Jens Ruchatz: Licht und Wahrheit. Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion, München: Wilhelm Fink 2003, 471 S., ISBN 978-3-7705-3792-1, EUR 60,00
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Jens Ruchatz, Medienwissenschaftler am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Erlangen, hat ein Buch über die Geschichte der Diaprojektion vorgelegt. Weitausgreifende philosophische Reflexionen, wie sie der Titel Licht und Wahrheit erwarten lässt, sind nicht Gegenstand des Werks. Konkrete, ja handfeste historische Tatsachen und technische Sachverhalte liegen dem Autor näher und so erfährt der Leser im Zuge der Lektüre zahlreiche Details aus der Sach- und Sozialgeschichte der fotografischen Projektionsverfahren und den ihr vorausgehenden Verfahren nichtfotografischer Bildprojektion. Wer Interesse für diese Form des Mediengebrauchs aufbringt, kann auf nahezu 500 Seiten den Weg von der Laterna magica bis hin zu den verschiedenen Formen der Nutzung der Bildprojektion im 19. Jahrhundert verfolgen. Reproduktionen von Holzstichillustrationen der Zeit, an denen Max Ernst seine Freude gehabt hätte, lassen den Einsatz von Projektoren zu so unerwarteten Zwecken wie etwa denen der Auswertung von mikroskopischen Bildern oder von Spionage-Mikrofilmen nachvollziehbar werden. Ruchatz berichtet, wie neue Formen öffentlicher und privater Unterhaltung entstanden sind. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, nach der Erfindung der Farbfotografie, waren vor allem farbige Großbildtechniken beliebt. Diejenigen, die sich von den Vorführungen faszinieren ließen, unterlagen, so Ruchatz, nicht dem "Mythe du cinéma total", wie André Bazin ein vermeintlich anthropologisch fundiertes Bedürfnis nach "Illusionssteigerung" (316) 1946 genannt habe, sondern vermochten, wie Dokumente belegen, durchaus bereits auf eine geradezu Brecht'sche Weise distanziert zu schauen und erfreuten sich an den Potenzialen der Technik.
Kunsthistoriker, die das Buch in die Hand nehmen, um über die Urgeschichte der eigenen Disziplin mehr zu erfahren, werden freilich enttäuscht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also in der Spätzeit dieser spezifischen Mediengeschichte, nach dem Ende einer allgemeinen, auch das große Publikum ergreifenden Faszination an der Bildprojektion als Spektakel, wurde die Projektion verstärkt zu Bildungszwecken eingesetzt. Erst das Nachlassen der emotionalen Spannung erzeugte den Anschein jener 'Sachlichkeit' und unbestechlich genauen Wiedergabe, die tragend wurde für die Nutzbarkeit eines der Lehre dienendes Mediums, welches als solches nicht mehr die Fantasie der Lernenden beschäftigen sollte. Titel wie Das Lichtbild und seine Verwendung im Rahmen des regelmäßigen Schulunterrichts (Willy Scheel, 1907) markieren den Zeitpunkt, an dem das einstige Unterhaltungsmedium definitiv gealtert war und von der Pädagogik übernommen wurde. Erst jetzt wurde die Diaprojektion an breiter Front auch an den kunsthistorischen Instituten der Universitäten eingeführt. Ruchatz' Ausführungen relativieren die in den 1970er-Jahren von Heinrich Dilly aufgestellte einflussreiche These, erst die Erfindung der Diadoppelprojektion habe die Methode der vergleichenden Kunstwissenschaft ermöglicht (vergleiche Heinrich Dilly: Kunstgeschichte als Institution: Studien zur Geschichte einer Disziplin. Frankfurt: Suhrkamp 1979). Die Einführung der Diaprojektion erfolgte, wie Ruchatz nachweist, gleitend und über einen sehr langen Zeitraum - auf isolierte Experimente, darunter ein kunsthistorischer Diavortrag in Landsberg an der Warthe in den 70er-Jahren, folgten Auseinandersetzungen mit dem Medium in den Zentren der Kunstwissenschaft (so am Berliner Institut) erst in den 90er-Jahren - die Durchsetzung des Verfahrens als normative Praxis ließ danach noch mehrere Jahrzehnte auf sich warten. Durch das von Ruchatz vorgelegte Material ergibt sich der Eindruck, dass methodische Neuansätze in der Wissenschaft und technische Neuentwicklungen parallel zueinander entwickelt wurden, sich zwar ähneln, jedoch sich nicht bedingten. Es war nicht die Erfindung einer neuen Technik, also die Revolution der Basis, welche etwa Folgen im wissenschaftlichen Überbau nach sich gezogen hätte. Konstatiert werden kann vielmehr nur die allmähliche Umnutzung einer eigentlich lange bekannten Technik - diese Umnutzung wurde von interessierten Subjekten vorgenommen, die nicht als Diener der Technik, sondern als ihre wortgewandten Anwender auftraten. Parallele Modernisierungsprozesse verliefen, so Ruchatz, im Rahmen "diskursive(r) Anstrengungen" (416), der "Aufstieg der Diaprojektion zum legitimen Lehrmittel lässt sich nicht aus der Eigenlogik des Mediums deduzieren." (417).
