Rezension über:

Luigi Capogrossi Colognesi: Max Weber und die Wirtschaft der Antike. Aus dem Italienischen von Brigitte Szabó-Bechstein (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge; Bd. 259), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 432 S., ISBN 978-3-525-82531-0, EUR 99,00
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Rezension von:
Jürgen Deininger
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Deininger: Rezension von: Luigi Capogrossi Colognesi: Max Weber und die Wirtschaft der Antike. Aus dem Italienischen von Brigitte Szabó-Bechstein, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/4555.html


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Luigi Capogrossi Colognesi: Max Weber und die Wirtschaft der Antike

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Aus doppeltem Grunde ist das vorliegende Werk des italienischen Rechtsgelehrten Luigi Capogrossi Colognesi in deutscher Sprache besonders willkommen: zum einen, weil es die bis jetzt eindringlichste Darstellung der Auffassung Max Webers von der antiken Wirtschaft bietet, zum anderen aber, weil es einen Zugang eröffnet zu der insgesamt wenig zur Kenntnis genommenen, produktiven italienischen Forschung über die Erkenntnisse Webers zur Antike, die außer einer Reihe von Arbeiten des Autors selbst durch Namen wie E. Lo Cascio, R. Marra, A. Momigliano, E. Sereni und andere repräsentiert wird.

In der "Prefazione" (9 f.) begründet der Verfasser zunächst, warum die 2004 erschienene Übersetzung trotz teilweise neuer Forschungsergebnisse auf der unveränderten italienischen Version ("Max Weber e le economie del mondo antico") von 2000 beruht. Das "Vorwort" (11-25) bringt dann eine anregende allgemeine Einführung in Webers Sicht auf die antike Wirtschaft, die danach in drei chronologisch angelegten Teilen analysiert wird. Teil I gilt der als "Grundwerk" (27) angesprochenen 'Römischen Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht' (1891), des Weiteren dem bekannten Vortrag "Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur" (1896) sowie den beiden älteren, kurzen Versionen der "Agrarverhältnisse im Altertum" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften von 1897 beziehungsweise 1898 (27-177). Im zweiten Teil (179-304) wird, als "Werk der Reife" (179), die im Winter 1907/1908 verfasste dritte Version der 'Agrarverhältnisse' aus dem Handwörterbuch behandelt, während der Schlussteil (305-398) Webers Untersuchungen zur antiken und mittelalterlichen Stadt am Ende des letzten Handwörterbuchartikels und in dem 1921 postum veröffentlichten, unvollendeten Aufsatz "Die Stadt" gewidmet ist. Ein nützliches Glossar (399-406) sowie eine ausführliche Bibliografie (407-420), schließlich ein Autoren- und detailliertes Begriffsregister (421-432) runden den Band ab.

Das Buch ist die Frucht einer jahrzehntelangen, eindringlichen Beschäftigung mit Max Weber und zeigt in seinen minuziösen Interpretationen allenthalben die genaue Kennerschaft der Texte. Dabei geht es dem Verfasser erklärtermaßen "nur" darum, Webers Denken zu verstehen und wiederzugeben (24). Praktisch bedeutet dies, dessen Zusammenhang mit den einschlägigen Debatten seiner Zeit und seine stete Weiterentwicklung sorgsam nachzuvollziehen. Zu den wichtigsten Namen, die für Webers Erkenntnis der Antike methodisch bedeutsam waren, gehörten Mommsen, der Agrarhistoriker August Meitzen und Johann Karl Rodbertus, der Begründer der Oikentheorie der antiken Wirtschaft, bald auch Eduard Meyer sowie dessen Widersacher Karl Bücher; mit den vier Erstgenannten setzt sich der Autor besonders intensiv auseinander.

In der Römischen Agrargeschichte verfolgte Weber diese von einer anfänglichen "Flurgemeinschaft" über einen zeitweisen 'agrarischen Kapitalismus' bis zur Grundherrschaft der Spätantike, ein Gesamtverlauf, den er, wie zahlreiche Hinweise belegen, in erster Linie vor dem Hintergrund der gewissermaßen umgekehrt von der Grundherrschaft zum Kapitalismus führenden mittelalterlich-neuzeitlichen Agrarentwicklung sah. Dem Bruch zwischen beiden ging er vor allem in den "Sozialen Gründen" nach. Die Sklavenwirtschaft der mittelmeerischen, antiken städtischen Küstenkultur ließ sich, so Weber, auf Dauer nicht auf die umfangreichen binnenländischen Gebiete des Imperiums übertragen, dessen wirtschaftlicher und administrativer Zusammenhalt darüber zerbrach; doch stellte für ihn die spätantike Grundherrschaft ihrerseits bereits einen Keim für die folgende Entwicklung in Europa dar.

