Hans-Jürgen Goertz: Deutschland 1500-1648. Eine zertrennte Welt, Stuttgart: UTB 2004, 286 S., ISBN 978-3-8252-2606-0, EUR 16,90
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Marina Frasca-Spada / Nicholas Jardine (eds.): Books and the Sciences in History, Cambridge: Cambridge University Press 2000
Erhard Chvojka / Andreas Schwarcz / Klaus Thien (Hgg.): Zeit und Geschichte. Kulturgeschichtliche Perspektiven, München: Oldenbourg 2002
Berndt Hamm / Volker Leppin / Gury Schneider-Ludorff (Hgg.): Media Salutis. Gnaden- und Heilsmedien in der abendländischen Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Die Einführung der BA-Studiengänge hat ein neues Bedürfnis nach kurzen, kompakten Überblicksdarstellungen geweckt. Die Wissenschaftsverlage haben seit geraumer Zeit auf dieses Bedürfnis reagiert, indem sie versuchen, für den studentischen Geldbeutel erschwingliche und im Hinblick auf die Bewältigung des zunehmend verschulten Studiums Erfolg versprechende Formate zu entwerfen.
Das Spektrum innerhalb dieses umkämpften Marktsegments reicht mittlerweile von systematisch angelegten Darstellungen einzelner Aspekte der nationalen, internationalen oder globalen Geschichte bis hin zu epochenspezifischen Überblicken mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten. Unabhängig von der Bandbreite möglicher Zugriffsweisen handelt es sich bei diesen Überblicksdarstellungen um eine Gattung, die man in anderen Fächern als Lehrbuch bezeichnet. Klassischerweise sind Lehrbücher kein Ort für erkenntnistheoretische Spitzfindigkeiten und methodisch-theoretische Experimente, sollen sie doch in kurzer und bündiger Form einen Einblick in den gesamten Forschungsstand zu einem bestimmten Gebiet vermitteln. Gerade deshalb sind sie kein einfaches Metier, sondern verlangen ein hohes Maß an Souveränität im Umgang mit dem Thema sowie die Fähigkeit, auch komplexe Sachverhalte sprachlich und konzeptionell einfach und verständlich darzustellen.
Dem Verlag Ferdinand Schöningh ist es gelungen, für seinen bei UTB erschienen Überblicksband zur deutschen Geschichte zwischen 1500 und 1648 mit Hans-Jürgen Goertz einen Frühneuzeithistoriker zu gewinnen, der diese Kompetenzen in hohem Maße besitzt. Goertz ist nicht nur durch seine langjährige Erfahrung als Hochschullehrer, sondern auch durch seine innovativen und äußerst anregenden Forschungen vor allem zur Reformationsgeschichte als hervorragender Fachmann ausgewiesen. Der nun vorgelegte Band basiert auf Vorlesungen, die Goertz im Rahmen des sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Curriculums an der Universität Hamburg in den letzten zwei Jahrzehnten gehalten hat.
Der zeitliche Rahmen, den der Band abdeckt, entspricht der seit langem etablierten frühneuzeitlichen Epocheneinteilung. Er behandelt den Zeitraum zwischen der Reformation einerseits und dem Ende des Dreißigjährigen Krieges andererseits. Diese Epocheneinteilung verdankt sich ursprünglich der hauptsächlich verfassungs- und politikgeschichtlichen Ausrichtung der deutschen Historiografie, erwies sich jedoch auch anschlussfähig für sozial-, wirtschafts- und, eingeschränkter, kulturgeschichtliche Ansätze. All diese Aspekte werden auch in Goertz' Band angesprochen und berücksichtigt, wobei das wirtschafts- und sozialgeschichtliche Profil des Autors unübersehbar Spuren in der Gesamtkonzeption hinterließ. Insofern erscheint Goertz' eigene Charakterisierung seines Buchs als "kulturgeschichtlicher Überblick über ein aufgewühltes, innovatives und in seinen Konflikten schließlich zerfallendes Jahrhundert" (10) bisweilen irreführend. Dazu jedoch später.
Die Vorgabe, unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte der Geschichtsschreibung in verständlicher und knapper Form vorzustellen, löst Goertz, indem er sie zur Grundlage seiner vierzehn Kapitel umfassenden Gliederung macht. So lässt sich fast jedem Kapitel ein spezifischer Diskussionszusammenhang zuordnen, der in den letzten Jahrzehnten in der Frühneuzeitforschung eine Rolle spielte. Der zunächst der Vorgeschichte der Reformation gewidmete Überblick beginnt mit einer Zusammenfassung der zeitgenössischen Geschichts- und Zeitvorstellung ("Ende der Welt und Beginn der Neuzeit"); dem folgen Kapitel zur Geschichte der Reichs- und Territorialverfassung ("Der Adler und das Kreuz", "Herrschaft und Wirtschaft"), zur spätmittelalterlichen Frömmigkeits- und Bildungsgeschichte ("Am Vorabend der Reformation") und zur Geschichte der Gemeindeverfassung ("Vom 'brüderlichen' Leben im späten Mittelalter"). Im Sinne der Geschlossenheit und Lesbarkeit des Textes verzichtet Goertz darauf, die vorgestellten Ansätze in ihrer Gegensätzlichkeit zu profilieren. Sie erscheinen vielmehr als komplementäre, einander ergänzende und aufeinander verweisende Aspekte einer Gesamtgeschichte bzw., wie Goertz es selbst formuliert, als "wechselnde Akzentuierungen des Sachverhalts" (9).
