Bodo Brinkmann / Stephan Kemperdick: Deutsche Gemälde im Städel 1300-1500 (= Kataloge der Gemälde im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main; IV), Mainz: Philipp von Zabern 2002, X + 458 S., 43 Farb-, 355 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-2920-0, EUR 86,00
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Stephan Kemperdick: Deutsche und böhmische Gemälde 1230-1430. Gemäldegalerie Berlin - Kritischer Bestandskatalog, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010
Bodo Brinkmann / Wolfgang Schmid (Hgg.): Hans Holbein und der Wandel in der Kunst des frühen 16. Jahrhunderts, Turnhout: Brepols 2005
Stephan Kemperdick / Erik Eising / Till-Holger Borchert (Hgg.): Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit. Ausstellungskatalog / Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin, 31.03.2023-16.07.2023, Berlin, München: Hirmer 2023
Der Katalog reiht sich in eine vom Städelschen Museum konzipierte Gruppe von Bestandskatalogen, in der alle Sammlungsabteilungen bearbeitet werden. Zuvor wurde der von Jochen Sander herausgegebene Band "Niederländische Gemälde im Städel 1400-1550" vorgestellt. Der Band von Hiller von Gaertringen "Italienische Gemälde im Städel 1300-1550" folgte jüngst nach. Man darf gleich zu Anfang feststellen, dass der Katalog seine Aufgabe ausgezeichnet erfüllt. Mit farbigen Abbildungen aller 32 Objekte sowie einer profunden technischen Dokumentation und reichem Vergleichsmaterial ausgestattet, liefert er die bisher umfassendste Darstellung eines Sammlungsbestandes altdeutscher Malerei.
Bei der Anordnung der Katalognummern hat man, obwohl in der Kunst des Mittelrheins ein Schwerpunkt der Sammlung liegt, zurecht auf eine künstlerisch-topografische Darstellung verzichtet. Die regionale Nachbarschaft bringt eher wenige stilistische Gemeinsamkeiten und auch die "am Mittelrhein lang andauernden Konstanten eines Regionalstils des 14. und 15. Jhs. sind kaum zu erkennen" (IX). Die chronologische Gliederung scheint optimal für eine vielfältige Sammlung, in der unter anderem auch kölnische, oberrheinische und fränkische Werke vereint sind. Der Aufbau bietet dem Leser eine klare und erstaunlich repräsentative Orientierung über die Entwicklung der deutschen Kunst des gesamten Zeitraums.
Am Anfang jedes Artikels wird über den materiellen Bestand informiert. Es folgen die gemäldetechnologischen Befunde, mit Infrarot-Reflektographie, Dendrochronologie und Röntgenaufnahmen, begleitet von entsprechenden Illustrationen. Daran schließt sich die stets sorgfältige und exakte Beschreibung des Werkes an, die den Grund für die Interpretation des Gemäldes vorbereitet. Neben der Provenienz wird auch auf die zugehörigen Teile eingegangen, die sogar abgebildet sind. Die meist sehr durchsichtig referierte Forschungsgeschichte ist oft eine imposante kunstgeschichtliche Leistung, die von den Verfassern einen großen Aufwand in der Kunst der Synthese erforderte. Auf der Grundlage des Festgestellten erfasst die abschließende Diskussion das Werk in unterschiedlichen Aspekten, wie Rekonstruktion des ehemaligen Zusammenhangs, Datierung, Zuschreibung und vor allem Inhaltsdeutung. Dieser Abschnitt kann für manche Werke als selbstständige Monografie gelten, mit der Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse und vor allem mit zahlreichen neuen Beobachtungen und Konstatierungen. Abschließend kommt die Liste der für jedes Werk relevanten Literatur.
