Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618) (= Historische Semantik; Bd. 6), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 560 S., 208 Abb., ISBN 978-3-525-36705-6, EUR 79,00
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Die Landesherrschaft regierender Reichsfürsten der Frühen Neuzeit hat in ihren Schlossbauten die sichtbarsten Zeugnisse hinterlassen. Die meisten der Residenzschlösser im mitteldeutschen Raum, die Matthias Müller in seiner nun erschienenen Habilitationsschrift untersucht, haben bis heute überdauert. Die Sichtbarkeit der Schlossbauten hat deren adäquate historische Interpretation indes keineswegs beflügelt. Auch heute noch ist die Deutung dieser Bauwerke, insbesondere der in der Architektur enthaltenen Semantik, eine vordringliche Aufgabe der Kunstgeschichte ebenso wie der Geschichtswissenschaft. Müller ist es mit seiner Arbeit gelungen, hier entscheidende Wegmarken für deren weitere Untersuchung zu setzen.
Ausgangspunkt seiner Betrachtung sind zwei landläufige Deutungsmuster der Kunstgeschichte, die Müller auf eindrucksvolle Weise widerlegt. Zum einen wendet er sich gegen die Auffassung, dass mittelalterliche Burgen als militärische Zweckbauten ein nach außen oftmals heterogenes Bild abgaben, während Schlösser in der Frühen Neuzeit von vornherein als geschlossenes Ganzes konzipiert wurden. Zum anderen kann er darlegen, dass ungeachtet der wachsenden Bedeutung der Repräsentation des Schlossbaus vormals militärisch notwendige Architekturelemente wie der Burgturm auch danach keineswegs, wie vielmals postuliert, ihre Bedeutung einbüßten und zunehmend als Störfaktoren wahrgenommen wurden.
Bereits Ulrich Schütte konnte darlegen, dass Befestigungselemente im Schlossbau des Alten Reiches bis weit ins 17. Jahrhundert fortbestanden, obwohl die Bedeutung als Wehrfestung zunehmend dem Ziel der Repräsentation gewichen war. Dennoch war die Symbolisierung der Wehrhaftigkeit und Stärke weiterhin ein wichtiges Element des frühneuzeitlichen Schlossbaus, war die mittelalterliche Funktion der Burg auch in der frühneuzeitlichen Metaphorik des Schlosses präsent. [1] An diese Überlegungen Schüttes knüpft Müller an, weitet sie aber ins Grundsätzliche aus, indem er das Schloss nicht nur als Mittel zur Visualisierung der "Fortitudo" betrachtet, sondern die Gesamtheit der darzustellenden Tugenden des Herrschers in den Blick nimmt.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die landesherrlichen Residenzschlösser der Wettiner: die Albrechtsburg in Meißen, das Schloss Hartenfels in Torgau, das den Ernestinern als kurfürstliche Residenz diente, das Dresdner Stadtschloss, das nach der Übertragung der sächsischen Kurwürde auf Moritz von Sachsen den neuen Status der Albertiner zum Ausdruck bringen sollte, und schließlich das ebenfalls von den Albertinern errichtete Schloss Augustusburg bei Chemnitz. Der Schwerpunkt auf den sächsischen Residenzbauten ist keineswegs zufällig gewählt. Mit dem seit 1471 errichteten Neubau der Albrechtsburg entstand erstmalig ein Schlossbau im Alten Reich, der die Idee des "guten Regiments" mit den symbolischen Mitteln der Schlossarchitektur darstellen sollte. Zugleich schufen die Wettiner damit den Prototyp eines Residenzschlosses, das in seiner Gestalt das Vorbild französischer Hofbaukunst in die eigene Bautradition integrierte und sich zusammen mit den sächsischen Nachfolgebauten bis weit ins 16. Jahrhundert hinein zahlreichen Fürsten insbesondere im Norden des Alten Reiches zur Nachahmung empfahl. Die potenziellen französischen Vorbilder werden von Müller ebenso berücksichtigt, wie er auch die Rezeption des sächsischen Residenzentypus im Alten Reich und dessen Adaption in weiteren Schlossbauten in Brandenburg, Anhalt, Hessen und Mecklenburg nachverfolgt.
Müller konzentriert sich in seiner Untersuchung auf diejenigen Bauteile der Schlossarchitektur, die in besonderer Weise mit zeichenhafter Symbolik aufgeladen waren und das Schloss insgesamt als Bedeutungsträger auszeichneten: Dies waren vor allem die diversen ans Schloss angegliederten Turmbauten, sei es als Treppenturm, sei es als Ort mit besonderer Nutzanwendung, zum Beispiel als fürstliche Studierstube oder als Archiv, ferner das Schlosstor, die Hofkapelle sowie das "fürstliche Haus", das heißt der Kern der herrschaftlichen Räume. Die reinen Zweckbauten der Schlossanlagen waren für die Themenstellung weniger maßgeblich und blieben daher unberücksichtigt.
