Harro Höpfl: Jesuit Political Thought. The Society of Jesus and the State, c.1540-1630 (= Ideas in Context; No. 70), Cambridge: Cambridge University Press 2004, XII + 406 S., ISBN 978-0-521-83779-8, GBP 55,00
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Neben Hexen, Juden und Freimaurern waren die Jesuiten Europas liebste Verschwörer, die sich ständig als von Rom zentral gelenkte Intriganten ins politische Geschäft gemischt haben sollen, nicht zuletzt als Fürstenbeichtväter des konfessionellen Zeitalters. Ihre Herleitung der Monarchie vom Volk und ihre Lehre vom Tyrannenmord haben es seinerzeit dem konservativen Protestanten Leopold von Ranke ermöglicht, ihnen den Ludergeruch der Revolution anzuhängen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Revolution chic, und die Jesuiten avancierten bei anglophonen Autoren zu Proto-Demokraten.
Inzwischen fehlt es nicht an empirischen Studien von Jesuiten wie Robert Bireley und Nicht-Jesuiten wie Lynn Martin, die zeigen, dass sie in Frankreich und Deutschland eher von ihren fürstlichen Patronen abhängig waren als umgekehrt und dass von zentraler Steuerung nicht die Rede sein kann; selbst mit Anläufen dazu tat sich der General in Rom ausgesprochen schwer. An einer Gesamtdarstellung ihrer politischen Ideen hat es aber bisher gefehlt.
Diese Lücke schließt das Buch von Höpfl höchst erfolgreich. In seiner überaus gründlichen Studie kann er zeigen, dass ihr politisches Denken sich erstens im zeitüblichen Rahmen bewegte und dabei zweitens alles andere als einheitlich war. Dennoch weist es bestimmte Gemeinsamkeiten auf, die allerdings nicht besonders originell waren. Um sie zu denunzieren, mussten ihre Gegner daher auf anstoßerregende Details und zusätzliche Unterstellungen, wenn nicht auf schlichte Unwahrheiten zurückgreifen.
Eine streng hierarchische Ekklesiologie war der Angelpunkt ihres Denkens, die Vorstellung von der Kirche als real existierender "Societas perfecta", gegründet auf der Monarchie des Papstes und unbedingten Gehorsam, der aus der christlichen Demut abgeleitet wurde. Die spirituellen Anliegen dieser Kirche haben sie vertreten und sich insofern nach ihrem eigenen Verständnis nicht in weltliche politische Angelegenheiten eingemischt, was ihnen ja ausdrücklich verboten war. Aber es gab Überschneidungen, aus denen sich indirekte Einflussnahmen ergeben mussten.
Die zentrale Rolle spielte dabei das Grundproblem des Zeitalters, die Häresie, für die Jesuiten eine unter Missachtung der Gehorsamsordnung auf menschlichen Stolz gegründete Anti-Ekklesiologie. An der Pflicht der rechtgläubigen Fürsten, die Häresie zu unterdrücken, bestand kein Zweifel. Mangels zwingender theologischer Argumente bewiesen sie das aber gerne mit Gründen der Staatsräson. Obwohl sie deren "machiavellistische" Variante natürlich ablehnten, ergaben sich aus der politischen Tugend der Klugheit (Prudentia politica) genügend praktische Möglichkeiten, die nicht weit von ersterer entfernt waren. Doch auch dies war keine jesuitische Besonderheit. Vor allem wurde der "empirische" Nachweis geführt, dass eine gemeinsame Religion die beste Grundlage des politischen Gemeinwesens sei, die häretische sich zu diesem Zweck aber nicht eigne, sondern destruktiv wirke.
Toleranz kam unter diesen Umständen nicht infrage, konnte allerdings unter Umständen als geringeres Übel akzeptiert werden. Bürgerkrieg war nicht Pflicht. Und im Gegensatz zu einem gegen sie erhobenen Standardvorwurf galten den Jesuiten auch Verträge mit Häretikern als heilig, ebenso deren bürgerliche Rechte. Verträge konnten zwar aufgehoben und Häretiker ihrer Rechte beraubt werden, aber beides bedurfte der korrekten und transparenten Rechtsform. Freilich wies die politische Klugheit bisweilen Hintertürchen. Wenn zum Beispiel der Augsburger Religionsfrieden ein Vertrag war, wie es die Protestanten wollten, und kein Reichsgesetz, dann brauchten nicht beteiligte Parteien wie die katholischen Bischöfe sich nicht daran gebunden fühlen.