Mithilfe dieses klaren Schemas wurden von Brinkmann und Kemperdick alle Objekte gründlich erforscht. Die technisch genauen Untersuchungen sind nicht nur für Spezialisten interessant, sondern lassen immer wieder auch wichtige Prozesse der Umgestaltung der Kompositionen erkennen, die für die Deutung der Bilder von größter Wichtigkeit sind. Zum Beispiel ist auf den berühmten Apostelmartyrien von Stefan Lochner in den Martyriums-Szenen des hl. Jakobus d. J. und des hl. Bartholomäus (Inv. Nr. 829 und 826, Abb. 167, 164) eine ältere Form von Gegenständen (Kanzel und Folterbank) noch in der Unterzeichnung klar erkennbar. In der ausgeführten Malerei wurde dies aber weitgehend verändert. Nach Bodo Brinkmann "ein Vorgang, der als Modernisierung im Sinne eines niederländisch geprägten Detailrealismus zu verstehen ist" (190). Die Röntgenaufnahmen haben im Falle des Salvator Mundi vom Meister der Darmstädter Passion (Inv. Nr. 2060) zu Erkenntnissen geführt, die gleich eine durchgreifende Restaurierung veranlasst haben (Abbildung 230).
Die Darstellung einer so vielfältigen Sammlung verlangt die Einbeziehung einer großen Zahl von Vergleichswerken aus verschiedenen kunsttopografischen und stilistisch-chronologischen Kreisen. Auf diese Weise wurde um die Werke des Städels ein europäisches Netz von einflussreichen Bildern und Stichen ausgebreitet. Glücklicherweise sind die meisten abgebildet.
Stephan Kemperdicks präzise und anspruchsvolle Analysen gehen meist aus einem eindringlichen Vergleichsprozess hervor, der zum Teil über die bekannte Forschung hinausweist. Diese detaillierte, höchst kritische und sehr spannende Analyse bezieht sowohl das Grundprinzip der Komposition des Werkes, als auch die kleinsten Einzelheiten der Gestaltformen, Gesichtszüge, Charakteristik der Farbe bis zur Führung des innerbildlichen Lichtes ein. Diese eindrucksvolle und vor allem fruchtbare Methode bietet dem Leser ein weites Panorama der bildenden Kunst. Die zum Teil nicht abgebildeten Beispiele fordern vom Leser eine relativ fortgeschrittene sachverständige Vorbereitung.
Von dieser vergleichenden stilistischen Methode unterscheidet sich diejenige von Bodo Brinkmann. Seine Analysen konzentrieren sich mehr auf die innerbildlichen Beziehungen der Szenen, auf ihre Ausdrucksqualität, die oft absichtlich verwendeten Steigerungen der Erzählung und auf die Vermittlung außerikonographischer Inhalte. Diese Methode wurde musterhaft bei Stephan Lochners Apostelmartyrien angewandt. Sein "Können drückt sich nicht nur in dem vielfach gewürdigten Oberflächenrealismus der Tafeln aus, der die überzeugende Wiedergabe von Textilien unterschiedlichster Art, von dünnem Tuch, schwerem Brokat, schimmerndem Samt, von Haut und Haar, aber auch von Holz, Stein, ja sogar von Feuer, Wasser und siedendem Öl erlaubt" (209). Brinkmann weist vor allem auf die formale Fähigkeit des Malers beim Vermeiden von Wiederholungen in den Martyrienszenen. Lochner habe es vermocht, dem gesamten Altarwerk, der Mitteltafel des Jüngsten Gerichts in Köln und den Flügelaußenseiten in München, ein durchgreifendes Gepräge zu verschaffen. Ein scharfer Gegensatz bestehe zwischen den Gestalten der Apostel und der Peiniger (Gesichtsausdrücke und Kleidung), worin Lochner "auf die unbewusste Wahrnehmung des Betrachters" (210) ziele. Der Autor beobachtet auch den angedeuteten Zeitfaktor wie die Dynamik-Formeln der Szenen. Sie kommen in der Disposition der Figuren auf der Bildfläche zum Ausdruck (zum Beispiel Drehbewegung im Martyrium des hl. Jakobus d. J.). Die Methode lässt den Leser Lochners "ausgefeilte Bildregie nachvollziehen, die Fähigkeit, das Geschehen für den zeitgenössischen Betrachter überzeugend in Szene zu setzen, was nur zum Teil mit einer 'realistischen' Darstellungsweise gleichzusetzen ist."
