Jesús Escobar: The Plaza Mayor and the Shaping of Baroque Madrid, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XXVI + 347 S., 123 figures, ISBN 978-0-521-81507-9, GBP 65,00
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Für die kunsthistorische Forschung in Bezug auf das Thema "Stadt" gehören Platzanlagen zu den am besten bearbeiteten Gegenständen. Die Traditionen des Faches gehen hier vor allem auf die formalistischen Arbeiten von Albert Erich Brinckmann zurück, stehen aber mit Autoren wie Camillo Sitte, Paul Zucker, Massimo Birindelli und Jan Pieper auch in engem Konnex zur akademischen Disziplin der Architektur. Als von Bebauung frei gehaltene Flächen werden Plätze im städtischen Wachstum und in Veränderungsprozessen stets neu verhandelt; sie sind architektonisch gefasste Räume, die das "Miteinander" in der Stadt in besonders sichtbarer Weise gestalten und symbolisieren. Wenn seit kurzem das Interesse der Kunstgeschichte wieder den Platzanlagen der Neuzeit gilt (Hilary Ballon, Andreas Köstler, Katrin Bek), so verfolgt Jesús Escobar das Ziel, dies durch eine Fallstudie der Plaza Mayor in Madrid zu ergänzen, deren Entstehung als städtische Räumlichkeit "on the part of early modern civic and royal institutions" untersucht wird (4). Dabei geht es ihm darum, mit der Plaza Mayor die Formung Madrids als Hauptstadt der weltweit agierenden spanischen Habsburger zu verfolgen.
Im Unterschied zur bisherigen Forschung verlegt das Buch - eine ausgearbeitete Dissertation an der Princeton University - die Entstehung der Plaza in die Zeit um 1580, circa zwanzig Jahre, nachdem der spanische König Philipp II. Madrid als festen Residenzort erwählt hatte. Damit nimmt Escobar nicht die Begradigung des bestehenden Platzgebildes und die Zerstörung umliegender Häuser (1617 ff.) als Ausgangspunkt, sondern die ersten Initiativen für eine Veränderung der vorgefundenen Situation. Indem er hier nicht nur die Rolle des leitenden Architekten betrachtet, sondern verschiedenste Chargen der Planung und Ausführung, kann der Autor Schriftquellen heranziehen, die das Interesse an einer Platzgestaltung bereits zu einem frühen Zeitpunkt belegen. Die Arbeit ist so vor allem baugeschichtlich, kaum formanalytisch geprägt. Wird der Prozess urbanistischer Umgestaltung einerseits in der Mikrohistorie der Bürokratie von Hof und Stadt sichtbar, zeigt seine Interpretation sowohl regionale Bezüge als auch den Reflex der kolonialen Eroberung. Keineswegs bedeutet die Neuordnung Madrids nach der dorthin verlegten habsburgischen Residenz bei Escobar eine ausschließlich innerstädtische Angelegenheit.
Für die These, die Geschichte der Plaza Mayor beginne nicht erst mit der Schließung des Platzes um 1620, sprechen die Überlegungen und Eingriffe in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die sich schon auf eine zu erreichende Platzgestalt beziehen: Arrabal de Santa Cruz hieß ein Gebiet östlich der mittelalterlichen Stadtmauer, das sich aus dem Einzugsbereich der Pfarrkirche Santa Cruz, deren Hospital und Friedhof sowie einem großen, unbebauten Grundstück zusammensetzte, welches man wegen seiner sumpfartigen Beschaffenheit laguna nannte. Dieser lang gestreckte, unregelmäßige freie Bereich der laguna zerfiel in die Plaza del Arrabal und Plaza de Santa Cruz, an die vier wichtige Straßen anschlossen. Sie stellten den Platz ins Fadenkreuz städtischer Entwicklung: durch die Verbindung zur alten Herrschaftsburg Alcázar, von der aus Philipp II. zeremonielle Routen zu dem im Süden gelegenen Kloster San Jerónimo und späteren Lustschloss Buen Retiro etablierte; durch die Lage an der alten Stadtmauer, die in der städtischen Expansion starken Veränderungen ausgesetzt war; durch die Händlerstruktur vor allem in der Calle Mayor, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Hauptverkehrsstraße Madrids wurde. Zeichnet das erste Kapitel des Buches die Veränderungen der Stadt durch den Hof nach, so präsentiert das Zweite deren Protagonisten: den Corregidor, ein vom König in allen Städten ernannter Gouverneur, der im Ayuntamiento, dem eigentlichen Stadtrat diente; und die Junta de Policía, ein Komitee für öffentliche Arbeiten. In diesem obrigkeitlichen Geflecht entstanden stadtplanerische Überlegungen, die der erste Corregidor, Francisco de Sotomayor, als Memoria de las obras de Madrid 1565 dem König überreichte. Der Abriss der manzana, eines Häuserblocks an der nördlichen Begrenzung des Platzes, zielte auf dessen Regularisierung und Vergrößerung für Festivitäten hin. Darüber hinaus empfahl Sotomayor die Errichtung eines Fleisch- und eines Brotmarktes; letzteres Gebäude rekonstruiert Escobar als monumentalen Solitär, umgeben von weiten Straßen. Durch den Abriss weiterer Häuser wäre ein rechteckiger, regelmäßiger Platz entstanden, wie er 1573 in einer königlichen Empfehlung für die urbane Kolonisierung der 'Neuen Welt' gelten sollte.
