Dieter Baldauf: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 235 S., 24 Abb., ISBN 978-3-412-14604-7, EUR 24,90
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Die Folter ist bereits des Öfteren als Teil des mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Strafverfahrens von der rechtshistorischen Forschung aufgegriffen und in den Kontext der Geschichte des Strafverfahrens integriert worden. So hat z. B. noch vor kurzem Alexander Ignor eine Arbeit zur neueren Geschichte des Strafprozesses seit der "Carolina" vorgelegt [1] und dabei auch neue Erkenntnisse über die Folter gewinnen können. Und Mathias Schmoeckel [2] hat sich in seiner 2000 erschienenen Habilitationsschrift mit der Abschaffung der Folter in der Frühen Neuzeit beschäftigt. Trotz dieser Vorarbeiten besteht nach wie vor Bedarf an einer dezidierten Untersuchung der Folter, auch unter Einbeziehung der neueren Erkenntnisse in der Rechtsgeschichte. Nimmt man die historische Kriminalitätsforschung hinzu, die in der Geschichtswissenschaft gerade eine Blütezeit durchläuft, dann könnte man weitere Fragen an das Thema stellen, z. B. nach der sozialen Herkunft der Delinquenten, den Auswirkungen der Folter auf die mittelalterliche oder frühneuzeitliche Gesellschaft oder die Praxis des Strafverfahrens. Angesichts dieser Perspektiven ist es verdienstvoll, dass sich der ehemalige Regensburger Rechtsdezernent Dieter Baldauf die anspruchsvolle Aufgabe gestellt hat, "eine deutsche Rechtsgeschichte der Folter" zu schreiben.
Jedoch wird der Leser rasch enttäuscht. Baldauf gelingt es nur selten an die neuere rechtshistorische Forschung anzuknüpfen; von den Methoden der historischen Kriminalitätsforschung profitiert er überhaupt nicht. Die oben angesprochenen Fragen werden von Baldauf meist nicht thematisiert und - wenn überhaupt - nur am Rande erörtert. Die Leistung von Baldauf beschränkt sich vielmehr in weiten Teilen auf die Darstellung von Folterbeispielen, die allerdings nur unzureichend in den historischen und sozialhistorischen Kontext eingeordnet werden. Zwar ist der Autor nach eigenen Angaben um "wissenschaftliche Korrektheit" (15) bemüht, diesem Anspruch wird das Buch aber nicht gerecht.
Ohne dezidierte Aussagen über den mittelalterlichen Strafprozess wird der Leser zunächst mit einer Ansammlung von Fallbeispielen aus der mittelalterlichen Regensburger Folterpraxis konfrontiert (17-42). Anschließend gibt Baldauf einen Abriss der Entwicklungsgeschichte der Folter im mittelalterlichen deutschen Recht (43-69), insbesondere wird danach gefragt, wie sich die Folter als Instrument des Beweisverfahrens durchsetzen konnte (71-81). Dieser Abschnitt überzeugt aber in methodischer Hinsicht nicht. Der Verfasser meidet die direkte Auseinandersetzung mit den mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Quellen und gründet seine Darstellung vielmehr auf Untersuchungen des 19. Jahrhunderts. Das gilt vor allem für die Ausführungen zur Folter im mittelalterlichen Regensburg, die Baldauf allein auf der Grundlage einer von Carl Theodor Gemeiner von 1800 bis 1824 erschienenen vierbändigen Chronik bestreitet. Auch wenn sich z. B. in Regensburg nur noch wenige Originalquellen finden ließen, läge die Untersuchung anderer Gerichtsbezirke nahe; zumindest aber wäre eine überlieferte Chronik aus dem 19. Jahrhundert mit der notwendigen kritischen Distanz - die der Leser häufig vermisst - zu analysieren.
Es liegt auf der Hand, dass eine Untersuchung über die Folter nicht an den entsprechenden Bestimmungen zur so genannten "peinlichen Befragung" in der "Constitutio Criminalis Carolina" Kaiser Karls V. von 1532 vorbeikommt (83-106); die weitere Entwicklung der Folter in der Gesetzgebung der Frühen Neuzeit einschließlich ihrer praktischen Auswirkungen bleibt allerdings vage (107-135). Nahezu wahllos greift der Autor praktische Beispiele für einen "politischen" und für einen "normalen" Strafprozess heraus, ohne dass der exemplarische Charakter oder gar die Kriterien deutlich würden, wonach der Autor diese Fälle ausgesucht hat. Nur zu deutlich zeigen sich an dieser Stelle die Defizite einer fehlenden übergeordneten Fragestellung und eines gefestigten Methodenverständnisses der Rechtsgeschichte.
Natürlich darf in der Geschichte der Folter deren "inhaltliche Rolle" in den "großen Hexenverfolgungen" des 16. und 17. Jahrhunderts nicht fehlen (135-162), die der Autor aus der Fülle der neueren Literatur bestreiten könnte; er stützt sich jedoch meist auf die Forschungen von Wolfgang Behringer. Ungereimtheiten fallen auch in den folgenden Abschnitten auf: Nach einer Darstellung der "Foltergrade und Folterinstrumente" (163-178) folgt eine Skizzierung der Abschaffung der Folter seit dem 18. Jahrhundert (179-215). Die Rolle von Christian Thomasius als "Vater der Aufklärung" wird für die Abschaffung der Folter unkritisch übernommen (191). Baldauf stellt sich hier in die Tradition des Erkenntnisstandes der 50er- und 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, ohne die kritische Diskussion um die Rolle von Christian Thomasius in dieser Frage näher zu berücksichtigen.
Insgesamt liefert das Buch zum Thema Folter keine neuen oder weiterführenden Erkenntnisse. Baldauf trägt eher anerkanntes Wissen zusammen, bereitet es für den interessierten Laien auf und schmückt es mit zahlreichen eigenen, meist überflüssigen Wertungen und Anachronismen. Wer sich dem Thema Folter im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit mit einer sauberen historischen und rechtshistorischen Methode nähern will, der darf z. B. nicht die Menschenrechtsverletzungen in der heutigen Zeit leichtfertig in diese Tradition stellen (217 ff.) oder sich gar zu einer Schlussbemerkung hinreißen lassen, in der gegen den Beitritt der Türkei in den "Zusammenschluss von Rechts- und Kulturstaaten" der EU votiert wird (220).
Die genauen Darstellungen der Folterinstrumente durch zahlreiche Abbildungen und die Schilderungen von Fallbeispielen mögen den Interessierten in seinem Bild der Folter bestätigen; den Wissenschaftler können sie kaum zufrieden stellen. Baldauf legt überwiegend eine deskriptive Darstellung der Folter vor, ohne aktuelle Probleme der Forschung aufzugreifen oder übergeordnete Fragestellungen zu verfolgen. Nicht zuletzt deshalb gehört die Arbeit eher in die Geschichtskunde als in die Geschichtswissenschaft - oder wie es Dietmar Willoweit blumig formuliert hat: "Baldauf betreibt Volksaufklärung im besten Sinne".
Anmerkungen:
[1] Alexander Ignor: Geschichte des Strafprozesses im Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn 2002.
[2] Mathias Schmoeckel: Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozesses und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln / Weimar / Wien 2000.
Louis Pahlow