Rezension über:

Werner Hofmann: Daumier und Deutschland (= Passerelles; 4), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, 71 S., ISBN 978-3-422-06450-8, EUR 12,00
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Rezension von:
Achim Preiß
Bauhaus-Universität, Weimar
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Achim Preiß: Rezension von: Werner Hofmann: Daumier und Deutschland, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/01/6460.html


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Werner Hofmann: Daumier und Deutschland

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Werner Hofmann, eine der "großen Eminenzen" der Kunstgeschichte, hat sich seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts, seit seiner Dissertation, die über das grafische Werk Daumiers handelte, immer wieder mit dem großen französischen Künstler und Karikaturisten des 19. Jahrhunderts beschäftigt. [1] Die substanzielle Qualität des vorliegenden Buchs steht außer Zweifel. Es beleuchtet in chronologischer Folge einige Stationen der durchaus wechselhaften Beziehungen, die Daumier zu Deutschland unterhielt, und behandelt daran anschließend die Wirkungen, die Daumiers Werke für die deutsche Kulturentwicklung bis heute ausüben.

Den Anfang bildet die verpasste Chance einer intellektuellen "Waffenbruderschaft" zwischen Daumier und Heinrich Heine, dem als aufmerksamen Beobachter der Pariser Szene die vielfach publizierten Arbeiten Daumiers wahrscheinlich nicht entgangen sind, und doch ließ er sie unkommentiert. Die ersten direkten Beziehungen ergaben sich in den 1840er-Jahren zwischen Daumier und Carl Spitzweg, beide Künstler waren als Karikaturisten tätig, Daumier ab 1832 für den "Charivari", Spitzweg ab 1844 für die "Fliegenden Blätter", beide mussten die Pressezensur fürchten und daher auf eine unverfängliche Genresatire ausweichen. Daher wundert es nicht, dass sie sich gegenseitig zitierten: Von Spitzweg übernahm Daumier den "Armen Poeten" für Grafiken gleichen Themas, wobei Daumier aber sein Publikum nicht zur Belustigung, sondern zur Klage und zum Mitleid aufrief.

Es blieb aber nicht bei diesen eher formalen Anlehnungen, wesentlich profitierte Daumier vom Mephisto aus Goethes Faust, den er wahrscheinlich durch seinen Künstlerkollegen Delacroix kennen gelernt hatte. Delacroix hatte sich schon 1828 mit dieser literarischen Figur bildlich auseinandergesetzt. Daumier nutzte sie dann häufig als Dämon und Verführer an der Seite der Mächtigen seiner Zeit. Ab 1870 begleitete der Mephisto, der auch als Knochenmann mit Sense auftrat, beispielsweise die deutschen Eroberer, bei denen er sich für die reiche Ernte auf den Schlachtfeldern bedankte. Für die Bildfindung verweist Hofmann noch auf den Totentanz-Zyklus von Alfred Rethel, mit dem dieser den Bürgerkrieg in Deutschland während der 1848er-Revolution kommentierte. Der Zyklus wurde kurz nach seinem Erscheinen 1849 auch in Paris bekannt und unter anderen von Baudelaire ausführlich gewürdigt, der die von Rethel intendierte Mehrdeutigkeit hervorhob. Der Künstler ergriff nicht Partei für oder wider die Revolution, sondern stellte dar, dass auch der Tod kein Parteigänger ist, keine Gerechtigkeit und keine Vernunft kennt, weshalb das Motiv der Gewaltanwendung in der Gewalt untergeht. In einem ähnlich doppeldeutigen Sinne verwendete auch Daumier die Figur des Todes besonders bei seinen kritischen Kommentaren zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Diese zeugen daher keineswegs nur von einem blinden Patriotismus und einseitigem Hass auf die deutschen Eroberer. Vielmehr stellte er auch die französische Kollaboration heraus, der Geld und Macht mehr bedeuteten als Freiheit und Souveränität.

