Jennifer D. Selwyn: A Paradise Inhabited by Devils. The Jesuits' Civilizing Mission in Early Modern Naples (= Catholic Christendom, 1300-1700), Aldershot: Ashgate 2004, xiii + 278 S., ISBN 978-88-7041-357-1, GBP 50,00
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Die neue, von Thomas F. Mayer herausgegebene Reihe "Catholic Christendom, 1300-1750" möchte der lange unterschätzten, neuerdings aber von der Forschung wieder ernst genommenen Vitalität des Katholizismus in der Periode der kirchlichen Transformation Europas gerecht werden. Sie wird eröffnet mit der vorliegenden Darstellung der Volksmission der Jesuiten im frühneuzeitlichen Neapel. Deren Quellengrundlage besteht in zeitgenössischen Veröffentlichungen von Ordensangehörigen zum Thema mit teils historischer, teils missionsmethodischer Perspektive. Ergänzend wird dazu neapolitanisches und anderes Material aus dem römischen Zentralarchiv des Ordens herangezogen. Aber diese Quellen werden nicht im traditionellen Sinne einer ordensinternen Selbstdarstellung, sondern mit der modernen kulturalistischen Fragestellung einer Profanhistorikerin nicht eigentlich gegen den Strich, aber durchaus mit kritischer Distanz gelesen. Es geht Jennifer D. Selwyn um den Kulturwandel, den die Jesuiten mit ihrer Volksmission keineswegs unbeabsichtigt und nebenher ausgelöst, sondern als integrierenden Bestandteil einer wahrhaft christlichen Lebensführung gezielt angestrebt haben.
Sie beginnt mit der Untersuchung des schon im 14. Jahrhundert nachweisbaren, aber seit dem 16. Jahrhundert verschärften Topos, dass Neapel zwar von Natur ein Paradies sei, aber von abscheulichen Leuten bewohnt werde. Damit sind vor allem die von Steuerdruck bei wirtschaftlichem Niedergang, von Arbeitslosigkeit und Hungersnöten geplagten Unterschichten gemeint, die sich durch Landflucht in der Hauptstadt sammelten. Als gewalttätig bis zu gelegentlichen Aufständen, als sittenlos bis zur Kriminalität und obendrein als schlechte Christen galten sie, Letzteres unter anderem wegen der Unzulänglichkeit des neapolitanischen Klerus. Die Autorin weist zwar auf diesen realhistorischen Hintergrund hin, lässt sich aber in gewohnter kulturalistischer Manier nicht auf die Frage ein, wie viel Realitätsgehalt der Topos besessen haben könnte, sondern erklärt ihn schlicht zu einem Unterentwicklungsmythos, der ja in der Tat bis heute nachwirkt.
1552 kamen die Jesuiten nach Neapel, wie üblich von einflussreichen Leuten protegiert und zunächst seelsorgerlich um bessere Kreise bemüht, vor allem mittels alter und neuer Bruderschaften. Doch wurde die missionarische Aktivität bald auf die Unterschichten ausgedehnt. Paarweise rückten die Jesuiten zu Straßenpredigten aus, gründeten neue Bruderschaften für die Unterschichten, nicht zuletzt zum Zwecke der gegenseitigen Anregung und Kontrolle der Mitglieder, engagierten sich in der Prostituierten- und Gefangenenseelsorge und versuchten die zahlreichen moslemischen Sklaven zu bekehren.
Seinem ursprünglichen Selbstverständnis nach war der Jesuitenorden ja ein Missionsorden. Demgemäß bestand ein enger Zusammenhang zwischen den Überseemissionen des Ordens, dem Lebensziel vieler eifriger Jesuiten, und den etwas weniger heroischen und prestigeträchtigen in Europa. Bereits Adriano Prosperi hatte darauf hingewiesen, dass viele Missionare ihr "Indien" unter den "Wilden" Süditaliens fanden. Selwyn befasst sich demgemäß ausführlich mit dem Vorbild Franz Xavers und mit der Missionstheorie des José de Acosta, wobei sie aber beim letzteren über den Nachweis von Parallelen zu Neapel nicht hinauskommt und keinen expliziten Einfluss feststellen kann.
Die kollektive Identität des Ordens, die sich auf diese Weise ausbildete - seine Gründung lag zunächst ja noch nicht lange zurück -, fand ihren Niederschlag in den anschließend behandelten Instruktionen für die Missionare. Denn die Jesuiten gingen mit recht moderner Rationalität vor. Das begann mit handfesten Ratschlägen zur Logistik von Missionen, schloss Hinweise über die erforderliche ebenso bestimmte wie taktvolle Zusammenarbeit mit dem lokalen Klerus ein und mündete in mehr oder weniger spektakuläre Verfahren zur Bekämpfung der Unmoral. Was die Sexualmoral und Beziehungen der Geschlechter in der Ehe angeht, so lässt sich laut Selwyn seit dem 17. Jahrhundert ein Wandel nachweisen. Zwar wurde das Patriarchat nach wie vor nicht angefochten, aber die weibliche Sexualität und vorgebliche moralische Schwäche galt nicht mehr länger als die Quelle allen Übels. Denn jetzt gerieten auch gewalttätige Ehemänner und die männliche Doppelmoral ins Visier, während Frauen zu wichtigen Multiplikatorinnen des jesuitischen Programms mutierten.
Dessen vielleicht wichtigster Bestandteil war die Zähmung von Gewalttätigkeit und die Konfliktbewältigung allgemein, zwischen Adeligen und erstaunlich oft zwischen Geistlichen, Ordensleuten, Nonnen, aber auch während und nach den bekannten Volksaufständen der Epoche. Dabei setzten die Jesuiten wohl kalkuliert theatralische Effekte verschiedener Art ein, denen das letzte Kapitel gewidmet ist.
Die jesuitische Selbstdarstellung der Aktivitäten in Neapel wird sorgfältig, quellennah und durchaus kritisch aufgearbeitet. Darüber hinaus allerdings ist aus dem Buch wenig Neues zu erfahren. Man fragt sich, warum kein Versuch gemacht wurde, mittels nicht-jesuitischer Archivalien aus Neapel ein deutlicheres und stärker realhistorisches Bild des Gegenstandes zu gewinnen. Was über den Orden allgemein und seine Missionen im Besonderen ausgeführt wird, ist längst bekannt. Möglicherweise hat diese Engführung der Untersuchung mit den bekannten, leider nicht nur hier anzutreffenden blinden Flecken angelsächsischer Historiografiekultur zu tun. Denn wie üblich beherrscht die Verfasserin Italienisch und zitiert etliche spanische Arbeiten. Französische Veröffentlichungen kommen aber nur vor, wenn sie ins Englische übersetzt vorliegen, deutsche nicht einmal dann. Immerhin hat der Rezensent sein Konfessionalisierungsmodell genau für solche Fälle als Analyseinstrument für Kulturwandel durch religiöse Aktivitäten entwickelt - offensichtlich vergebens. Und seitenlang über Franz Xaver zu schreiben, ohne das monumentale Lebenswerk Schurhammers auch nur zu erwähnen, sollte eigentlich nicht mehr möglich sein. Hoffentlich fallen die Folgebände der Reihe interessanter aus!
Wolfgang Reinhard