Christl Karnehm (Bearb.): Die Korrespondenz Hans Fuggers von 1566 bis 1594. Regesten der Kopierbücher aus dem Fuggerarchiv (= Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns. III: Privatkorrespondenzen; Bd. I, II/1, II/2), München: C.H.Beck 2003, 3 Bde., XXXVIII + 128 S. + 549 S., 899 S., 865 S., 30 Abb., ISBN 978-3-7696-9706-3, EUR 72,00
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Hans Fugger (1531-1598) war zweifellos keines der herausragendsten Mitglieder der Familie Fugger, doch fungierte er unter der Leitung seines älteren Bruders Marx lange Jahre hindurch als eine Art "Außenminister" des Augsburger Handelshauses. In dieser Eigenschaft führte er eine Korrespondenz von heute kaum vorstellbarem Umfang, ebenso mit auswärtigen Faktoren und Geschäftspartnern wie mit zahlreichen anderen Persönlichkeiten nahezu aller Gesellschaftsschichten. Ein Teil dieses immensen Briefwechsels wurde eigenhändig verfasst und findet sich heute - soweit erhalten - über diverse Archive verstreut, der größere Teil jedoch wurde einem Schreiber diktiert und abschriftlich in so genannten Kopierbüchern festgehalten. Dieser Bestand von immerhin fast 4.700 Briefen liegt nun in einer sorgfältig erarbeiteten dreibändigen Regestenedition vor, deren leichte Zugänglichkeit durch eine Reihe von beigegebenen Hilfsmitteln gewährleistet wird. Den Anfang bildet eine ausführliche und kenntnisreiche Einführung der Bearbeiterin Christl Karnehm in die Lebensumstände der Familie Fugger und insbesondere Hans Fuggers in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, einer Zeit, die auf Reichsebene vor allem durch die fortschreitende Konfessionalisierung und Territorialisierung geprägt war und für die Fugger speziell den Aufstieg aus der Sphäre des Bürgertums in die des Reichsadels bedeutete, was zu einer charakteristischen Verschmelzung von kaufmännischem Denken und adliger Lebensweise führte.
Das anschließende Adressatenverzeichnis der Briefe ermöglicht den Zugriff auf bestimmte Korrespondenzpartner und vermittelt darüber hinaus einen Eindruck von der Frequenz der einzelnen Briefwechsel. Bedauerlich für den Historiker ist natürlich die Tatsache, dass die Briefe der Gegenseite nicht erhalten sind, doch wird dieser Mangel der Überlieferung zumindest teilweise dadurch ausgeglichen, dass Hans Fugger - den Konventionen seiner Zeit folgend - den eigenen Briefen zumeist ein Résumé der zuvor empfangenen voranstellt.
Ein besonderes Verdienst der Edition liegt schließlich - abgesehen von den ebenfalls vorhandenen Orts- und Personenregistern - in einem ausführlichen Sachregister, mit dessen Hilfe sich Informationen zu den verschiedensten Themen erschließen lassen. Da es sich um eine private Korrespondenz handelt, die aber zugleich auch eminent politische und letztlich sogar kaufmännische Funktionen erfüllte - das internationale Nachrichtennetz der Firma Fugger war von solcher Qualität, dass die Vermittlung aktueller Informationen eine wichtige Dienstleistung und damit ein Handelsgut darstellte, das für viele politisch und wirtschaftlich Handelnde von ungeheurem Wert war -, ist die Palette der behandelten Themen nahezu unerschöpflich. Neben Meldungen und Kommentaren zur Tagespolitik, dem Türkenkrieg im Osten Europas, den französischen Religionskriegen, dem Aufstand in den Niederlanden gegen die spanische Herrschaft oder den Entwicklungen im Reich findet sich natürlich eine Fülle von Informationen, die den europäischen Handel, in dem das Augsburger Handelshaus eine Schlüsselstellung einnahm, und seine Modalitäten betreffen. In diesem Bereich, in dem sich Ereignisgeschichte und Alltaggeschichte auf das Engste vermischen, erfährt der Leser eine große Zahl von Einzelheiten zu den Praktiken des internationalen Handels, zur Finanz- und Wirtschaftsgeschichte, die man an anderer Stelle in dieser Dichte vergebens suchen wird.
Noch weit interessanter sind jedoch die zahllosen Angaben zur Alltags- und Kulturgeschichte, die den eigentlich privaten Anteil der Korrespondenz Hans Fuggers ausmachen und durch das Sachregister in vorbildlicher Weise erschlossen sind. Exemplarisch kann hier etwa das Themenfeld Erziehung und Bildung angeführt werden, zu dem neben Grundbegriffen wie "Kindheit", "Lehrer" und "Erziehung" (mit mehreren Hundert Einträgen) zahlreiche weitere Stichworte vorliegen, die vom Kinderspielzeug bis hin zu der in dieser Zeit als Element adliger Ausbildung immer wichtiger werdenden Reise, der so genannten "Kavalierstour", reichen. Als weitere Beispiele seien die Bereiche Kostümgeschichte, zu der unter den Stichworten "Kleidung", "Haartracht, "Hüte", "Schuhwerk" zahlreiche Einträge vorliegen, und Medizingeschichte (Stichworte unter anderem "Medizin", "Krankheiten", "Kuren") genannt.
Eine zentrale Rolle in der Korrespondenz Hans Fuggers spielt das Haus, die Haushaltung im angemessenen, das heißt großbürgerlichen beziehungsweise adligen Rahmen, wobei ebenso der Kultivierung von Nutz- und Zierpflanzen wie der Haustierhaltung und insbesondere der Raumausstattung große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ein wichtiger Teil der Briefe vor allem an seine italienischen Korrespondenzpartner beschäftigt sich mit der Beschaffung von Luxusgütern, die von handwerklichen Produkten wie den beliebten Ledertapeten bis hin zu eigens in Auftrag gegebenen Gemälden und anderen Kunstwerken reichen. Da die Rolle Hans Fuggers als Kunstkenner und Mäzen in der älteren Forschung im Gegensatz zu seinen sonstigen Interessen zeitweilig stark in den Vordergrund gerückt und überhöht worden ist, ist es ein wesentliches Anliegen der Kunsthistorikerin Karnehm, seine diesbezüglichen Aktivitäten und ihre Grenzen in ein adäquates Licht zu rücken. So betont sie bereits zu Beginn der Einführung (13*), dass Fugger bedeutend mehr Briefe der Jagd und den für sie benötigten Pferden und Hunden widmete als der Kunst. Sie schließt mit einem Exkurs über die Frage "Hans Fugger - ein Mäzen der bildenden Künste?" (79*-112*), in dem sie überzeugend argumentiert, dass die Kunst für ihn - ebenso wie die Jagd - in erster Linie ein Element adliger Repräsentation bedeutete.
Es ist kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass ein Regestenwerk niemals in der Lage sein kann, eine vollständige Edition zu ersetzen. Da ein solches Projekt aber angesichts der Materialfülle weitgehend utopisch erscheint, stellt die vorliegende Arbeit ohne Zweifel den besten aller realisierbaren Zugänge zur Korrespondenz Hans Fuggers dar, der dem Generalisten der Kulturgeschichte eine Vielzahl wichtiger Einblicke in eine noch viel zu wenig erforschte Epoche gewährt und dem Spezialisten darüber hinaus im Bedarfsfall einen leichten Zugriff auf die Originalquellen ermöglicht.
Wolfgang Treue