Licht und Wahrheit erscheint als ein bezeichnendes Werk für jene neue Generation der Medienwissenschaft, die das Pathos der Medienanalytiker der 1950er bis 1990er-Jahre distanziert hat. Nur im Titel des Werks wird der hohe Ton eines Marshall McLuhan, eines Michel Foucault oder eines Jonathan Crary noch zitiert - man weiß nicht recht, ob das Motiv dafür in der Ironie oder in einer aus eigener Ausdrucksarmut geborenen Anlehnung an die Gesten der großen Theoretiker liegt. Foucault und Crary nennt Ruchatz nur en passant, denn eine marxistisch oder poststrukturalistisch informierte Theorieperspektive liegt jenseits seiner Forschungsinteressen. Polemisch bekämpft er dagegen McLuhan und Friedrich Kittler als die eigentlichen Medienhistoriker, die freilich ihren Gegenstand verfehlt hätten, indem sie die geschichtliche Wirkungsmacht der Medien dimensional überbewerteten. Was sie nicht erkannt hätten, sei die geschichtliche Realität einer 'diskursiven' Dimension. Worin aber besteht diese? Vergebens sucht man bei Ruchatz nach einer historischen oder soziologischen Benennung des 'Diskurses' - er bestimmt ihn vielmehr schlicht aus der Vielfalt des historischen Materials, aus den einander widersprechenden Stimmen und Nutzungsformen. Der Bericht von solcher Vielfalt rechtfertigt sein Buch und konstituiert es zugleich methodisch als das Führen eines Metadiskurses über einen Diskurs. Dass dieser damit eigentlich allererst gesetzt wird, weil doch die historische Aktualität der Gespräche längst verklang, versteht sich von selbst. Ruchatz' Wirklichkeit, die sich in seinem Buch abbildet, ist vermutlich die eines selbstbewusst gewordenen Mediennutzers, der magische Kraft und menschenferne Macht den alten und neuen Medien darum nicht länger zuschreiben mag, weil sie ihm eben nie fern standen, immer schon Teil seiner Lebenswelt waren und vor allem als vielfach und offensiv nutzbare erschienen. Womöglich - mit dem Autor wäre dies zu diskutieren - könnte der 'Diskurs' im Sinne von Jürgen Habermas als die historische Formation einer bürgerlichen Öffentlichkeit benannt werden, die den herrschaftsfreien Diskurs als normatives Medium zu etablieren suchte, weil er sie vor einer möglichen Übermacht von Herrschafts- und Medientechnik schützen sollte und auch - folgt man den Ergebnissen des Buches - womöglich tatsächlich schützen konnte. Vielleicht könnte die Debatte über diese Frage auch die Konjunktur der Disziplin der Medienwissenschaft erhellen, die doch selbst womöglich Teil einer Selbstbehauptungsstrategie einer fortbestehenden bürgerlichen Öffentlichkeit wäre, die sich mithilfe von Wissensformen und durch performative Anstrengungen als Meisterin des einst von McLuhan kulturpessimistisch abgewehrten Siegeszugs der Medien in Szene setzt.
Susanne Deicher