Auch im Hinblick auf eine andere methodisch-theoretische Streitfrage nimmt Goertz eine vermittelnde Position ein: Er erteilt der Diskussion um den Primat von Strukturen, Praktiken oder Wissensformen eine Absage, indem er sie, im Hinblick auf das historiografische Interesse an der Geschichte an sich, als aufeinander bezogene, in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehende und insofern nur in der Zusammenschau zu begreifende Perspektivierungen des Historischen qualifiziert. Auch hier schlägt er den Weg der Synthese ein. Der Bruch mit dem Mittelalter, der durch die reformatorische Theologie und vor allem die ideengeschichtliche Innovativität Martin Luthers herbeigeführt worden sei, bildet den Auftakt der die Kapitel 6 bis 11 umfassenden Darstellung der Reformationsgeschichte bis zum Augsburger Religionsfrieden ("Die Idee der Reformation"). Als einer Geschichte der - "schlagwortartigen" - Vermittlung dieser Ideen widmet sich Goertz dann den neueren Ansätzen der Wissens-, Kommunikations- und Mediengeschichte ("Eine 'bewegte' Epoche"), bevor er, gewissermaßen als Fallbeispiel dieser Vermittlung, die Forschungen zur verfassungs- und kulturgeschichtlichen Spezifik der städtischen Reformation resümiert ("Reichsstadt und Reformation"). Eine ähnliche Syntheseleistung zeichnet später das Kapitel "Zucht und Ordnung" aus, in dem die im Rahmen des so genannten Konfessionalisierungsparadigmas erarbeiteten strukturgeschichtlichen Ergebnisse im Zusammenhang mit den Forschungen zur "Volkskultur" dargestellt werden.
Die dem Lesefluss zweifellos zuträgliche, für den informierten Leser allerdings zuweilen irritierende Zusammenschau so unterschiedlicher Zugriffsweisen ist nun keineswegs der Indifferenz des Goertz'schen Geschichtsbildes geschuldet. Im Gegenteil, Goertz hat eine klare Vorstellung davon, was die erkenntnisleitende, da geschichtskonstitutive Leitdifferenz ist und im Hinblick worauf also die Einheit der Differenz besagter Ansätze herzustellen sei, wenngleich er dies nur an wenigen Stellen, wie z. B. dem Vorwort (9 f.), explizit macht: Es handelt sich um die Differenz von Oben und Unten, von "Aktiven" und "Kontemplativen", von "Tätern" und "Opfern". So sind die überzeugendsten und engagiertesten Kapitel des Buches ("Der 'gemeine Mann' im Aufruhr", "Die Bewegungen der Täufer" bzw. der Teil zur reformatorischen "Bewegung" im Kapitel "Eine 'bewegte' Epoche" u. a.) die, in welchen Goertz beschreibt, wie sich der "gemeine Mann" und die "gemeine Frau" bemühten, "sich einen Reim auf ihre Welt zu machen, sie zu deuten und mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, in den Griff zu bekommen" (10) - und dabei in der Regel scheiterten. Das liegt natürlich nicht zuletzt daran, dass die Sympathie für die, die "unten" sind, seit jeher Goertz' eigene Forschungen zur Reformationsgeschichte prägte - eine Forschung, die, so Goertz selbst, "zunächst den Eigenwilligen, Abgedrängten und Gescheiterten galt" (9).