Die ersten beiden Fassungen der "Agrarverhältnisse" zeigen dann deutlich eine veränderte Gesamtperspektive insofern, als Weber jetzt das Altertum insgesamt, das heißt neben Rom auch Griechenland sowie - in der zweiten Fassung - außerdem den Alten Orient (Ägypten und Mesopotamien) anhand seiner Fragestellungen und Kategorien untersuchte. Den Höhepunkt seiner Behandlung der antiken Wirtschaft bildete jedoch erst die knapp zehn Jahre später entstandene, umfängliche dritte Fassung des Handwörterbuchartikels, in der Weber auch Israel und den Hellenismus einbezog. In den Jahren zuvor hatte er den "Idealtypus" als wichtiges Mittel der historischen Begriffsbildung herausgearbeitet und sich in den berühmten Aufsätzen "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" mit einer bedeutsamen Voraussetzung des neuzeitlichen Kapitalismus befasst. Beides sollte auch auf sein Bild der Antike wesentlich einwirken, so in der Entwicklung einer idealtypischen antiken Staatsorganisationslehre, die den gesamten Artikel durchzieht, wie in der jetzt von Weber vorgenommenen scharfen Entgegensetzung von antikem und neuzeitlichem Kapitalismus, die er dann später durch die Kennzeichnung des antiken als eines 'irrationalen' Kapitalismus auch mit seiner allgemeinen Rationalisierungsthese verband. Dies und weitere Weber'sche Hauptthemen: die Bedeutung des 'Oikos' für die antike Wirtschaft, der Vorrang der Landwirtschaft gegenüber Handwerk und Handel, die kennzeichnende Rolle von Renten- (statt Unternehmer-)Einkommen und die weitgehende Abhängigkeit der Wirtschaft von der Politik werden ebenso besprochen wie viele andere Aspekte von Webers stets mehrdimensionalen Analysen der antiken Wirtschaftsstrukturen. Der Schluss gilt Webers Vergleich der antiken und der mittelalterlichen Stadt am Ende der "Agrarverhältnisse" und in dem Aufsatz "Die Stadt". Mit Recht betont der Autor, dass es Weber bei der Antike immer auch um den Gegenwartsbezug ging (23). Zusammenfassend spricht er von der "Herausarbeitung des noch unstabilen Anfangs einer bis in unsere Zeit führenden Entwicklung" (23) bei Weber und erklärt Webers Interpretationsmodell für in weiten Teilen noch gültig (21). Jedenfalls lassen sich - ungeachtet des begrenzten Echos in der Fachwissenschaft (vergleiche 395 f.) - die "Agrarverhältnisse" durchaus als eine Art "Programmschrift" der wirtschafts-, sozial- und strukturgeschichtlich arbeitenden althistorischen Forschung des 20. Jahrhunderts verstehen, die aber noch viele Fragen und Anregungen auch für das 21. Jahrhundert bereithält.

Abschließend nur wenige Einzelbemerkungen. Als "Grundwerk" (vergleiche oben) hätte wohl auch Webers Erstlingsarbeit, die "Handelsgesellschaften", mit dem Kapitel über die Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens aus den Haus- und Gewerbegemeinschaften mittelalterlicher italienischer Städte von 1889 eine Erwähnung verdient gehabt, da hier ein höchst charakteristischer Ausgangspunkt für Webers wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen lag. Auf seine gewandelte Beurteilung der Kontroverse zwischen Weber und Mommsen über den Unterschied zwischen römischer Kolonie und Municipium (zu Gunsten Webers) konnte der Autor nur kurz im italienischen Vorwort (9) verweisen. Ob man im Übrigen weiterhin von den Agrarverhältnissen "von 1909" sprechen sollte, ist fraglich, nachdem spätestens aus der Edition der Briefe von 1906-1908 in der Gesamtausgabe (MWG II/5, 1990, 568 und öfter) klar geworden ist, dass Weber bereits im Mai 1908 Sonderdrucke aus dem ersten Faszikel des I. Bandes des Handwörterbuchs versandt hatte, der dann vollständig in der Tat erst mit der Jahresangabe 1909 herauskam. Zu spät für das Werk erschien die reich kommentierte Edition der "Stadt" von Wilfried Nippel (MWG I/22-5, 1999). Statt einer gewissen Lücke zwischen der Römischen Agrargeschichte und den "Sozialen Gründen" ist wohl doch eine größere Kontinuität in Webers Interesse für die Antike anzunehmen: so las er im Winter 1892/93 und 1893/94 in Berlin über die Geschichte des römischen Rechts, im Sommer 1894 über "Agrarrecht und Agrargeschichte" mit einer ausführlichen Behandlung der "römischen Agrarverfassung", im Winter 1894/95, seinem ersten Freiburger Semester als Nationalökonom, über "Allgemeine ('theoretische') Nationalökonomie", wodurch sich seine bisher 'römische' Perspektive der Antike grundsätzlich veränderte. (Eine Edition seiner Notizen zu dieser dann mehrfach gehaltenen Vorlesung wird zurzeit für die Abteilung III der Gesamtausgabe vorbereitet.) Schließlich wird der Begriff "ergastulum" (auch) von Weber nicht als Ausdruck für die gewöhnliche 'Sklavenkaserne' (so 338; 400), sondern speziell für das Sklavengefängnis verwendet.

Bei der im Ganzen zuverlässigen, gut lesbaren Übersetzung wirken allenfalls die immer wieder begegnende halb italienische Form 'Ptolomäer' wie auch die auffällig häufigen Druckfehler störend. Ebenso geht der ominöse "G.H. Nanssen" (159) auf ihr Konto; gemeint ist der bedeutende dänische Agrarhistoriker Georg Hanssen, den Mommsen als seinen nationalökonomischen Lehrer in Kiel rühmte. Doch hat man insgesamt für den wohl gelungenen Band dem Verfasser wie auch Okko Behrends, der für die Übersetzung und ihre Veröffentlichung gesorgt hat, und natürlich auch der Übersetzerin gegenüber allen Grund zur Dankbarkeit.

Jürgen Deininger