Hervé Oursel / Julia Fritsch: Henri II et les arts. Actes du colloque international. École du Louvre et musée national de la Renaissance - Écouen. 25, 26 et 27 septembre 1997 (= Rencontres de l'École du Louvre; XV), 2003, 460 S., ISBN 978-2-904187-08-7, EUR 54,00
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Das herkömmliche Bild der französischen Renaissance ist eng mit der Person König Franz I. verknüpft. Und das völlig zu Recht, sorgte dieser "père des arts de des lettres" doch für ein kulturelles Klima, das Frankreich und insbesondere das königliche Schloss von Fontainebleau zu einem Schauplatz künstlerischer Innovation mit gesamteuropäischer Ausstrahlung werden ließ. Die forschungsgeschichtliche Dominanz Franz I., die unter anderem auch in einer privilegierenden Quellensituation begründet liegt, trug dazu bei, dass die mäzenatischen Ambitionen und das künstlerische Umfeld seines Sohnes und Nachfolgers auf dem französischen Thron, Heinrich II, bislang kaum angemessen Beachtung fanden. Insbesondere fehlte eine Zusammenschau, die den Stellenwert der Künste für den neuen Machthaber und das ästhetische Profil seiner Regentschaft (1547-1559) kenntlich machen würde.
Diesem Desiderat war ein bereits 1997 in Paris abgehaltenes Kolloquium gewidmet, das auf eine Initiative der Ecole du Louvre und des Musée national de la Renaissance in Ecouen zurückging und dessen Beiträge nun endlich als Tagungsband vorliegen. 31 vornehmlich französische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schildern das Spektrum der künstlerischen Aktivitäten unter Heinrich II. Die seitenstarke Publikation hat den Charakter einer nach Medien und Gattungen differenzierten Bestandsaufnahme, bietet aber auch vertiefte, mit aktuellen Forschungsergebnissen gesättigte Analysen einzelner Arbeiten, Werkgruppen und Themenkomplexe und stellt in dem Zusammenhang auch bislang wenig bekannte Künstler ausführlicher vor. Sie enthält zudem einen höchst lesenwerten Aufsatz von Jean-Michel Leniaud, der die Wahrnehmung Heinrichs II und eines "style Henri II" im 19. Jahrhundert skizziert. Bei der historistischen (Re-)Konstruktion einer französischen "style Renaissance" geriet demnach die von einheimischen Künstlern und renommierten Bauprojekten geprägte Regierungszeit Heinrichs II. zur Projektionsfläche nationalistischer Sehnsüchte und ästhetischer Ideale gleichermaßen. Die diagnostizierte Verdichtung des "style Henri II" in der Architektur und dem Mobiliar der 1870er-Jahre sowie in den zeitgenössischen Restaurierungsleistungen hätte man gerne an den leider nicht abgebildeten Objekten selbst nachvollzogen.
In seiner konzisen Einführung bietet Mitherausgeber Hervé Oursel einen hervorragenden Überblick über die für Heinrich II geschaffenen Arbeiten, darunter natürlich auch musikalische und literarische Werke. Die mediale Bandbreite - Skulptur, Malerei, Glasmalerei, Buchkunst, Grafik, Medaillen, Keramik, Goldschmiedekunst, Textilien und so weiter - ist bemerkenswert. Doch sind es vor allem schon vom Vorgänger übernommene oder selbst initiierte Bauvorhaben, die das Interesse des Königs finden und das Bild seiner Regentschaft nachhaltig prägen. Mehrere Aufsätze des Bandes tragen diesem Umstand Rechnung. So dechiffriert Jean Guillaume den neuen Louvre-Flügel Pierre Lescots als eine selbstbewusste Inszenierung imperialer Architektur [1], die "gleichermaßen den Ruhm des Königs und den Beginn einer neuen Kultur zelebriert" (351). Monique Chatenet wiederum schildert in gewohnt umsichtiger und quellenkundiger Weise das Aufkommen der "antichambre", die in der Zeit Heinrichs II. zu einem festen Bestandteil des königlichen "appartement" wurde. [2] Damit zwangsläufig einher gingen eine Systematisierung und Reglementierung des höfischen Zeremoniells, die sich als richtungsweisend für die zukünftige Organisation absolutistischer Herrschaft erweisen sollten. Chatenet kann darüber hinaus zeigen, dass die "antichambre" zu einem markanten Element auch der Raumdisposition für Hausherr und Gast in den Adelsresidenzen wurde.