Der Tod Daumiers 1879 fiel zusammen mit dem beginnenden Siegeszug der Impressionisten, mit denen sich eine Kunstauffassung durchsetzte, die alle Bedeutungen und Qualitäten der Kunst nur in der Kunst sah, dieser also keine dekorierenden oder kommentierenden Funktionen zudachte. Das führte zu einer Abwertung und kunsthistorischen Vernachlässigung von Daumiers Lebenswerk in Frankreich. Nur in Deutschland wurde er als ein wichtiger Repräsentant der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts gewürdigt: Um 1900 bereiteten Richard Muther und Karl Eugen Schmidt seine große Bedeutung vor, 1904 folgte eine intensive Würdigung durch Julius Meier-Graefe, der 1908 eine erste Monografie von Erich Klossowski folgte. [2]

Dieser kunsttheoretischen und kunsthistorischen Aufarbeitung schlossen sich museale und private Sammler wie Hugo von Tschudi, Carl Sternheim und Karl Ernst Osthaus mit dem Ankauf einzelner Werke an. Die allmähliche posthume "Umsiedelung" Daumiers nach Deutschland begleitete 1927 eine größere, um Vollständigkeit bemühte Monografie des Kritikers und Sammlers Eduard Fuchs. [3] Über den größten Bestand von Daumier-Werken verfügte zu dieser Zeit bereits Otto Gerstenberg, der im Rahmen seiner Berliner Sammlung zur französischen Kunst des 19. Jahrhunderts neben vielen Gemälden, Bronzeplastiken, Aquarellen und Zeichnungen nahezu alle Lithographien Daumiers zusammengebracht hatte. Gerstenberg sammelte also mit dokumentarischen und enzyklopädischen Absichten, stellte Daumier daher nicht in den Schatten seiner berühmten Malerkollegen und wertete ihn nicht zum Beispiel gegenüber den Impressionisten ab.

Darüber hinaus wurde Daumier auch von deutschen Künstlern aktiv rezipiert: So weisen die Arbeiten von Käthe Kollwitz, Bernhard Hoetger, Ernst Barlach, Emil Nolde und Paula Modersohn-Becker motivische Anleihen auf. Schließlich wirkte er natürlich vorbildlich auf die politische Karikatur und Kunst in Deutschland ein wie sie durch John Heartfield und George Grosz vertreten wurde und Nachfolge fand zum Beispiel in Klaus Staeck, sodass Daumier in dieser Gattung bis heute aktuell geblieben ist.

Das Gleiche gilt auch für die deutsche Kunstgeschichte, die sich bis heute regelmäßig literarisch und in Ausstellungen mit Daumier auseinandersetzt. Ein durchgängiges Forschungsmotiv ergibt sich dabei aus der Ambivalenz seiner Arbeiten, auf die Walter Benjamin schon 1937 in einem Aufsatz über den Daumier-Experten Eduard Fuchs hinwies. [4] Seine Karikaturen und Satiren entsprachen keiner parteipolitischen Linie, sondern waren Kritiken einer Gesellschaft, der er selbst angehörte und von deren Problemen und Fehlern er so profitierte, dass er auch nicht deren Untergang propagieren wollte.

Das 72-seitige Buch in einer einfachen, aber qualitätvollen Ausstattung mit guten Schwarzweiß-Abbildungen stellt eine ausführliche und kenntnisreiche Ausführung des Themas Daumier und Deutschland dar, die sich auf den neuesten Forschungsstand stützt und der nichts hinzugefügt werden muss.


Anmerkungen:

[1] Werner Hofmann, "Die geschichtliche Stellung von Daumiers graphischer Form", in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Bd.52, Wien 1956, 147 ff.

[2] Erich Klossowski, Honoré Daumier, München 1908.

[3] Eduard Fuchs, Der Maler Daumier, München 1927.

[4] Walter Benjamin, Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. VI, 1937, 347 ff.

Achim Preiß