Es ist der Vorzug von Escobars Buch zeigen zu können, was 'öffentlicher Raum' in Madrid zu Beginn der Neuzeit bedeutete: die Gestaltung eines städtischen Außen, durch die sich die in der Stadt aufeinander treffenden Interessen miteinander verschränkten. Lag das Ordnen der Räume durch die baulichen Vorschriften beim König und bei der Stadt, so profitierten hier Händler und Bewohner gleichermaßen davon: Die Öffnung der Erdgeschosszone durch Portici erleichterte den Verkauf von Waren, die durchgehende Anbringung von Balkonen an den Fassaden ermöglichte eine rentable Vermietung bei Festivitäten. Modell war die Panadería, das zentrale Gebäude an der späteren Plaza Mayor. Ließ der König hier erstmals ein öffentliches, nichtreligiöses Gebäude in Madrid errichten, schichtete dessen vertikale Gliederung geschickt verschiedene soziale Gruppen übereinander: im Erdgeschoss den Brotverkauf, ein königliches Appartement darüber, die beiden oberen Geschosse für Wohnzwecke. Die Panadería demonstrierte nicht nur die Verantwortung des Königs für die Versorgung der Madrileños und markierte seine Anwesenheit in der expandierenden Stadt, sie macht auch die neue soziale Ordnung als Hauptstadt der spanischen Habsburger deutlich: In einer ansonsten gleichförmigen Fassade weist das Hauptgeschoss mit dem königlichen Appartement über dem zentralen Fenster eine Ädikula mit dem habsburgischen Wappen auf, während die hohen Bogenöffnungen im Erdgeschoss dieselben vorgelegten Halbsäulen wie am Escorial und den durch Philipp II. vorgenommenen Veränderungen am Alcázar zeigen.
Diese Ebene der architektonischen Zeichen, auch im Vergleich weiterer europäischer Bauten, benennt Escobar zwar, er baut sie jedoch nicht zu einer Interpretation aus. Damit ergibt sich eine chronologische Anordnung des Materials, die viele Einzelerkenntnisse zur Veränderung der Straßen am Platz und letztlich dessen Regularisierung durch Wohnhäuser im frühen 17. Jahrhundert liefert. Die Produktion von "Stadt" durch die Institutionen eines frühneuzeitlichen Machtapparates, ihr sozialer Gebrauch im täglichen Leben und im Ritus interessieren vor allem Escobar. So erfährt man in seinem Buch viel über die Planung der Bauten, über Prozessions- und zeremonielle Wege, die zunehmend über die Plaza Mayor führten, über dort stattfindende Stierkämpfe, jedoch ist wenig anschaulich gemacht, was die veränderte Platzanlage für die sinnliche Erfahrung von "Stadt" bedeutete. Das mag begründet sein in einer Forschung, die bisher die Plaza Mayor in ihren einzelnen Phasen nicht gewürdigt hat und sich auf Gómez de Mora als leitenden Architekten des Ausbaues zwischen 1617-1619 beschränkte.
Das Vorgehen des Autors, dem symbolischen Wert der Architektur und der Stadtplanung im Einzelnen wenig Beachtung zu schenken, wird jedoch im letzten Kapitel des Buches problematisch. Dass die von Cortés bewunderte, jedoch zerstörte aztekische Stadtanlage von Tenochtitlan mit ihrem großen zentralen Markt auf die spanischen Conquistadores durch die Übersetzung in ein eigenes Modell von Stadtplanung zurückgewirkt habe, ist eine faszinierende These. Sie wird hier jedoch im Vergleich zu zeitgleichen europäischen Platzanlagen wenig anschaulich, die eigenständige symbolische Leistung einer in der Eroberung gespiegelten 'spanischen' Plaza undeutlich.
Cornelia Jöchner