Besonders erwähnenswert ist zudem der Beitrag von Marie-Noelle Baudouin-Matuszek, die die Entwicklung der "domaine royal", also der königlichen Immobilien in Paris, und somit auch die bislang kaum bekannten städtebaulichen Maßnahmen Heinrichs II vorstellt. Offenbar agierte der König vor allem aus wirtschaftlichem Kalkül, wenn er einen beachtlichen Teil seiner Pariser Güter sukzessive veräußerte, andere Besitztümer wie den Louvre und den Palais de la Cité hingegen um- beziehungsweise ausbauen ließ. Neben der räumlichen Konzentration zwecks strafferer Verwaltung und Bewirtschaftung der "domaine royal" hegte Heinrich II. wohl auch urbanistische Anliegen für seine Hauptstadt. Leider sind die geschilderten Maßnahmen in den einzelnen Vierteln (Hôtel de Nesle, Hôtel des Tournelles, les Halles) mangels entsprechenden Bild- beziehungsweise Kartenmaterials nur bedingt nachzuvollziehen. Eine königliche Kulturleistung besonderer Güte hebt Baudouin-Matuszek abschließend hervor: Im Jahr 1553 gab Heinrich II. die damals militärtechnisch motivierte Anweisung, Bäume entlang der Straßen zu pflanzen. Diese wurden nachweislich zu einem "élément esthétique indéniable et essentiel du paysage français", und der Ruhm Heinrichs II. scheint der Autorin schon deshalb gesichert (112).
Einem der wenigen Ausstattungsprogramme aus der Regierungszeit Heinrichs II., der Salle de Bal in Fontainebleau, gilt der Beitrag von Anne-Marie Lecoq. Ihr kritischer Blick auf die überlieferten Bild- und Schriftquellen zu dem materiell so gut wie nicht mehr vorhandenen Wanddekor von Francesco Primaticcio und Nicolo dell'Abate ermöglichen eine neue Deutung im Sinne des Neuplatonismus. Demnach veranschaulicht das freskierte Bildprogramm des Ballsaals ein Friedensideal, das Harmonie und ihr Gegenteil - ein in der zeitgenössischen Musiktheorie häufig verhandeltes Thema - vereint. Die hartnäckig behauptete Reverenz gegenüber Diane de Poitiers, der machtvollen Mätresse Heinrichs II., die über eine angeblich mehrfache Darstellung der Jagdgöttin Diana an der Stirnwand des Saales gegeben sein soll, kann Lecoq überzeugend - und verblüffend einfach - widerlegen. Ähnlich verhält es sich mit der Argumentation von Thierry Crépin-Leblond. Seine sorgfältige und unverstellte Analyse der komplexen Emblematik Heinrichs II. macht deutlich, dass sich in diesem vielleicht wichtigsten Bestandteil fürstlicher Repräsentation dynastische Traditionen und imperiale Anklänge zu einer kraftvollen Symbolsprache verdichteten. Erst die spätere Rezeption und vor allem die sentimentale Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts haben die Emblematik Heinrichs II. für seine langjährige Favoritin Diane de Poitiers vereinnahmt und damit das Bild des vermeintlich blassen, wenig durchsetzungsfähigen Königs untermauert. Mehr noch als alle anderen Beiträge des Sammelbandes schafft es der Aufsatz von Crépin-Leblond, Heinrich II. als einen machtvollen und kulturprägenden Herrscher zu rehabilitieren.
Von der zum Teil unzureichenden und ausschließlich schwarz-weißen Bebilderung einmal abgesehen, ist "Henri II et les arts" eine Kompilation durchweg informativer und gut recherchierter Beiträge, die umfassend Einblick in die Thematik bietet. Dass der Kolloquiumsband für die weitere Erforschung der französischen Hochrenaissance wichtige Impulse geben wird, steht außer Frage.
Anmerkungen:
[1] Siehe hierzu auch: Volker Hoffmann: Le Louvre de Henri II: un palais impérial, in: Bulletin de la Société de l'histoire de l'art francais, 1984 (1982), 2-15.
[2] Siehe hierzu auch: Monique Chatenet: La cour de France au XVIe siècle. Vie sociale et architecture, Paris 2002, 171 ff.
Sigrid Ruby