Oliver Reinhard / Matthias Neutzner / Wolfgang Hesse: Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Dresden: Edition Sächsische Zeitung 2005, 368 S., 300 Abb., ISBN 978-3-938325-05-6, EUR 22,90
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Im Frühjahr 2005 wurde "Deutschland mit Dresden bombardiert". [1] Wochenlang dominierte der sechzigste Jahrestag der Luftangriffe vom 13./14. Februar 1945 den öffentlichen Vergangenheitsdiskurs. Von der geschichtspolitischen Provokation durch die extreme Rechte bis zum neuen feuilletonistischen Konsens, wonach die Bombardierungen angemessen als "Kriegsverbrechen" zu charakterisieren seien; von einer Flut an empathischer Vergegenwärtigung in den Medien bis zur ausführlichen Berichterstattung über die Gedenkrituale vor Ort - Dresden und der Bombenkrieg, wohin man auch blickte. Lustvoll nahm eine vor den Problemen der Gegenwart in Agonie erstarrte Gesellschaft Zuflucht in die Schreckensbilder des 'Untergangs'. [2]
In diachroner Perspektive fiel dabei auf, wie sehr das Paradigma der Erinnerung das der historischen Aufarbeitung verdrängt hatte. Waren in den 1990er-Jahren aus Anlass der Wiederkehr alliierter Städtebombardierungen vielerorts aufwändige historische Ausstellungen präsentiert worden, kreiste zehn Jahre später die öffentliche Diskussion um Fragen nach der Politik und Praxis des Gedenkens.
Der Sammelband, "Das rote Leuchten - Dresden und der Bombenkrieg", verrät etwas von den Spannungen, innerhalb derer sich lokale Erinnerungsarbeit vollzieht. Im Schnittpunkt von Erinnerung und Historiografie angesiedelt gibt das Buch aber nicht nur Aufschluss über Vergangenheitsdiskurse vor Ort, sondern leistet auch einen eigenständigen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung.
In einem gemeinsamen Vorwort umreißen die Herausgeber Oliver Reinhard, Matthias Neutzner und Wolfgang Heese die Motive des Bandes. Nachdrücklich wenden sie sich gegen den geschichtspolitischen Missbrauch der "Chiffre Dresden" für nationale Apologetik. Gleichermaßen verurteilen sie aber auch eine Trivialisierung von Leiderfahrungen, die den Dresdnern "das Recht auf Trauer" abspricht. Ziel des Buches ist es, einen historiograpfisch fundierten Rahmen der Erinnerung zu schaffen, der sich an den Leitbegriffen von "Frieden" und "Menschenwürde" orientiert. Eingelöst werden soll dieser Anspruch durch einen multiperspektivischen Zugriff, der die "Realitätsbezüge und Wahrheitsansprüche ganz unterschiedlicher Überlieferungsweisen und Verarbeitungsformen nebeneinander [stellt] und in kritischer Abwägung ernst [nimmt]" (7).
Der Band gliedert sich in drei große Abschnitte: einen Darstellungsteil, der "Vorgeschichte, Katastrophe, Folgen" untersucht, eine Dokumentation der Bildnarrative zum 13./14. Februar 1945, die mit "Bild-Geschichte(n)" überschrieben ist und schließlich eine Sammlung privater Aufzeichnungen aus dem Jahr 1945.
Im ersten Teil schildern die beiden Journalisten Oliver Reinhard und Sven Felix Kellerhoff die Entwicklung des Luftkrieges von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges als Geschichte einer kumulativen Entgrenzung von Gewalt. Die Verfasser referieren anschaulich und sachkundig die Ergebnisse der einschlägigen Forschungsliteratur und unterziehen die Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg einer differenzierten Beurteilung - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die beiden folgenden Beiträge ziehen einen engeren Kreis und widmen sich der Stadt Dresden, wobei Götz Bergander untersucht, welche Bedeutung der Elbmetropole in den Luftkriegsplanungen der Alliierten zukam, während Oliver Reinhard die städtische Gesellschaft im Krieg in den Blick nimmt.
Bergander fragt nicht, warum die Stadt noch im Frühjahr 1945 zum Ziel eines Flächenbombardements wurde, sondern im Gegenteil, warum sie so lange verschont blieb, "während alles ringsum in Trümmer sank" (47). Zwar fand sich Dresden im Herbst 1941 auf einer 43 Städte umfassenden Zielliste der RAF, die Eskalation des Luftkrieges 1942/43 ging jedoch zunächst an der Elbmetropole vorüber. Erst im Vorfeld der Konferenz von Jalta Ende Januar 1945 trat ein grundlegender Wandel ein: mit Weisung vom 27. Januar stieg Dresden neben Berlin, Leipzig und Chemnitz zu einem Hauptziel für einen "severe blitz", einen Flächenangriff, auf. Bergander zieht den Schluss, dass Dresden "zwar auch ein militärisches, aber vor allem ein politisches Ziel" gewesen sei, durch dessen Zerstörung nicht nur die sowjetische Oderoffensive unterstützt, sondern gleichzeitig "der schwierige Kampfgefährte" Sowjetunion beeindruckt werden sollte (57).