Gerade am Schlossturm beziehungsweise den Schlosstürmen der vorgestellten Residenzbauten vermag Müller das alles dominierende Prinzip fürstlicher Bautätigkeit offen zu legen. Aller militärischen Nutzlosigkeit zum Trotz war man im Schlossbau der Frühen Neuzeit bis in die Barockzeit nicht bereit, auf exponierte Schlosstürme zu verzichten. So bemühte man sich, ältere Turmbauten sichtbar auszuzeichnen und in das Schloss zu integrieren. Handelte es sich um vollständige Neubauten wie bei der Albrechtsburg in Meißen, so war gleichwohl der Schlossturm ein stets besonders herausgehobenes Bauelement, das entweder an Vorgängerbauten erinnern oder eine solche Tradition zumindest imaginieren sollte. Ideal war daher nicht das symmetrische und regelmäßige auf dem Reißbrett entworfene Schloss, sondern eine Strategie des konservierenden Schlossbaus. Das historische Gewordensein der Residenz durch Anbauten vieler Generationen eines Fürstengeschlechts symbolisierte am besten die Vorstellung einer alten, traditionsreichen Dynastie. Am Beispiel des Schlosses Herzog Ulrichs III. von Mecklenburg in Güstrow kann Müller zeigen, wie selbst ein Neubau aufgrund der Vielzahl profilierter Einzelbauten den Eindruck eines Schlosses zu erwecken vermochte, das über Jahrhunderte gewachsen war.
Die symbolisch ausgezeichneten Bauelemente Turm, Schlosstor, Kapelle und fürstliches Haus dienten dazu, das fürstliche Regiment und die hierfür notwendigen Herrschertugenden zu visualisieren: die Justitia des Herrschers, seine Sapientia und Fortitudo. Ein zweites wichtiges Symbolelement kam mit dem Beginn der Reformation hinzu: Sowohl in den Hofkapellen als auch an zahlreichen anderen Elementen des Schlosses fand die protestantische Lehre und die damit einhergehende Auffassung vom "guten Regiment" des Landesherrn Eingang in die Bausymbolik der Residenzschlösser. Und schließlich hatte die Residenz die Erinnerung an die regierende Dynastie und ihre Vorfahren wachzuhalten. Hierfür waren die Grablegen in den Hofkapellen von ebenso herausgehobener Bedeutung wie die Ahnengalerie und die Pflege der baulichen Tradition insgesamt.
Eine besondere Stärke von Müllers Untersuchung ist die Vielzahl der von ihm herangezogenen Quellen und deren überzeugende Interpretation. Neben der Beschreibung der untersuchten Baukörper werden Hofordnungen, Fürstenspiegel, Rechtsurkunden, Inventare sowie unterschiedlichste Bildquellen herangezogen, die allegorische Abbildungen von Schlossbauten enthalten. Zu Fragen des Hofzeremoniells und der damit verknüpften Raumfolge der Herrschaftsräume hätte man sich etwas mehr Information wünschen können. Hier greift Müller meist auf die gleichfalls mustergültige Untersuchung Stephan Hoppes zurück. [2] Auch die Bedeutung der Genealogie sowie deren Visualisierung in den Schlossbauten wird nur erwähnt, nicht aber erschöpfend interpretiert. Hier finden sich in der Untersuchung von Vinzenz Czech über das Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen wichtige Überlegungen. [3]
Diese Hinweise zielen nicht darauf ab, die Verdienste der Untersuchung Müllers zu schmälern. Sie sollen nur verdeutlichen, dass sich die Forschungslage zur Residenzenlandschaft im Alten Reich und insbesondere im sächsisch-thüringischen Raum in den letzten Jahren erfreulich verbessert hat, wovon auch die Hof-Forschung insgesamt nicht wenig profitiert. Zu diesem Erkenntnisfortschritt trägt die Arbeit von Matthias Müller nicht unerheblich bei. Ihr seien daher viele Leser gewünscht.
Anmerkungen:
[1] Ulrich Schütte: Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit im alten Reich, Darmstadt 1994, zusammenfassend hierzu 292-300.
[2] Stephan Hoppe: Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland. Untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470-1570, Köln 1996.
[3] Vinzenz Czech: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit (= Schriften zur Residenzkultur; Bd. 2), Berlin 2003, 117-125.
Andreas Pečar