Zu erwähnen ist bei beiden Bearbeitern die Vorsicht in der Aufstellung neuer Hypothesen und die umsichtige Zurückhaltung bei der Verwendung von nicht verifizierbaren Faktoren. Bemerkenswert sind die Versuche, das Werk im rekonstruierten Kontext zu betrachten, sowohl als ehemals einheitliches Ensemble (besonders bei den vielteiligen Altären, wie zum Beispiel die Flügel des Altenberger Altars, Inv. Nr. 358-361), als auch im Zusammenhang mit der ursprünglichen Umgebung (Kirchenraum, Kloster, Bürgerhaus und so weiter). Etliche Hinweise auf den ursprünglichen Betrachter, die aus den Gemälden vielmals zu erkennen sind, helfen den Autoren bei der Bestimmung der vom Stifter beabsichtigten Funktion, die das Werk erfüllen sollte, und die zuletzt seine von neuem rekonstruierte Deutung vervollständigt und bestätigt (oder auch berichtigt).
Hier kann die Bearbeitung des Paradiesgärtleins (Inv. Nr. HM 54) angeführt werden, die ein Musterbeispiel der von beiden Verfassern zusammen durchgeführten komplexen Analyse darstellt. Sie gipfelt in der Diskussion über dieses wunderbare und rätselhafte oberrheinische Werk, bei dem "die Schwierigkeiten in besonderem Maße daraus erwachsen, dass das Paradiesgärtlein auf sehr irritierende Weise an verschiedene Bildtraditionen anknüpft, nur um diesen dann in entscheidenden, für den jeweiligen Bildtyp konstitutiven Punkten zu widersprechen" (114). Die Verbindung von ausführlicher Vergleichsanalyse (mit Bild-Analogien zum ikonographischen Typus, mit "ausgeschnittenen" Gruppen und Einzelfiguren, bis zur Wiedergabe von Pflanzen und Tieren) hat in den unbefangenen und scharfsichtigen Beobachtungen der innerbildlichen Interaktionen zwischen den dargestellten Personen und dem Entzifferungsversuch der das Ganze prägenden Stimmung zu höchst interessanten Erkenntnissen geführt. Die Hypothese eines Nonnenklosters als dem beabsichtigten Adressaten des Werkes, die Herbeirufung von ikonographischen Mustern der Liebesgärten und vom Topos des "locus amoenus", "als dem lieblichen Ort der Gottheit wie des Menschen", schließlich die Vermutung der absichtlichen Einbeziehung des Betrachters in das offene Gärtlein sind zwar nicht eindeutig beweisbar, schlagen aber eine neue, umfassende und zu denken gebende Interpretation des Paradiesgärtleins vor.
Es fällt schwer, in diesem Band wesentliche Fehler zu finden. Zu den Benutzungsschwierigkeiten zählen manche Schwächen in der Anpassung der Abbildungen an die betreffenden Textstellen. Außerdem ist auf Seite 180 ein technischer Fehler aufgetaucht: bei der Beschreibung des Malzustands wurden zwei Tafeln verwechselt, die des hl. Matthäus und des hl. Jakobus d. J., was aber relativ leicht zu erkennen ist und nicht zu einer Konfusion des Lesers führen sollte.
Abschließend muss man noch mal eindeutig feststellen, dass mit dem Katalog der altdeutschen Malerei im Städel eine neue Qualität erreicht worden ist, die als prägendes Modell für andere Sammlungen gesehen werden dürfte. Mit höchstem Aufwand wurden unter Einbeziehung von modernsten, oft mühsamen und zeitaufwändigen technologischen Untersuchungen die 32 Bilder der Städelschen Galerie bearbeitet. Der Katalog ist als ein umfassendes Kompendium der Forschung anzusehen. Er vermag aber auch eine Fülle neuer inspirierender Erkenntnisse und Hypothesen zu entwerfen. Bei einer Vielzahl von Objekten ergeben sich neue Zuschreibungen, veränderte Datierungen und Lokalisierungen. Vorschläge zur Rekonstruktion ursprünglicher Ensembles und zur Deutung der Bildinhalte werden unterbreitet, Werkstattverhältnisse beleuchtet und wechselseitige Einflüsse zwischen den Künstlerkreisen erörtert. Es ist ein Werk entstanden, das als moderner Führer durch eine der besten Sammlungen der altdeutschen Malerei dienen kann. Zudem stellt es ein ausführliches Handbuch auf dem neuesten Forschungstand dar, das auch ein europäisches Panorama bietet. Dieser Aufgabe entspricht auch die solide und exklusive Edition des Bandes durch den Verlag.
Maciej Gąsiorowski