Der Aufsatz ist empirisch dicht belegt und bereichert den Kenntnisstand über die operative Vorgeschichte der Zerstörung, wie der Verfasser sie bereits in dem Standardwerk "Dresden im Luftkrieg" dargestellt hat. [3] Damit kann der Beitrag als Replik auf die These von Frederick Taylor gelesen werden, wonach die Stadt im Frühjahr 1945 vor allem aufgrund ihrer militärischen Bedeutung bombardiert worden sei. [4]
Liefert Bergander eine diskussionswürdige Neuinterpretation einer alten Kontroverse, so ergibt sich der Wert des Sammelbandes für die wissenschaftliche Forschung vor allem aus den beiden Aufsätzen von Matthias Neutzner zur Rezeptionsgeschichte des 13./14. Februar 1945. Erstmals wird ausführlich beschrieben, wie aus einem in gewisser Hinsicht 'alltäglichen' Luftangriff die "Chiffre Dresden" (7) werden konnte, ein vielfältig instrumentalisierbares, international verbreitetes Symbol für die Schrecken des konventionellen Bombenkrieges.
Matthias Neutzner zeigt, dass die Herausbildung einer "kollektiven Erzählung" (126) in entscheidendem Maße von der NS-Propaganda der letzten Kriegsphase geprägt wurde, die einen Zensurfehler der Alliierten nutzte, um die weitgehende Zerstörung der Stadt und den Tod von mindestens 25.000 Menschen als einzigartige Katastrophe und beispielloses Kriegsverbrechen darzustellen.
Nach Kriegsende eigneten sich die neuen kommunistischen Machthaber schon bald diese Erzählung an und verwendeten sie in ihrem Sinne als Anklage, zunächst gegen die "Nazikriegstreiber" (132), mit Ausbruch des Kalten Krieges dann vor allem gegen die "amerikanischen Kriegshetzer" (139). Erst als in den Siebzigerjahren das parteioffizielle Interesse an der Bombardierung nachließ, so die zentrale These, entstanden Freiräume, welche eine entstehende Zivilgesellschaft für eine nicht-konforme Friedenspolitik und selbstreflexive Erinnerungsarbeit zu nutzen begann.
Neutzner leistet mit seinen beiden Aufsätzen einen wichtigen Beitrag zu einer Tradierungsgeschichte des Luftkrieges, die schon lange als ein Desiderat der Forschung eingefordert wird, aber erst in jüngster Zeit eigenständige empirische Untersuchungen angeregt hat. [5] Freilich wirft die Studie noch ebenso viele Fragen auf, wie sie beantwortet. So bleibt beispielsweise die Rolle der Kirchen weitgehend ausgespart, und es wird auch kein Versuch unternommen, die Wechselwirkungen zwischen dem staatlich verordneten Vergangenheitsdiskurs und privaten Deutungs- und Tradierungsmustern auszuloten.
Problematisch ist, dass Neutzner in gewisser Weise den Mythos von der Einzigartigkeit Dresdens fortschreibt, den er doch gerade auf seine Bestandteile hin zu analysieren sucht. Zwar erfüllte Dresden durchaus eine Leitbildfunktion für andere kriegszerstörte Städte auf dem Gebiet der DDR, aber auch dort entwickelten sich eigenständige Gedenkkulturen, wie etwa das Beispiel Magdeburg lehrt. Einer nochmaligen Prüfung bedarf darüber hinaus die These, dass die staatsoffizielle Gedenkpolitik Anfang der Achtzigerjahre zum "Verstummen" gekommen sei (158). [6] Der Band schließt mit einer vorzüglichen Dokumentation der Bild-Narrative vom 'Untergang' der Stadt sowie einer sorgfältig edierten Sammlung zeitgenössischer Augenzeugenberichte.
Mit "Das rote Leuchten - Dresden und der Bombenkrieg" liegt eine lesenswerte Darstellung über Ursachen, Verlauf und Folgen der Luftangriffe vom 13./14. Februar 1945 vor, die nicht nur den gegenwärtigen Forschungsstand kenntnisreich zusammenfasst, sondern in Einzelbeiträgen auch historiografisches Neuland erschließt. Damit hebt sich der Band wohltuend von der Masse der Erinnerungsliteratur zum 60. Jahrestag schwerer Luftangriffe ab.
Anmerkungen:
[1] So der Historiker Gerald Schwedler in einem Brief an den Rezensenten.
[2] Vgl. Harald Welzer: Die Zukunft von einst. Zwischen Hartz und Hitler: Wie sich die Demokratie wandelt, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.09.04.
[3] Vgl. Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte - Zerstörung - Folgen. Weimar; Köln; Wien 1994, 332-38.
[4] Frederick Taylor: Dresden - 13. Februar 1945. Militärische Logik oder blanker Terror? München 2004, 14.
[5] Die Skizze von Olaf Groehler aus dem Jahr 1995 blieb noch weitgehend ohne Resonanz: Olaf Groehler: Dresden: Kleine Geschichte der Aufrechnung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2 (1995), 137-41. Vgl. hingegen: Gilad Margalit: Der Luftangriff auf Dresden. Seine Bedeutung für die Erinnerungspolitik der DDR und für die Herauskristallisierung einer historischen Kriegserinnerung im Westen, in: Susanne Düwell / Matthias Schmidt (Hrsg.): Narrative der Shoah. Repräsentationen der Vergangenheit in Historiographie, Kunst und Politik. Paderborn / München / Wien / Zürich 2002, 189-207; Malte Thießen: Gedenken an "Operation Gomorrha". Zur Erinnerungskultur des Bombenkrieges von 1945 bis heute, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1 (2005), 46-61.
[6] In Magdeburg konnte davon Anfang der 1980er keine Rede sein. LA Magd. -LHA-, Rep. P 16. Nr. IV/D-5/1/068. SED Stadtleitung Sekretariat. Sekretariatssitzung am 13. Dez. 1979, Bl. 3.
Jörg Arnold