Rezension über:

Sebastian Küster: Vier Monarchien - vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 6), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, 560 S., ISBN 978-3-8258-7773-6, EUR 45,90
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Rezension von:
Thomas Weißbrich
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Weißbrich: Rezension von: Sebastian Küster: Vier Monarchien - vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/6903.html


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Sebastian Küster: Vier Monarchien - vier Öffentlichkeiten

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Über die Schlacht, zu der es am 27. Juni 1743 bei Dettingen, einem Örtchen in der Nähe von Frankfurt am Main, kam, berichten die damaligen Massenmedien vielfältig und weitläufig. Den Ausgangspunkt dafür bildet die Meldung, dass die so genannte Pragmatische Armee (aus österreichischen, kurhannoverischen und englischen Truppen) ein französisches Heer in die Flucht schlug. Anhand des Umgangs mit dieser Nachricht untersucht Sebastian Küster in der vorliegenden Dissertation die Öffentlichkeiten der vier vom österreichischen Erbfolgekrieg betroffenen Staaten. Seine im Herbst 2001 abgeschlossene Arbeit entstand bei Hermann Wellenreuther an der Universität in Göttingen.

Mit der Frage nach frühneuzeitlicher Öffentlichkeit steht Küsters Studie in der langen Reihe von Arbeiten, die von Jürgen Habermas' im Jahre 1962 erschienener Untersuchung "Strukturwandel der Öffentlichkeit" ausgehen. Auf die weite Rezeption des Habermas'schen Modells, aber auch die Kontroversen, die es ausgelöst hat, geht Küster in seiner kurzen Einleitung referierend ein, bezieht jedoch keine Stellung dazu; vielmehr wirft er wenige Seiten später die grundsätzliche Frage auf, "wer und was "Öffentlichkeit" eigentlich war" (19), womit er sein Erkenntnisinteresse sehr allgemein angibt. Bewusst weit gefasst versteht der Autor unter "Öffentlichkeit" im weiteren "ein Forum von Kommunikation" (20), das er mithilfe des einfachen kommunikationstheoretischen Modells von Sender, Empfänger und Medien betrachtet. Hält Küster bereits die Diskussion des Begriffs "Öffentlichkeit" kurz, so verzichtet er auch weitgehend auf die der Begriffe "Kommunikation" und "Medien".

Dennoch lassen sich mit diesen drei Schlüsselbegriffen Fragen entwickeln, die bereits für zahlreiche theoretische und empirische Arbeiten aus verschiedenen Fachbereichen ergiebig genutzt worden sind. Das Neue an der vorliegenden Arbeit ist das erweiterte Untersuchungsgebiet: Hier soll die Kommunikation über eine Schlacht in vier Staaten mit drei Landessprachen und zwei Regierungssystemen erforscht werden (absolutistische Regierungen in Österreich, Kurhannover und Frankreich, parlamentarische Monarchie in Großbritannien). Dieser komparatistische Ansatz ist zu begrüßen und weckt Erwartungen auf den Ertrag.

Auf die knapp gehaltene Einleitung folgen empirische Detailstudien über diese Staaten, in denen Küster die Verarbeitung der Nachricht vom Eintreffen des ersten Meldereiters bis zur letzten Zeitungsmeldung, also über eine Zeitspanne von ungefähr vier Monaten, rekonstruiert. Dabei entwirft er zunächst jeweils umfassend die "Rahmenbedingungen" der Kommunikation, die er zumeist mithilfe der bestehenden Presse- und Leserforschung erläutern kann, für Kurhannover leistet er die Beschreibung der gesetzlichen Vorgaben, des Druckwesens und der Nachrichtenverbreitung selbst. Hieran schließen sich die chronologischen Untersuchungen des vom Autor umfangreich in zahlreichen Bibliotheken und Archiven recherchierten Quellenmaterials an. Außer den Erzeugnissen der Druckerpresse betrachtet er als Medien auch Gottesdienste, Siegesfeiern, ephemere Architektur und Medaillen, wobei er zwischen staatlichen und privaten Initiativen sowie zwischen "vergänglichen Nachrichten" und "bleibendem Echo" unterscheidet. Diese Trennung ist bemerkenswert, da so der fragwürdige Eindruck entsteht, große Wirkung komme nur den materiell gebundenen Medien zu. Bei der Präsentation der Quellen tritt neben vorhersehbaren Umgangsweisen mit der Meldung auch Unerwartetes zu Tage:

