Rainer Haaff: Louis-Philippe Möbel. Furniture. Bürgerliche Möbel des Historismus. Middle-class Furniture of the Historicism, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2004, 226 S., 584 Abb., ISBN 978-3-89790-207-7, EUR 64,80
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Ein Prachtband. Er heißt "Louis-Philippe Möbel", trägt den Untertitel "Bürgerliche Möbel des Historismus", und, da er zweisprachig herausgegeben wurde, den englischen Untertitel "Middle-class Furniture of the Historicism". Der englische Untertitel trifft am besten die Schicht des Bürgertums, die sich all die schönen Einrichtungsgegenstände, die in der guten alten Zeit zwischen Biedermeier und Gründerzeit in den Vestibülen, Salons, Wohn-, Ess- Schlaf- und Ankleidezimmern des Bürgertums herumstanden, leisten konnte und wollte. Das Buch ist gegliedert in einen allgemeinen Teil, die Einführung in das Thema, einen Katalog mit einem vergleichenden Teil, beide reich mit farbigen Fotografien ausgestattet, und einem bewertenden Teil, der in vielen Schwarz-Weiß-Fotografien Möbelstücke aus der Zeit des Louis-Philippe Stils abbildet.
Der erste Teil des Buches, die Einleitung, belegt die profunde Kenntnis Rainer Haafs nicht nur der Wohnkultur und der Möbelstile des 18. und 19. Jahrhunderts, sondern weist ihn als Kunsthistoriker aus, der sich wie kaum ein Zweiter auskennt mit dem, was nach Henry van de Velde zu des Menschen Behausung gehört. Er stellt neue Möbeltypen des Louis-Philippe vom Rundsofa bis zum Vertiko vor.
Er erläutert und bewertet die verwendeten Materialien, klärt die Stilbezeichnungen mit Vergleichen und Abgrenzungen zu Stilen vorher, gleichzeitig und nachher, zum Biedermeier, zum Zweiten Rokoko und zur Gründerzeit. An den vorgestellten Beispielen wird deutlich, wie die Reduktion von Form und Material eine Verbürgerlichung des Louis-Philippe bewirkt, formbewegt und geschweift, mit gerundeten und geschwungenen Formen. Er grenzt dies gegen das Vorher, das kubenhaft und flächige, klarlinige Biedermeier, streng und schlicht in Form und Ausschmückung, gegen das Gleichzeitig, die reichbeschlagenen Möbel des Zweiten Rokoko mit seinen gerundeten Konturen, seinen Schweifungen mit Kurve und Gegenkurve ebenso ab wie gegen das Nachher, den strengen, schweren Gründerzeitstil, der gern auf Details von Barock und Renaissance zurückgreift in massiver Verarbeitung von Eiche und Nussbaum.
In der Abgrenzung und Gegenüberstellung der Möbel im Katalog zu Biedermeier und zur Gründerzeit werden Stilmerkmale des Louis-Philippe sichtbar. Auch zeigt Rainer Haaf an vergleichenden Fotos die Unterschiede zu den Möbeln, die man allgemein als Zweites Rokoko bezeichnet. Diese stilgetreu hergestellten Möbel waren für die Villen des Großbürgertums und die Schlösser des Adels gemacht. Weder diese höfischen Stilmöbel noch die technisch komplizierten, aus kostbarsten Materialien hergestellten Möbel werden hier besprochen.
Ein Prachtband. Da er über den Antiquitätenhandel, die Restauratoren und Sammler hinaus auch andere interessierte Gruppen anspricht, so ist klar, ein solches Buch erscheint nicht nur in Deutsch, sondern braucht die lingua franca Englisch, um erweiterte Kreise in Europa und Amerika anzusprechen. Ein Katalog liegt vor, der Preisentwicklung und Marktsituation in Zusammenarbeit mit elf Antiquitätenhändlern aus ganz Deutschland beschreibt.
Einiges kann nicht befriedigen: Beispielsweise fehlen bei den vorgestellten Möbeln durchweg die Maßangaben. Bei einem Stuhl oder einer Wanduhr sind diese sicher nicht so wichtig. Bei einem Schrank, der im allgemeinen Katalog nur als Foto zu sehen ist, interessieren sie schon. Sicher kennen sich Autor und Antiquitätenhändler sehr gut aus, aber der interessierte Laie, vor allem aber der Wissenschaftler wünscht sich manchmal mehr als die Angabe "Schrank, Birke furniert, um 1860/70".
Dennoch, ein Prachtband, ein Katalog zum interessierten Blättern, der erstmals die Möbelwelt des Louis-Philippe umfassend vorstellt, sorgfältig einordnet und stilistisch abgrenzt. Es ist ein Katalog, der Erhaltenes auch von Marktpreisen her bewertet, ein umfassendes Handbuch für Sammler und Antiquitätenhändler zum täglichen Gebrauch. Einen derart guten Katalog gab es zum Louis-Philippe bisher in dieser Fülle und Qualität noch nicht.
Werner Schmidt