Für Fürsten wie Private galt die Vertrauens- und Wahrheitspflicht, eindeutige Lügen und Vertrauensbrüche waren verboten. Freilich sollte sich niemand bei Befragung durch Verfolger wie in England durch rückhaltlose Wahrheitsliebe zum Martyrium drängen und kein Fürst durch zu viel Offenheit seinem Gemeinwesen schaden. Ein gewisses Maß an "Dissimulatio" war zulässig, wobei manche Autoren allerdings ziemlich weit gingen. Aber solche Zugeständnisse waren keine Eigentümlichkeit der Jesuiten und wurden keineswegs von allen Autoren des Ordens vertreten.
Die fürstliche Gewalt ("Potestas") wurde aus der Schrift einerseits, der natürlichen Ordnung der Welt andererseits abgeleitet. Die Monarchie galt zwar selbstverständlich als die beste Form des Gemeinwesens, wurde aber nicht direkt von Gott, sondern vom Volk hergeleitet, häufig durch Herrschaftsvertrag. Doch das war eine philosophische Legitimationskonstruktion und keine Schilderung historischer Vorgänge. Demgemäß spielte der Naturzustand in der Theorie der Jesuiten kaum eine Rolle und die natürliche Freiheit des Menschen schränkte die natürliche Unterordnung nicht ein, sondern besagte nur, dass keiner von Natur Sklave eines anderen sei.
Demgemäß hielten sich nicht nur Überlegungen zur ständischen Beschränkung absoluter Monarchie in Grenzen. Auch die Rechte des Individuums spielten keine große Rolle. Das unbestrittene Recht auf Selbstverteidigung brauchte der staatlichen Zwangsgewalt nicht zu widersprechen. Privateigentum war kein Naturrecht; die Vorstellung von der Gemeinschaftsbindung des Besitzes war immer noch selbstverständlich, daher auch das Recht des Fürsten zur Besteuerung.
Die politische Theorie der Jesuiten war im Grunde so fürstenfreundlich, dass die Begrenzung der absoluten Monarchie durch die Legitimität des Tyrannenmords in extremen Fällen und durch die päpstliche "Potestas indirecta in temporalibus", die Befugnis, aus geistlichen Gründen Fürsten zu exkommunizieren und abzusetzen, bei sich bietender Gelegenheit von ihren Gegnern künstlich hochgespielt werden musste. Das belegen die beiden letzten Kapitel, in denen die umstrittenen Lehren zunächst sorgfältig dargestellt werden. Vor allem in Sachen Tyrannenmord waren sich die Jesuiten nämlich gar nicht einig. Es wird aber auch deutlich, dass die Vorstellung von einer indirekten päpstlichen Oberhoheit von der politischen Wirklichkeit längst überholt war. Demgemäß folgten die Jesuiten des 17. Jahrhunderts ihrer "Prudentia" und schwiegen von diesen kritischen Gegenständen. Ihre Gegner freilich folgten ihnen dabei nicht.
In diesem Kontext bekommt Höpfl es mehr als sonst mit Ereignissen und Strukturen des Zeitalters zu tun, nimmt aber die einschlägige Forschungsliteratur kaum zur Kenntnis. Sein Buch beruht auch hier auf der gründlichen Aufarbeitung einer Flut gedruckter Schriften der Jesuiten. Diese Leistung und die lesbare Darbietung des spröden, bisweilen sogar langweiligen Stoffes nötigen dem Leser größte Hochachtung ab. Seine Abstammung gestattet es dem Verfasser auch, deutsche Quellen und Literatur mit Gewinn einzuarbeiten, was ja bei Anglophonen, die nicht Spezialisten für deutsche Geschichte sind, längst zur Ausnahme geworden ist.
Man könnte zwar zur weiteren Erhellung des Kontextes mit Gewinn auf Archivalien zurückgreifen, doch angesichts der Leistung des Verfassers wäre das eine anmaßende Forderung. Nur bei der Behandlung von Recht und Gesetz erstaunt, dass bloß auszugsweise auf die grundlegende Rechtssystematik des Suarez Bezug genommen wird. Weiter würde hier die neuerdings von Vincenzo Lavenia erforschte Diskussion über die Verbindlichkeit weltlicher Gesetze im Gewissen Berücksichtigung verdienen. [1] Auf welcher Seite finden wir in diesen Auseinandersetzungen Jesuiten? Außerdem konnte ich 1503-1667 keinen Cardinal Bozius (348) identifizieren, der bezeichnenderweise auch nicht in dem sonst äußerst brauchbaren Register erscheint.
Anmerkung:
[1] Vincenzo Lavenia: L'infamia e il perdono, Bologna 2004.
Wolfgang Reinhard