So war man in Versailles, von wo aus die Regierung die Nachrichten zu steuern versuchte, natürlich um Schadensbegrenzung bemüht; die staatliche Presse soll die Niederlage verschweigen oder als Sieg ausgeben. Da die Kontrolle jedoch nicht perfekt funktionierte und sich in Paris unabhängige Meldungen von der Niederlage verbreiteten, verspotteten die Bewohner auf den Straßen die Armee und ihre Heerführer mit Liedern. In Österreich und im Kurfürstentum Hannover fielen die Reaktionen auf die Siegesmeldung verhalten aus und reichten kaum über die Basisinformationen hinaus. Abgesehen von traditioneller Panegyrik auf die Staatsoberhäupter, die österreichische Erzherzogin Maria Theresia und den hannoverschen Kurfürsten Georg II., der zugleich englischer König war, nutzten sie die Meldung nicht zur Propaganda. Für die Briten war die Siegesmeldung Anlass für ausgelassene Siegesfeiern und eine Vielzahl von Publikationen. Als im Zuge der sehr ausführlichen Berichterstattung in Zeitungen und Flugschriften jedoch auch Unstimmigkeiten der Kriegsführung ans Licht kamen, erschienen zahlreiche Flugschriften, die "Tettingham" - so der Ortsname auf Englisch - nutzten, um umfassende Kritik an der Politik der Regierung zu äußern, und die schließlich in eine parlamentarische Diskussion mündeten, wie das Beispiel des stark angegriffenen Ministers Carteret zeigt.

Schon der Titel der Dissertation deutet auf Küsters Interesse hin, das Verhältnis zwischen Staatsform und Öffentlichkeitsstrukturen näher zu untersuchen. Ausgehend von den Beobachtungen seiner Detailstudien - die Regierenden und die Regierten seien essenzielle Bestandteile des Kommunikationssystems "Öffentlichkeit" - formuliert Küster jedoch erst im abschließenden Kapitel seine These: Das Verhältnis zwischen Herrschenden und Untertanen wirke sich auf die Kommunikation aus und bestimme die Strukturen von Öffentlichkeit (449). Deshalb überprüft er zum einen das Verhältnis zwischen den Staatstheorien der vier Staaten und ihren beschriebenen Kommunikationsstrukturen: Ein Zusammenhang zwischen beiden bestehe nicht, weil sich die Öffentlichkeitsstrukturen in den drei absolutistischen Staaten des Kontinents sehr stark unterschieden, während es viele Gemeinsamkeiten zwischen den Öffentlichkeitsstrukturen der britischen parlamentarischen Monarchie und denen des absolutistisch regierten Frankreich gebe.

Im Anschluss daran betrachtet Küster das Verhältnis zwischen "Verfassungswirklichkeit" und "Öffentlichkeitsstrukturen". Hier stellt er beiderseitige Beeinflussung fest. So zeige sich zum einen die Wirkung der Verfassungspraxis auf die Öffentlichkeit beispielsweise an der Verarbeitung der Nachricht in Österreich und im Kurfürstentum Hannover, wo die absolutistische Regierung ihr Informationsmonopol dazu nutze, um bestimmte Nachrichten durch unterschiedliche Medien zu verbreiten und so gezielt Teilöffentlichkeiten bilde, zwischen denen es keinen Austausch gebe. Dadurch werde die bestehende absolutistische Gesellschaftsordnung "manifestiert". Zum anderen könne die Öffentlichkeit aber auch die Verfassung "modifizieren": Etwa in Großbritannien und Frankreich, wo durch die staatlich nicht kontrollierbaren Nachrichtenmärkte die Informationsvergabe der Regierung unterlaufen werde; die Untertanen erführen so von der "geheimen" Politik und gewännen Einfluss auf den Staat.

