo und die Intelligenz der Malerei, aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, Berlin 1996).
Johannes Süßmann