Rezension über:

Bertram Fink: Die Böhmenkircher Bauernrevolte 1580 - 1582/83. Herrschaft und Gemeinde im 'Langen 16. Jahrhundert' (1476 - 1618) (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; 51), Leinfelden-Echterdingen: DRW 2004, XIII + 322 S., 1 Abb., 2 Tab., ISBN 978-3-87181-751-9, EUR 46,00
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Rezension von:
Werner Troßbach
Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Werner Troßbach: Rezension von: Bertram Fink: Die Böhmenkircher Bauernrevolte 1580 - 1582/83. Herrschaft und Gemeinde im 'Langen 16. Jahrhundert' (1476 - 1618), Leinfelden-Echterdingen: DRW 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6971.html


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Bertram Fink: Die Böhmenkircher Bauernrevolte 1580 - 1582/83

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Dass zwischen dem Freiherrn Haug von Rechberg und seinen Untertanen zu Böhmenkirch Ende des 16. Jahrhunderts "Irrungen" bestanden, ist seit längerem bekannt. Der vorliegenden Arbeit, einer noch von Volker Press angeregten Tübinger Dissertation, kommt das Verdienst einer umfassenden Darstellung und tief gehenden Analyse zu. Böhmenkirch, im Osten der Schwäbischen Alb in der Nachbarschaft des Herzogtums Württemberg gelegen, war Teil eines kleinen Territoriums, das die Herren von Rechberg an der Wende zur Neuzeit aufgebaut hatten.

Die "Revolte" umfasste lediglich den Zeitraum zwischen September 1580 und Oktober 1582, der allerdings von einer Vielzahl von Aktivitäten angefüllt war. Die Ereignisse werden vom Autor zu Recht in ein "oberdeutsches Revoltenbündel" eingeordnet, das zwischen 1580 und 1620 von Konflikten zwischen (meist kleinterritorialen) Landesherren und bäuerlichen Untertanen gebildet wurde. Sie wurden in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichen Phasen ausgetragen. Den Hintergrund bildeten "objektive" Entwicklungen wie die Klimaverschlechterung und die Zunahme der Bevölkerungszahlen, aber auch "subjektive" wie die Steigerung von Fron- und Steuerbelastungen.

Hohe Fronbelastungen, die auf den Ausbau einer eigenen Landwirtschaft der Freiherrn zurückzuführen waren, bewogen auch die Bewohner von Böhmenkirch zum Protest, während Steuerforderungen keine nennenswerte Rolle spielten. Der Konflikt kann, wie der Autor überzeugend nachweist, als Gemeinderevolte begriffen werden, und zwar in doppelter Hinsicht. Die Bewahrung der "Freiheiten" der Gemeinde, der lokalen Autonomie, war neben der Abwehr von Fronbelastungen ein Ziel der Bewegung. Zugleich war die Gemeinde die wichtigste Organisationsform des Aufstandes. Obwohl - wie beinahe überall im späten 16. Jahrhundert - erheblich soziale Unterschiede bestanden und die Bauern in den Gemeindegremien überrepräsentiert waren, kam es gegen die Herren von Rechberg zu einer "gruppenübergreifenden Frontstellung" (226), zumal es auch gelang, individuelle Interessen von Angehörigen der Oberschicht in den Widerstand einzubinden.

Der Konflikt wurde als Rechtsstreit vor dem Reichshofrat ausgetragen. Bauerndelegationen hatten zunächst versucht, den vorderösterreichischen Lehenhof in Innsbruck einzuschalten, ehe sie mit einem Empfehlungsschreiben von Erzherzog Ferdinand nach Prag, dem Sitz des Kaiserhofes, geschickt wurden. Zum Zeichen des Protests hatten die Untertanen im September 1580 den Ort verlassen und hielten Gemeindeversammlungen in den Wäldern und der benachbarten Stadt Lauingen ab. Die Untersuchung vor Ort wurde der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd und der Fürstpropstei Ellwangen übertragen, später wurde Württemberg hinzugezogen. Da die Kommissionsverhandlungen keine Lösung brachten, wurde Böhmenkirch am 20. Dezember 1581 vom württembergischen Ausschuss besetzt und alle Männer gefangen genommen. Während die Frauen weiterhin Widerstand leisteten und eine Supplik am Reichskammergericht organisierten, wurde der Mut der Männer in der Gefangenschaft gebrochen, sodass sie Ende März 1582 kapitulierten.

Dass es relativ schnell zu einem gewaltsam bewirkten Ende des Widerstandes kam, hing mit Positionen der Untertanen zusammen, die auch durch Vermittlung nicht integrationsfähig waren. Man ging letztlich so weit, den Freiherrn die Herrschaftsbefugnis abzusprechen und sich als Untertanen des Kaisers zu begreifen. Reichsunmittelbarkeitsvorstellungen lagen zahlreichen Bauernbewegungen zu Grunde, teils im "oberdeutschen Revoltenbündel" (siehe die neuere Untersuchung von Fetzer über das Ritterstift Odenheim), teils noch im 18. Jahrhundert in der Wetterau. Im Böhmenkircher Fall hatten sie eine überraschend exakte Entsprechung in der historischen Realität. Das Gebiet war im Hochmittelalter staufisches Reichsgut, Böhmenkirch selbst war den Freiherrn lediglich verpfändet worden, wenngleich die Pfandeigenschaft über die Jahrhunderte "vergessen" worden war. Hinzu kam, dass Böhmenkirch bereits in der Wüstungsperiode mit dem Marktrecht ausgestattet worden war. In der Diktion der Untertanen war Böhmenkirch damit ein privilegierter Flecken, es wurde ein - freilich ebenfalls "vergessener" - "Freibrief" konstruiert, der den dörflich-landwirtschaftlich strukturierten Ort verfassungsrechtlich aus der Nachbarschaft herausheben sollte.

Leider wird nicht klar, wie sich die Untertanen diese Informationen beschafften, wie überhaupt die Kommunikationsstränge etwas im Dunkel bleiben. Dafür gelingt es dem Verfasser in mustergültiger Weise, die verfassungsgeschichtlichen Strukturen aufzuhellen, auch wenn er dafür den langen Marsch vom späten 16. Jahrhundert ins Hochmittelalter antreten muss. Er zahlt sich aus, da nur auf diese Weise die Freiheitsvorstellungen der Kläger adäquat beurteilt werden können. Die Recherchen zur Siedlungsgeschichte, die die zweite Säule des Buches ausmachen, konzentrieren sich in diesem von einem hohen Wüstungsquotienten gekennzeichneten Gebiet zu Recht auf die spätmittelalterliche Entwicklung. Sie lassen erkennen, woher die gute Ausstattung mit Allmendeland stammte, die der Gemeinde die Prozessführung erleichterte und für das dokumentierte Selbstbewusstsein mitverantwortlich war. Für die Anlage von Kleinstellen zeichneten im Verlauf der Neubesiedlung nach der Wüstungsperiode eher Gemeindeinstitutionen als die Grundherrschaft verantwortlich, wie überhaupt der neuzeitliche Ausbau eher in der Hand der Gemeinde lag. Möglicherweise war dies eine Voraussetzung für das gute Einvernehmen der verschiedenen Schichten in der Revolte des Jahres 1581. Über diese Verbindung hinaus gewinnt die Darstellung als Beitrag zur südwestdeutschen Siedlungsgeschichte "im langen 16. Jahrhundert" (und davor) beträchtlichen Eigenwert, zumal auch über den Böhmenkircher Tellerrand in die Nachbarschaft geblickt wird.

Werner Troßbach