Ludwig Wamser (Hg.): Die Welt von Byzanz - Europas östliches Erbe. Glanz, Krisen und Fortleben einer tausendjährigen Kultur, Stuttgart: Theiss 2004, 496 S., 500 Farb-Abb., ISBN 978-3-8062-1849-7, EUR 34,90
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Der Katalog begleitet die Sonderausstellung "Die Welt von Byzanz - Europas östliches Erbe. Glanz, Krisen und Fortleben einer tausendjährigen Kultur", die vom 22. Oktober 2004 bis zum 3. April 2005 in der Archäologischen Staatssammlung München - Museum für Vor- und Frühgeschichte zu sehen ist und - mit gutem Grund - bereits ein beträchtliches Echo in den Medien gefunden hat. Die Organisatoren haben den achthundertsten Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die europäischen Kreuzfahrer 1204 - ein Ereignis, das mittelfristig das Ende des Byzantinischen Reiches eingeleitet hat - als Anknüpfungspunkt gewählt, um die Erinnerung "an die einstige Größe dieses reichen und faszinierenden, aber auch fernen, fremden und unbekannten Reiches als eines Hortes antiker und christlicher Kultur" wach zu halten und "seine Bedeutung für die Genese der gesamteuropäischen Kulturwelt [zu] erhellen" (XIII). Dementsprechend ist vor allem das Vorwort von Ludwig Wamser (XIII-XVI) von dem Bemühen geprägt, Byzanz konstruktiv mit dem Europa-Gedanken in Verbindung zu bringen und auf seine "große [...] historische [...] Bedeutung [...] für die Herausbildung der gesamteuropäischen Kulturwelt" hinzuweisen (XIV) - insbesondere seit der Aufhebung der Teilung Europas. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die Konzeption der Ausstellung - und dies spiegelt sich deutlich in den Beiträgen zum Begleitkatalog - nicht nur Einblicke in die byzantinische Kultur geben möchte, sondern vor allem auch eine "Gesamtdarstellung des byzantinischen Kulturerbes wenigstens konturenhaft" anstrebt (XIV). In konsequenter Weiterführung dieser Überlegungen wirbt Ludwig Wamser abschließend dafür, gerade die aktuell diskutierte Frage eines EU-Beitritts der Türkei stärker zu historisieren und dabei auch die byzantinische 'Vorgeschichte' der Türkei in größerem Maße mit zu berücksichtigen (XVI).
Entsprechend der umfassenden - auch auf die Wirkungsgeschichte hin angelegten - Konzeption der Ausstellung behandeln die beiden einführenden Beiträge neben der Geschichte des Byzantinischen Reiches, die von den Organisatoren auf die Epoche 324-1453 eingegrenzt wird (XIII), auch Aspekte seines Nachlebens. Franz Tinnefeld gibt in Form einer anschaulichen, synoptisch in die Bereiche "Politische Geschichte" und "Kultur- und Kirchengeschichte" gegliederten Zeittafel einen Überblick über die Ereignisgeschichte vom 4. bis zum 15. Jahrhundert (1-20); Karl Christian Felmy erläutert im Anschluss "Das Fortleben der byzantinischen Kultur in den orthodox geprägten Ländern des Ostens" (21), wobei er sich vor allem der Ikonen- und Freskenmalerei sowie der Kirchenbaukunst widmet (21-31).
Der Katalogteil behandelt unter den Überschriften "Kaiser und Reich" (34-69), "Kirche und Liturgie" (70-147), "Bild und Bilderkult" (148-183), "Reliquien und Wallfahrt" (184-211), "Alltag und Luxus" (212-367) sowie "Tod und Jenseits" (368-389) verschiedene Facetten der byzantinischen Kultur. Stets werden in knappen, gut lesbaren Einführungen die wichtigsten Informationen für das Verständnis der Exponate und ihrer Kontexte gegeben - wobei insbesondere die gelungenen Anmerkungen zur Ikonenverehrung hervorzuheben sind (Johannes G. Deckers / Christian Schmidt, 149-151) -, bevor dann die Ausstellungsstücke im Einzelnen präsentiert und erläutert werden. Ein eigenes Kapitel ist dem Thema "Byzanz und Bayern" gewidmet (390-448), das nicht nur die Beziehungen der Byzantiner in das Gebiet des heutigen Bayern illustrieren soll, sondern zugleich auch die Byzanz-Rezeption in Bayern seit der Renaissance behandelt.
Ein Glossar (449-456) und ein ausführliches Literaturverzeichnis (457-474) runden den ausgesprochen gelungenen Katalog ab, der nicht nur durch sein hohes Niveau und die klare Vermittlung der Inhalte, sondern vor allem auch aufgrund der Qualität der Abbildungen besticht. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausstellung und der Katalog mit dazu beitragen, ein größeres Interesse für Byzanz zu wecken und dieses Reich und seine Kultur, die viele weiterhin fremdartig anmutet, stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Ein weiterer wichtiger Schritt müsste dann darin bestehen, der drohenden 'Ausrottung' des Faches Byzantinistik an deutschen Universitäten entschieden entgegenzuwirken.
Mischa Meier