Danach formuliert Küster seine zentrale These neu: "Die Strukturen von Öffentlichkeit stehen in ständiger untrennbarer Interdependenz zum Hierarchieverhältnis von Regierenden und Regierten. Dabei ist die Kommunikation wahrnehmbarer Ausdruck dieses Beziehungsgeflechts" (472).

Küsters flüssig geschriebene Untersuchung ist in den Detailstudien gelungen, sehr ergiebig ist das umfangreiche Kapitel über Großbritannien. Insgesamt wirkt die Gewichtung der Arbeit unausgewogen, stehen doch Theorie und Empirie in keinem rechten Verhältnis: Von den fast 500 Seiten entfallen auf methodisch-theoretische Überlegungen nur die 31 Seiten der Einleitung und die abschließenden 26 Seiten. Bei der Auswertung der Quellen erweisen sich die eingesetzten Untersuchungsbegriffe als zu unscharf und scheinen der Komplexität des Themas nicht immer angemessen zu sein: So fallen Küsters Schlussfolgerungen bisweilen sehr allgemein und wenig hilfreich aus, wie eine der abschließenden Feststellungen, die Antriebskräfte für Kommunikation seien Geld, Macht und menschliches Interesse (473). Der nahezu undifferenzierte Medienbegriff verleitet dazu, die Quellen häufig summarisch zu besprechen und auf Sachverhalte zu überprüfen; dass die unterschiedlichen Medien gerade diese sehr verschieden formten und einsetzten, wird dabei nicht beachtet. [1] Mithilfe von Unterscheidungen, die solche medienspezifischen Perspektiven berücksichtigen (zum Beispiel Gattungskonventionen oder Argumentationsmuster), hätte die Analyse des Materials an Schärfe gewonnen. Bei der Interpretation seiner Quellen läuft Küster bisweilen Gefahr, die Wirkung der Printmedien zu überschätzen; für Großbritannien entwirft er das Bild einer nahezu ständelosen "Informationsgesellschaft", in der jeder alles erfahren könne. Seine Schätzungen über die Leserschaft der Zeitungen scheinen indes sehr hoch gegriffen zu sein. [2]

Auch Küsters zentrale These muss relativiert werden, denn er betrachtet ausschließlich die "Öffentlichkeit" eines militärischen Ereignisses. Dieses betrifft per se das Verhältnis von Regierenden und Regierten und setzt dementsprechend kommunikative Prozesse in Gang. Auf die Verarbeitung derartiger Nachrichten war das frühneuzeitliche Mediensystem ausgerichtet und verfuhr dementsprechend routiniert. Fraglich ist, inwieweit die beschriebenen Kommunikationsstrukturen beispielhaft für den Umgang mit Nachrichten sind und sich übertragen lassen. Denn bei qualitativ anderen Ereignissen - Naturkatastrophen, wie dem Erdbeben von Lissabon in Jahre 1755 - zeigen sich deutlich andere Kommunikationsprozesse, die nicht den hier aufgezeigten Abhängigkeitsverhältnissen entsprechen. Dem Spektrum frühneuzeitlicher "Öffentlichkeitsstrukturen" würde man gerechter, wenn auch andere Ereignisse zum Vergleich einbezogen worden wären. Küsters Arbeit bietet anhand der mit Sorgfalt recherchierten Quellen einen Einblick in die Funktionsweise der frühneuzeitlichen Medien und ihre gesellschaftliche Bedeutung; da die entscheidenden Begriffe, zumal der der "Öffentlichkeit", leider zu weit gefasst sind, muss die Antwort auf seine große Frage auch entsprechend allgemein ausfallen oder in einzelne (Teil-)Antworten zerfallen.


Anmerkungen:

[1] Fabio Crivellari / Kay Kirchmann / Marcus Sandl / Rudolf Schlögl: Einleitung: Die Medialität der Geschichte und die Historizität der Medien, in: dies. (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive (= Historische Kulturwissenschaft; Bd. 4), Konstanz 2004, 9-45, hier 15 f., 19 f.

[2] Johannes Weber: Avisen, Relationen, Gazetten. Der Beginn des europäischen Zeitungswesens (= Bibliotheksgesellschaft Oldenburg; Bd. 20), Oldenburg 1997, 32 f., bes. Anm. 22.

Thomas Weißbrich