Nun hat die Differenz von Oben und Unten, möglicherweise mehr als Goertz selbst vermutet, in der jüngeren Forschung - zumindest hinsichtlich ihrer erkenntnisleitenden Funktion - an Bedeutung und an Überzeugungskraft erheblich eingebüßt. Dies hat mit der andauernden Dominanz struktur-, aber auch mit den - zum großen Teil gegen strukturgeschichtliche Konzeptionen gerichteten - jüngeren kulturwissenschaftlichen Ansätzen zu tun. Ist das strukturgeschichtliche Interesse an einzelnen Personen per se eher gering, so unterscheidet sich die kulturwissenschaftliche Forschung von Goertz' Ansatz vor allem hinsichtlich ihrer Bedenken, ihre erkenntnisleitenden Differenzen ohne Rückbindung an zeitgenössische Selbstbeschreibungen zu setzen. Zwar formuliert auch Goertz' einleitend die Einsicht, dass die Welt in ihrer jeweiligen Sinnhaftigkeit nur als eine kulturell konstruierte zu beschreiben sei, begreift dies jedoch - jedenfalls was seine Darstellung betrifft - nicht als Forderung nach einer umfassenden methodisch-theoretischen Neuorientierung, sondern vor allem als Plädoyer, eine zu einseitig an den harten sozialen Fakten orientierte Geschichtsschreibung durch den Blick auf die Wirkmächtigkeit und "Eigenständigkeit von Religion, Kultur und Ethik" (16) zu ergänzen. Jedenfalls lässt sich Goertz' Versuch, seine Geschichte "wirtschaftlicher Mühsal, sozialen Elends und kollektiver Widersetzlichkeit" (14) in eine historiografische Gesamtperspektive dadurch zu verlängern, dass er nun auch von den "Gescheiterten oben" (9) spricht, nicht ohne weiteres an die Muster zeitgenössischer Welt- und Selbstbeschreibung zurückbinden. Gerade im darstellenden Teil wird dann deutlich, dass die Allianz, die Goertz einleitend zwischen seinem "kulturgeschichtlichen" Ansatz und dem der neueren historischen Kulturwissenschaften konstatiert (17 ff.), nicht immer begründet ist. Unter kulturwissenschaftlich arbeitenden Historikerinnen und Historikern dürfte jedenfalls die bei Goertz implizit immer wieder durchscheinende Annahme, dass die Einheit der Darstellung durch die "Realität" des Gegenstandes a priori gesichert sei, nicht ohne weiteres uneingeschränkte Zustimmung finden. Und die Sensibilität gegenüber der anachronistischen Tendenz verallgemeinernder metahistorischer Formulierungen ist sicher größer als bei Goertz ("In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die mit nüchternem Blick in ihre Zukunft sehen", 28; "Doch das Mittelalter wäre nicht das Mittelalter, wenn sich alles nicht auch anders beschreiben ließe", 48).
Im Zweifelsfall schlägt sich Goertz dann innerhalb seiner Darstellung auch immer wieder auf die sichere Seite einer letztlich sozialgeschichtlich ausgerichteten Geschichtskonzeption. So bleibt er beispielsweise bei einer traditionellen Form der Ideengeschichte, wenn es um die Darstellung der reformatorischen Theologie geht. Um deren Massenwirksamkeit zu erklären, greift er dann auf den Begriff des "Schlagworts" zurück - als der Form, durch die komplexe Ideen vereinfacht, handlungskonform und damit breitenwirksam würden. Nicht nur mit den Überlegungen des von Goertz selbst im ersten Kapitel zitierten Reinhard Koselleck zum Zusammenhang von Sozial- und Begriffsgeschichte hätten hier komplexere Ansätze zur Verfügung gestanden. Auch die gerade von vielen Reformationshistorikern fruchtbar gemachte kommunikationswissenschaftliche These, Medien seien mehr als bloße Träger von Informationen, wischt er in allzu knapper und apodiktischer Weise vom Tisch, um die konventionelle Ansicht von Medien als Propagandawerkzeugen zu kolportieren. Gerade diese mangelnde Sensibilität gegenüber der Spezifik des Medialen zeigt sich auch ganz konkret im Umgang mit dem zeitgenössischen Bildmaterial. Die zahlreichen Abbildungen von Holzschnitten und Flugblättern, die der Band enthält, dienen fast ausschließlich illustrativen Zwecken. Kaum mal werden sie, wie im Kapitel 11 ("Bekenntnis, Politik, Wirtschaft und Kultur"), als Quellen tatsächlich ernst genommen und ausführlicher interpretiert.
Schließlich irritiert auch die eigenartige Gewichtung der einzelnen Zeitabschnitte innerhalb der Goertz'schen Gesamtkonzeption. Während den Voraussetzungen und dem Durchbruch der Reformation (bis 1555) insgesamt elf der vierzehn Kapitel gewidmet sind, werden die folgenden nahezu hundert Jahre in drei Kapiteln abgehandelt. Der gesamte Dreißigjährige Krieg wird abschließend auf nur noch gut 20 Seiten zusammengefasst ("'Das freye Römisch Reich wird jetzt zur Barbarey'").
Die von Goertz vorgelegte Epochendarstellung ist trotz der angeführten Kritikpunkte eine äußerst empfehlenswerte und gerade für BA-Studierende sicher sehr nützliche Lektüre. Sie löst die Probleme, die in der Logik einer Lehrbuchkonzeption selbst liegen, meist überzeugend. Dennoch bleibt zu hoffen, dass auch innerhalb eines verschulten Studiums Zeit bleibt, die Perspektivität und methodisch-theoretische Bedingtheit dessen, was Geschichte ist, zu vermitteln. Dazu ist es allerdings notwendig, den Lektüre-Kanon nicht auf Überblicksdarstellungen zu beschränken.
Marcus Sandl